7075405-1993_16_11.jpg
Digital In Arbeit

ALBANER UND ROMA: UNGELIEBTE GÄSTE

Werbung
Werbung
Werbung

Wer kannte sie nicht, die Lastenträger auf den Bahnhöfen? Die Süßwarenverkäufer vor Kinos, die kleinen Imbißstände an Marktplätzen? Es waren meist Albaner, hin und wieder auch Roma, die sich so als Kleinhändler ihr Geld verdienten. Sie sind verschwunden, nicht nur in den Kriegsgebieten. Auch in Ljubljana, Zagreb, Belgrad oder Skopje sieht man sie nicht mehr.

Hatte noch vor zwei Jahren die slowenische Industriestadt Jesenice einen Bevölkerungsanteil von 38 Prozent Nicht-Slowenen, die Hauptstadt Ljubljana einen von 21 Prozent, stellten in der kroatischen Metropole Zagreb die Kroaten nicht mehr als zwei Drittel der Einwohner und verhielt es sich im multinationalen Großraum Belgrad nicht anders, so fand seitdem überall „schleichend ein ethnischer Bevölkerungsaustausch" statt. Ein Phänomen; das Soziologen in allen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien beobachten.

So leben heute nach offiziellen Angaben in Jesenice nur sechs Prozent „Bürger nicht-slowenischer Herkunft", in Zagreb sind es gerade noch 4,6 Prozent, die sich bei der kürzlichen Volkszählung als Albaner, Mazedonier, Roma, Slowaken, Tschechen, Deutsche und Juden bekannt haben sollen. Über Belgrad und Skopje liegen gleich gar keine neuen Zahleft vor. Doch auch dort wurde vor allem Albanern und Roma auf administrative Weise „der Wohnsitz aberkannt". Jeder, der keine klare ethnische Abstammung nachweisen konnte, bekam in den neuen Balkanstaaten Schwierigkeiten, die sogenannte „Do-movina", den „Vaterlandsausweis", zu erhalten. Vor allem Albaner und Roma sind von diesen Maßnahmen betroffen.

Galten sie schon im ehemaligen Jugoslawien nicht als eines der sechs „staatstragenden Völker" (wie Kroaten, Mazedonier, Montenegriner,. Moslems, Serben, Slowenen), sondern nur als eine „ethnische Minderheit", so finden diese Volksgruppen nun keine „Domovina", kein Vaterland, keine eigene Republik. Doch das stört die Politiker in den neu entstandenen Balkanstaaten wenig. Denn niemand will eine Minderheit von Roma und Albanern in seinen Grenzen wissen.

Der Teufelskreis schließt sich: Ljubljana und Zagreb erklären, Albaner und Roma kämen eigentlich aus dem Süden, aus Serbien und dem Kosovo, dort sollten sie ihre Zelte wieder aufschlagen. Belgrad kontert, die meisten dieser Albaner und Roma seien gar nicht auf dem heutigen Territorium Rumpf-Jugoslawiens zur

Welt gekommen, zudem hätten sie den katholischen Glauben der Kroaten und Slowenen angenommen. Eine „Domovina" werde man ihnen somit nicht gewähren.

Der Unterdrückung nicht genug: Vor allem Albaner zählten im ehemaligen Jugoslawien als erfolgreiche Kleinhändler und Unternehmer. Kein Ort entlang der dalmatinischen Küste ohne albanische Grillstuben und Konditoreien, keine Großstadt ohne private albanische Handelsgesellschaften. Doch nun wirft man diesen erfolgreichen Geschäftsleuten vor, sie hätten einst nur durch krumme Geschäfte mit den ehemaligen Kommunisten die Firmenlizenzen erstanden. Diese „rechtlich illegalen Betriebe" müsse man daher enteignen, i

Vor allem im kroatischen Dalma-tien verloren so in den letzten Monaten Tausende Albaner ihre Arbeitsplätze, manche auch ihren Besitz. Doch während die Regierungen in Ljubljana, Zagreb und Belgrad die Albaner „nur" aus dem Lande verjagen, fallen nicht wenige Albaner und Roma im bosnischen Krieg „ethnischen Säuberungen" zum Opfer. Keine Gefangenenlager, in denen sich nicht auch Albaner und Roma befinden. Keines der bekanntgewordenen Massaker an Zivilisten, bei denen nicht auch Albaner und Roma auf grausame Weise ihr Leben ließen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung