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Doch Pavle mahnt: Der Augenblick ist viel zu ernst

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Hartes Ringen innerhalb der serbisch-orthodoxen Kirche um den Frieden: Patriarch Pavle geht einen klaren Weg.

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Hartes Ringen innerhalb der serbisch-orthodoxen Kirche um den Frieden: Patriarch Pavle geht einen klaren Weg.

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Der serbisch-orthodoxe Bischof von Kosovo, Artemius, hat an seinen Patriarchen, Pavle, in Belgrad einen offenen Brief geschrieben. In der Geschichte der serbischen Kirche geschieht so etwas zum ersten Mal. Augenscheinlich hat der „harte Kern” der Bischöfe keine andere Möglichkeit mehr, an die Öffentlichkeit zu treten, weil er in der Bischofskonferenz überstimmt wird.

Artemius wörtlich: „Ein großer Teil des noch gottesfürchtigen Volkes erlebt in der letzten Zeit von seiner Mutter, der Kirche, große und unangenehme Überraschungen.” In jüngster Zeit sei der Patriarch dreimal „auf diametral verschiedene Weise” hinsichtlich der Ereignisse um die kroatischen und bosnischen Serben aufgetreten. Ein Appell am 7. August dieses Jahres an das serbische Volk habe, meint Artemius, den „einzigen richtigen Standpunkt gegenüber den Machthabern eingenommen”, indem er sie „als die einzigen Verantwortlichen für alle Übel, denen unser Volk in den letzten fünf Jahren ausgesetzt war”, genannt habe.

Zehn Tage danach sei das jedoch in der „Botschaft der Bischofskonferenz” verwässert worden, indem man „ohne einen klaren und festen Standpunkt einzunehmen, farblos, das ganze Volk zu Einigkeit und brüderlicher Eintracht” aufgerufen habe.

Am meisten hat den Bischof von Kosovo jedoch die Unterschrift des Patriarchen auf dem Dokument aufgeregt, in dem Radovan Karadzic die Rechte für Verhandlungen über den Frieden in Bosnien dem Päsidenten Serbiens, Slobodan Milosevic, übertragen hat. Damit habe er Milosevic „das Schicksal aller Serben in die Hände gelegt und im voraus alles, was er tun wird, gesegnet, gleichgültig, ob er uns verraten oder verkaufen wird”, schreibt Bischof Artemius.

Der Brief endet mit den Worten: „Deshalb bitte ich Eure Heiligkeit, mich über Eure Handlungsweise und Standpunkte vom Appell bis zur Unterschrift aufzuklären.” Für kirchliche Verhältnisse ist ein solcher „offener Brief”, der mehr politische Effekte erzielen will, als innerhalb der Kirche wirken, eine Unverschämtheit.

Zwischen Artemius, der der Nachfolger Pavles auf dem Bischofsthron in Pec, Kosovo, ist, und dem Patriarchen hat es schon im vorigen Jahr eine keineswegs nur theologische Kontroverse gegeben (furche 25/95). Damals hatte Artemius den Patriarchen in einem Zeitungsartikel angegriffen, weil dieser Moslems und Kroaten „Kinder Gottes” genannt hatte.

Nach orthodoxem Verständnis seien diese zwar „Geschöpfe” Gottes, „Kinder Gottes” aber seien nur „rechtgläubige Orthodoxe”. Der sonst stille Patriarch war damals so wütend geworden, daß er in seiner theologisch fundierten Antwort Artemius warnte, er solle sich hüten, vor Gott nicht einmal unter jenen zu stehen, denen der Herr sagen würde: „Weg von mir, ihr seid verflucht.”

Direkt antwortete der Patriarch bisher auf den offenen Brief noch nicht. Er rief jedoch am vorvergangenen Sonntag zum Gebet für den Frieden in den Belgrader Kirchen auf, die Glocken aller Kirchen sollten „bis in die Abendstunden ” zur Besinnung rufen. Dazu erklärte Patriarch Pavle: „Die Glockenklänge sollen kein Wehklagen sein, sondern eine Warnung, daß über uns der Himmel steht und daß nur Gott im Himmel alles sieht und uns alle als letzter richtet.” Keinesfalls wolle er aus diesem Auftritt eine politische Manifestation machen; er bat die Menschen, „die an den Frieden denken und ihn in sich tragen”, sich würdig zu versammeln.

„Der Augenblick ist viel zu ernst... Deshalb soll unser gemeinsames Gebet leise sein, aber ein entschlossener Schwur, daß wir uns vom Bösen nicht vernichten lassen.” Und dann, als antworte er doch wieder Artemius und den anderen Zeloten unter seinen Mitbrüdern: „In diesem schrecklichen Krieg leiden nur die Unschuldigen, und das sind das serbische, das kroatische und das moslemische Volk. Gottes Gericht wird aber alle jene treffen, die sie durch Haß vorbereitet haben, einander auszurotten.”

Der greise Patriarch, der sich oft unentschlossen von verschiedenen Fraktionen seiner Bischofskonferenz hin-und herreißen hatte lassen, scheint endgültig entschlossen zu sein, sich für jene einzusetzen, die jetzt bereit sind und auch die Möglichkeit dazu haben, Friedensverhandlungen wirklich zu fördern; und das ist nun einmal der von ihm sicher ungeliebte Slobodan Milosevic. Wie es aus der Umgebung des Patriarchen heißt, war es seine eigene Entscheidung, das Abkommen zwischen Milosevic und Karadzic zu unterzeichnen. Eigentlich hätte er, nach Gewohnheitsrecht der Orthodoxie, die sich als „Versammlungskirche” im Sinne gemeinsamer Beschlüsse der Oberhirten versteht, die Bischofskonferenz vorher fragen müssen. Über Krieg und Frieden will er aber anscheinend keine Diskussion mehr dulden. Das kann für die Haltung eines Teils der Serben, die ihn fast als Heiligen verehren, durchaus entscheidend sein und letztlich doch auch, wenn auch ungewollt, eine politische Unterstützung für Milosevic. Der Autor ist serbischer Schriftsteller und lebt in Wien.

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