"Wir vergessen euch nicht"

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Wie können Religionen zur Hoffnung im Kosovo beitragen? Mit Erinnerung, Solidarität - und Trost.

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Wie können Religionen zur Hoffnung im Kosovo beitragen? Mit Erinnerung, Solidarität - und Trost.

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Noch knapp eine Woche vor Beginn der NATO-Angriffe saßen sie in der Hofburg beisammen: Auf Initiative des New Yorker Rabbi Arthur Schneier und seiner "Appeal of Conscience Foundation" waren Vertreter der im Kosovo lebenden Glaubensgemeinschaften nach Wien gekommen. Der serbisch-orthodoxe Bischof von Prizren, der in dieser Stadt residierende katholische Weihbischof, der Vertreter des Mufti von Pristina. Auch Kardinal Christoph Schönborn war dabei: Man redete hart und tat sich miteinander schwer, aber man saß an einem Tisch. Nach hitziger, nachtlanger Debatte einigte man sich sogar auf eine gemeinsame Erklärung.

Zu spät. Wenige Tage danach flogen die Bomben auf Jugoslawien, die Greuel der Serben im Kosovo waren schon längst im Gange.

Die Auseinandersetzungen auf dem Balkan seien kein Religionskrieg, heißt es immer wieder. Die Religionen haben dennoch versagt: Krieg wurde nicht aufgehalten, an die Wiener Konferenz vom März 1999 erinnert sich kaum jemand mehr.

Ein Konferenzteilnehmer, Kardinal Schönborn, war der erste hohe Kirchenmann von außen, der ins Kriegsgebiet fuhr, auf Wunsch der Kirchenleitungen in Rom und in Moskau. Die Besuchten - neben Caritas und KFOR: die Religionen vor Ort.

Die österreichische Delegation konnte Religionsführer treffen; aber in diesem Kosovo war nichts mehr wie zuvor: die Reise des Kardinals blieb da nur ein schwaches Zeichen in einem tief verwundeten Land.

In berührenden Bildern erzählte dies auch der filmische Reisebericht in der ORF-Religionssendung "Orientierung": über den merkwürdigen Zustand in Prizren, wo die Albaner heimgekehrt sind und so etwas "Normalität" mit Restaurants und Nachtleben beginnt, außer daß immer wieder vereinzelt Häuser brennen - diesmal serbische, entzündet von wütend-verzweifelten Albanern.

Oder über die Gewalt, die "umgekehrt" ist: Ein serbischer Flüchtling im orthodoxen Kloster Pe'c, wo zur Zeit auch Patriarch Pavle residiert, weint in die Kamera, er habe seine Frau gefunden - von Albanern mit einer Gartenschere ermordet.

Dann "Kataloge des Entsetzens" - Fotos von Greueln der Serben -, die eine muslimische Menschenrechtsorganisation in Pristina, zusammenstellt. "Wir haben gute Beziehungen zur katholischen Kirche", sagt Rexhep Boja, der Mufti von Pristina im "Orientierungs"-Interview, "wir hatten gute zur serbisch-orthodoxen ..." Acht Familienmitglieder hat Boja verloren, dazu sein Haus, seine Amtsräume, seine Moschee.

Was sollen da Religionen erreichen, wie sind noch Brücken zu bauen? Der Wiener Kardinal weiß um die Begrenztheit der Möglichkeiten. Auf der Fahrt zur Begegnung mit Patriarch Pavle meint er, er wolle den Orthodoxen signalisieren: "Wir vergessen euch nicht." Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Neben den karitativen Aktivitäten in und um den Kosovo, bei denen sich die Kirchen hervortun, bleibt den Religionen nichts als die mühevolle Aufgabe, kleine Schritte zu wagen.

Ein anderer, nicht minder berührender ORF-Religionsbeitrag im Dienstagmagazin "Kreuz&Quer", zehn Tage vor der Kardinalsreise, kam aus Sarajevo und zeigte, wie weit man in der bosnischen Hauptstadt dabei ist: Es gibt hier einen "Interreligiösen Rat", der aus dem muslimischen Mufti, dem katholischen Kardinal, dem serbisch-orthodoxen Metropoliten und dem jüdischen Gemeindepräsidenten besteht. Dieser Runde ist die gemeinsame Einsicht der Religionen bewußt.

Mustaf Ceri'c, der Mufti, meinte in der "Kreuz&Quer"-Runde der Sarajever Religionsführer, man solle nicht vorschnell von Versöhnung reden, sondern erst den andern akzeptieren lernen. Kardinal Vinko Pulji'c schloß sich dem an: weder Fanatismus noch Synkretismus wären gut. Und Jakob Funici, der Jude, sprach vom gemeinsamen Grundsatz aller, dem Feind zu verzeihen.

Besonders europäischen Ohren nahegehend der Muslim Ceri'c: Es sei das Verdienst Europas, daß es den Glauben rationalisiert habe. Ob der emotionalisierte Mann auf der Straße in Bosnien - und erst recht der im Kosovo - derartiges hören und annehmen kann (eine weitere muslimische Stimme siehe Seite 2 dieser Furche)? Wahrscheinlich gibt es nur den steinigen Weg, bei dem den Religionen eine wichtige Rolle zufällt.

Selbst bei den frischen und lange nicht verheilten Verletzungen, wie sie im Kosovo so gegenwärtig sind, zeigt sich Beeindruckendes. In der "Orientierung" sprach jener Serbenflüchling im Kloster Pe'c, dessen Frau mit der Gartenschere ermordet wurde, unter Tränen von der Gewalt als einer "Kette, die man durchschneiden" müsse. Und Pristinas Mufti Boja, der Angehörige und sein Hab und Gut verloren hat, meinte gar, wie ein österreichischer Mitreisender der Furche erzählte: "Es gibt keine Probleme, die nicht zu lösen wären - außer den Toten ..." Und: "Die Leute kommen voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft zurück."

Kardinal Schönborn pflichtete bei seiner Rückkehr dem bei: "Die Hoffnung ist immer stärker als alles Schlimme, was geschehen ist." - "Vielleicht unterhalten wir uns in zehn Jahren über die Rosen, die hier blühen", formulierte in "Kreuz& Quer" der Mufti Sarajevos seine Zukunftshoffnung. Klar ist, daß gerade in bezug auf diese Hoffnung die Religionen in den Dialog und in die Verantwortung genommen sind.

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