Bosnische Sisyphusarbeit

Werbung
Werbung
Werbung

Die religiösen Spannungen sind mitnichten überwunden. Trotzdem bemühen sich die Religionen, die Wunden der Vergangenheit und Gegenwart zu heilen. Ein Lokalaugenschein in Bosnien-Herzegowina, sieben Jahre nach dem Abkommen von Dayton.

Sieben Jahre nach dem Daytoner Friedensabkommen für Bosnien-Herzegowina sind ethnische und religiöse Spannungen in dieser Region immer noch nicht abgebaut. Viele Katholiken, die vor dem Zerfall Jugoslawiens hier gelebt haben, sind nach wie vor nicht zurückgekehrt.

Die Jugend hat kaum Perspektiven. Sogar diejenigen, die ausgeblieben sind, haben keine soziale Sicherheit. Nicht gelöst sind auch die Probleme der Ausbildung für Kinder der Rückkehrer, der ethnischen Gleichstellung und der Arbeitslosigkeit, die derzeit fast 50 Prozent beträgt. In dieser Situation ist es die Aufgabe der katholischen Kirche, die Hoffnung in den Menschen zu wecken und ihnen zu helfen, die kommunistische Mentalität und die Angst, die infolge der Kriegshandlungen entstanden ist, zu überwinden: Das sieht Kardinal Vinko Pulji´c von Sarajevo als vordringlich an. Viele Menschen seien noch traumatisiert, meinte Pulji´c gegenüber der Furche. Die Lage der katholischen Kirche in dem fast zu 90 Prozent von Muslimen bewohnten Sarajevo bleibe aber schwierig: Die Katholiken würden hier nicht nur von den lokalen Behörden, sondern auch von internationalen Organisationen als Bürger zweiter Klasse behandelt. Pulji´c: "In einem vertraulichen Gespräch habe ich erfahren, dass der Grund dafür die Tatsache ist, dass wir Katholiken sind, dass wir Kroaten sind, und dass wir in Bosnien-Herzegowina leben wollen". Allein in Pulji´cs Erzdiözese wurden im Kriege 600 kirchliche Bauten zerstört. Seit dem Daytoner Abkommen hätten die Behörden nur einen einzigen Kirchenneubau genehmigt. Als anderes Beispiel führt Pulji´c die Situation in der Ortschaft Travnik an, wo bis heute nur die Hälfte eines einst kirchlichen Gebäudes, wo sich ein Gymnasium und eine Kirche befinden, zurückgegeben wurde. Der Kardinal hat diesbezüglich sogar beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg interveniert.

Ökumene - trotzdem

Diesen Schwierigkeiten zum Trotz bemüht sich Kardinal Pulji´c um gute ökumenische Kontakte mit allen in Bosnien-Herzegowina vertretenen Glaubensgemeinschaften. Unter seiner Mitwirkung wurde vor wenigen Tagen im Priesterseminar von Sarajevo eine Tagung der Historikerkommission der Stiftung "Pro Oriente" abgehalten. Ziel dieses Treffens, das zum ersten Mal im Ausland stattgefunden hat, war die Vorbereitung einer Broschüre, in der sich die römisch-katholische Kirche, die Muslime, die serbisch-orthodoxe Kirche und die Juden gemeinsam präsentieren wollen. Das Treffen sollte auch ein Zeichen sein, "dass die österreichischen Katholiken ihre Nachbarn nicht vergessen haben und an der Versöhnung aller Völker in Bosnien-Herzegowina tatkräftig mitwirken wolle", wie Johann Marte, der Präsident von "Pro Oriente" betonte.

Kardinal Pulji´c ist auch Mitglied der multireligiösen Kommission von Bosnien-Herzegowina. Diese versucht zur Zeit ein gemeinsames Religionsgesetz zu erarbeiten, das unter anderem die Einführung des Religionsunterrichts für alle Glaubensgemeinschaften in den Schulen ermöglichen soll. Die Plattform bemüht sich auch um die Rückgabe der konfiszierten Güter. Sie hat vor kurzem auch ein Wörterbuch mit wichtigen Begriffen aus den vier Religionen herausgebracht.

Bei allen diesen Initiativen kann Kardinal Pulji´c mit der Hilfe aus Österreich rechnen, "egal ob es sich um eine Diskussionsrunde zum Thema Religion, Staat und Gesellschaft', die vor kurzem von der österreichischen Botschaft in Sarajevo veranstaltet wurde, oder ein Lesebuch für die Schulen handelt", erklärt Österreichs Botschafter in Sarajevo Gerhard Jandl. Weitere Programme betreffen spezielle Programme für Lehrer, die darauf geschult werden keinen Hass zu schüren. Es ist auch geplant, veraltete Unterrichtsbücher aus dem Verkehr zu ziehen und sie mit modernen Inhalten zu ersetzen. Österreich unterstützt auch Studentenaustauschprogramme: Bereits 2.000 junge Menschen aus Bosnien-Herzegowina studieren an österreichischen Hochschulen.

Bei den Bemühungen, Versöhnung und Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina voranzutreiben, darf man auf die bosnischen Muslime nicht vergessen. Im Zuge des Krieges haben sie meist aus islamischen Ländern Hilfe bekommen. Viele so genannte Mudschaheddin kämpften damals in der bosnischen Armee. Jetzt helfen diese Staaten beim Aufbau der über 1.200 zerstörten Moscheen. Viele, vor allem Katholiken, nehmen daran Anstoß. Muslime wiederum empfinden katholische kirchliche Bauten als Provokation. Ein Zankapfel ist etwa die riesige Franziskanerkirche in der herzegowinischen Hauptstadt Mostar, die mit ihrem hohen Turm einen Schatten aufs muslimische Stadtviertel wirft. Auch das riesengroße Kreuz an einem Berg über Mostar, das Nachts angestrahlt wird, stört die dortigen Muslime. Dieses Kreuz steht an der Stelle, von wo aus ein Panzer, die alte Türkenbrücke beschossen und zerstört hat.

Es werden noch Jahre vergehen, bis Bosnien-Herzegowina ein funktionierender bürgerlicher Staat sein wird, wo alle Glaubensgemeinschaften friedlich zusammenleben. Das wird nur dann möglich sein, wenn die EU alle ethnischen Gruppen gleich behandelt und ihnen gleiche Hilfe erteilt.

EU-Hilfe für Muslime!

Schweden ist das einzige europäische Land, das eine Moschee in Bosnien-Herzegowina renoviert hat. "Europa muss auf Muslime zugehen und ihnen zeigen - wir verstehen euch als ein Teil Europas; wir dürfen sie nicht vergessen", meint Botschafter Jandl: "Sonst wird ihnen nichts anderes übrigbleiben, als sich an radikale Staaten des Nahen Ostens anzulehnen. Moscheen werden nur dann bedrohlich, wenn sie zu Zentren der Agitation werden. Wir müssen auch akzeptieren, dass das Antlitz Europas auch einen muslimischen Teil hat". Viele Muslime in Bosnien-Herzegowina würden eine Annäherung an die Europäische Union befürworten. Jandl: "Sie sagen, es ist nett, wenn uns arabische Länder vom Nahen Osten Moscheen bauen, aber wir brauchen vor allem Schulen, Kindergärten, Straßenbahnen, Brücken und Spitäler." Ob die Erwartungen der bosnischen, der - seit 500 Jahren - "europäischen" Muslime erfüllt werden, ist nach Überzeugung des österreichischen Botschafters in erster Linie von der EU abhängig.

Plädoyer gegen Glaubensfolklore

Warum neigen Religionen zur Gewalt? Weil sie die absolute Wahrheit beanspruchen und diese allen Menschen aufzwingen wollen, lautet eine oft gehörte Antwort.

Der Grazer Philosoph Peter Strasser diskutierte vergangene Woche in Wien unter der Leitung von Michael Fleischhacker mit Anas Schakfeh, dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Weihbischof Helmut Krätzl und Klaus Davidowicz, dem Vorstand des Instituts für Judaistik an der Universität Wien.

"Schlagt sie alle tot, der Herr erkennt schon die Seinen" war der Titel des Abends - eine Maxime aus dem christlichen Kreuzzug gegen die christlichen Albigenser im 13. Jahrhundert. Strasser geht es darum, einen friedlichen Umgang der Religionen miteinander zu ermöglichen, ohne die Idee der Wahrheit zu opfern, denn ohne Wahrheitsansprüche hätte der Glaube keinen Sinn: "Man kann nicht trösten, wenn man nicht als wahr voraussetzt, dass die Schöpfung Eigenheiten aufweist, die dem Menschen Trost spenden, statt ihn der Verzweiflung zu überantworten."

Strassers Plädoyer gegen Glaubensregionalismus und Glaubensfolklore pflichteten alle Religionsvertreter einhellig bei. Strassers Prinzip "Keine Religion beinhaltet irgendein moralisches Gesetz, das nicht von allen Menschen mit guten Gründen anerkannt werden kann" löste jedoch Debatten über die Gültigkeit religiösen Rechts aus. Schakfeh redete vehement einem religiösen Recht das Wort, das für die Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft verbindlich ist. Strassers religiöser Universalismus geht vom Grundsatz aus: "Religionen, welche die natürlichen Rechte des Menschen nicht anerkennen, sind kulturell verfestigte Häresien".

Der Abend, Auftakt der von Industriellenvereinigung und Styria-Verlag veranstalteten Diskussionsreihe "Über Gott und die Welt", endete mit Strassers wichtiger Forderung, die Religionen mögen sich nicht nur gedanklich, sondern sozial auf einander zu bewegen, sonst entstehe ein Pluralismus mit Subgesellschaften, die einander fremd sind. CH

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung