Zu ungewollter Gemeinschaft gezwungen

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Die ethnischen Trennungen in Bosnien-Herzegowina sind heute ausgeprägter als zur Zeit des Krieges - die Konzeption dieses Staates gehört deswegen völlig neu durchdacht.

Das zentrale Problem von Bosnien und Herzegowina (buh) besteht darin, dass die drei "konstitutiven Völker", die muslimischen Bosniaken (48 Prozent der Bevölkerung), die orthodoxen Serben (37,1 Prozent) und die katholischen Kroaten (14,3 Prozent) nach den Gräuel des Bürgerkrieges von 1992 bis 1995 nicht versöhnt werden konnten.

Der Staat besteht aus zwei "Entitäten", der Bosniakisch-Kroatischen Föderation (bkf) und der Serbischen Republik (rs). Diese haben neben den gesamtstaatlichen Einrichtungen ihre eigenen staatlichen Institutionen. Dazu verfügen auch die Kantone der bkf (und der mit Sonderstatus versehene Distrikt BrcÇko) über weitreichende Autonomie mit eigenen Parlamenten, Regierungen und Administrationen. (Damit können kroatische und bosniakische Mehrheitssituationen innerhalb der bkf zur Geltung kommen.) Die staatlichen Institutionen verschlingen - je nach Schätzung - etwa die Hälfte bis zwei Drittel des Steueraufkommens. Überwacht wird der Vier-Millionen-Einwohner-Staat vom Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft, der immer wieder aktiv in das Geschehen der politischen Entwicklung eingreift.

Kein Multikulti-Staat

Durch den Vertrag von Dayton wurde nach einer nato-Militäroperation der grausame Bürgerkrieg beendet. Der politische Wiederaufbau hat einen multiethnischen und demokratischen Gesamtstaat zum Ziel und baut auf der Vorstellung eines wirksamen Multikulturalismus auf. Innerhalb des Gesamtstaates wurden die Grenzen der Entitäten und der Kantone aber doch nach ethnischen Linien gezogen - und zwar nach jenen, die sich aufgrund der kriegsbedingten "ethnischen Säuberungen" ergeben haben.

Gewisse Erfolge in Richtung multiethnischer Staat gibt es: Zum Beispiel das Verteidigungsgesetz, das die drei Streitkräfte, die bislang gegeneinander und nicht gegen einen äußeren Feind gerichtet sind, in eine vereinigte Streitkraft überführen soll. Andere Gemeinsamkeiten wie einheitliche Autokennzeichen sind aber von außen verordnet worden und nicht von innen gewachsen. Die ethnische Trennung ist heute ausgeprägter als zur Zeit des Krieges; der Sieg multikultureller Vorstellungen ist nicht abzusehen.

Für die vielbeschworene Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (esvp) steht der Westbalkan, also die Länder des ehemaligen Jugoslawiens und Albanien, im Zentrum der Betrachtungen. Wenn es nicht gelingt, die Krisen- und potenziellen Konfliktgebiete Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Mazedonien nachhaltig zu befrieden und zu stabilisieren, dann ist die eu als Krisen- und Konfliktmanager gescheitert und braucht sich erst gar nicht den Kopf zu zerbrechen über ihre Rolle als globaler Akteur.

EU-Schönfärberei

Ein Zeichen des starken Engagements der eu war die Übernahme der Mission sfor (Stabilisation Force in Bosnia and Herzegovina) von der nato im Vorjahr. Zur eu-Politik gehört aber auch, dass manche Zustände von der eu schöngeredet werden. Die Diskussion über die Weiterentwicklung der Verfassung von Bosnien-Herzegowina zeigt, dass sie von den Bewohnern nicht als Endzustand betrachtet wird. Aber die verschiedenen Positionen zu einer Verfassungsreform sind kontrovers. Eine dauerhafte Stabilisierung von Bosnien-Herzegowina setzt voraus, dass die seinerzeitigen Konfliktursachen beseitigt oder überwunden werden. Die westliche Staatengemeinschaft und die eu setzen auf Überwindung. Der Dayton-Staat soll die verfeindeten Volksgruppen zu friedlichem Zusammenleben anleiten; Anreize dafür werden durch wirtschaftliche Unterstützung geboten. Gleichzeitig wird vom Hohen Repräsentanten laufend abgestraft, wenn sich Politiker nicht nach den vorgegebenen Normen verhalten.

In den ersten zehn Jahren nach Dayton ist es noch nicht gelungen, die (schwierige) politische Klasse und das einfache Volk davon zu überzeugen, dass dieses Konzept zielführend ist. Insbesondere die Landbevölkerung kennt die Konzeption von Dayton kaum. Der Vertrag beziehungsweise diese Verfassung ist bis heute noch nicht einmal vom Englischen in die Landessprache(n) übersetzt worden.

Wirtschaft bleibt schwach

Auch zehn Jahre nach dem Kriegsende ist buh noch weit davon entfernt, ernste Ansätze einer Konsolidierung zu zeigen. Insbesondere scheint die wirtschaftliche Schwäche perpetuiert. Das Land ist nach wie vor von ethnischem Denken bestimmt und keine sich als solche verstehende politische Einheit. Nach Meinung von Kennern der Situation kann es zwei bis drei Generationen dauern, bis sich die Menschen dort an die gegebene Situation gewöhnt, und diese als Normalität angenommen haben. Und bis dahin müsste die Staatengemeinschaft die Situation mit Truppen und einem Heer internationaler Funktionäre überwachen und kontrollieren.

Das Konzept einer Beseitigung beziehungsweise wesentlichen Reduzierung der Konfliktursachen wäre die Teilung des Landes gewesen. Denn die Konfliktursache bestand in der Zwangsgemeinschaft des Staates buh, in dem weder die Serben noch die Kroaten leben wollten und den die Bosnier zu dominieren versuchten. Konfliktursachenbeseitigung wäre also die Aufteilung des Staates, die Trennung der Volksgruppen gewesen, mit einer Option der kroatischen und serbischen Gebiete, sich Kroatien bzw. Serbien anschließen zu können, und die Bosniaken hätten den Reststaat für sich gehabt. Kombiniert mit einem international überwachten Minderheitenschutz hätte die Aufteilung die Konfliktursache des Zusammenlebens im ungewollten Staat zwar nicht vollständig beseitigt aber doch weitestgehend reduziert. Abgesehen von verschiedenen sachlichen Einwendungen (über die man diskutieren könnte) gilt aber ein solches Konzept in Europa als politisch inkorrekt, denn es darf keine Veränderungen von Grenzen geben, und schon gar nicht solche nach ethnischen Kriterien.

Ohne Scheuklappen

Eine Mitgliedschaft in der eu ist auf absehbare Zeit, das heißt auf Jahrzehnte, unrealistisch. Denn dazu bedürfte es eines funktionierenden, selbstbestimmten Staates - und der ist nicht abzusehen. Die Sicherheitspolitik der eu und der Balkan-Kontaktgruppe ist schwer zu verstehen. Wenn der serbische Präsident Boris Tadic´ verlangt, im Kosovo - ähnlich wie in buh - zwei Entitäten (eine albanische und eine serbische) einzurichten, dann solle das zu einer Destabilisierung der Region führen. Für buh gilt dieses Modell aber als stabilisierend. Dayton ist ein beachtlicher Erfolg zur Beendigung eines grausamen Krieges, aber noch keineswegs ein befriedigendes Konzept für die Zukunft des Landes. Zehn Jahre nach Dayton wäre es also an der Zeit, die Konzeption des Staates Bosnien und Herzegowina ohne dogmatische Scheuklappen neu zu überdenken.

Der Autor ist Beauftragter für strategische Studien im Verteidigungsministerium und Leiter des Büros für Sicherheitspolitik.

Buchtipp:

BOSNIEN UND HERZEGOWINA

Europas Balkanpolitik auf dem Prüfstand

Hg. von Erich Reiter und Predrag

Jurekovic´, Nomos Verlag, Wien 2005

255 Seiten, brosch., e 49,

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