"Der Hohe Repräsentant muss weg"

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Carl Bildt war nach dem Jugoslawienkrieg der erste Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen in Bosnien-Herzegowina. Heute fordert Bildt die Abschaffung dieser Funktion - denn: "Die Einheimischen sollen lernen, selbst verantwortlich zu sein."

Die Furche: Der Report der Internationalen Balkan-Kommission kritisiert den derzeitigen Status Quo auf dem Balkan, der durch das Dayton-Abkommen geprägt wird. Was empfiehlt die Kommission stattdessen?

Carl Bildt: Stattdessen muss es eine gemeinsame europäische Strategie geben, Staaten zu entwickeln, die europäischen Qualitätsmerkmalen entsprechen und die in die Europäische Union integriert werden. Das ist auch der Weg, der für die Länder Mittelosteuropas Stabilität brachte. Doch dazu benötigt man einen neuen Politikansatz. Die Amerikaner haben andere Interessen. Sie wollen ihre Truppen abziehen. Wir sollten daher die Politik-Führung übernehmen.

Die Furche: Der Report beschreibt drei mögliche Schritte: Erstens ein eu-Gipfel im Sommer 2006, später die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und schließlich im Jahr 2014 die Aufnahme der Region in die Europäische Union. Ist das eine realistische Perspektive?

Bildt: Ich denke, ja. Die erste Sache, die anliegt, ist die Formulierung einer klaren europäischen Strategie und Politik für die Region im nächsten Jahr. Dazu gehört der ungeklärte Status des Kosovo, einige Probleme in Bosnien, andere in Montenegro - alles muss nächstes Jahr angesprochen werden. Generell wollen wir, dass alle Länder aus der Region Mitglieder der eu werden, 2014/2015 ist dabei realistisch. Es ist extrem wichtig, dass die Leute dort eine Vision, eine Perspektive haben.

Die Furche: Die Europäische Union ist gegenwärtig aber in einer schlechten Verfassung und scheint derzeit kaum in der Lage zu sein, neue Mitgliedsländer aufzunehmen.

Bildt: Man sollte nicht die Schwierigkeiten herunterreden: Es wird schwierig sein, und die eu-Institutionen werden dadurch sehr stark belastet. Aber was ist die Alternative? Eine viel komplikationsreichere: Die Tür zum Balkan schließen und damit sicher sein, dass große Probleme auf Europa zukommen. Wir haben schon in der Vergangenheit die hohen Kosten eines in Kriege zerfallenden Balkans für ganz Europa gesehen.

Die Furche: Die Balkan-Kommission empfiehlt auch den Beitritt dieser Länder zur nato - wie stehen Sie dazu?

Bildt: Es ist realistisch, und eine nato-Erweiterung ist in diesem Sinne notwendig.

Die Furche: Aber in anderen neuen nato-Staaten wie Polen, der Slowakei oder Ungarn sind im Gegensatz zum ehemaligen Jugoslawien in der jüngeren Vergangenheit keine nato-Bomben geworfen worden ...

Bildt: ... was es auf dem Balkan komplizierter macht. Aber alles ist dort komplizierter: Die mittel- und osteuropäischen Staaten kamen aus einer Diktatur und einem sozialistischen System, aber die Staaten des Balkans kommen aus einem Bürgerkrieg und einem Krieg zwischen der nato und den Serben. Aber mein Eindruck ist, dass auch die Menschen dort ein Teil des ganzen Europa sein wollen und die Vergangenheit hinter sich lassen wollen.

Die Furche: Ist die nato auf diese Mitgliedschaften vorbereitet?

Bildt: Die nato ist einfacher darauf vorzubereiten als die eu, denn nato-Mitgliedschaft betrifft nur den Sicherheitsbereich, während eu-Mitgliedschaft die Restrukturierung der Ökonomie, des Rechtswesens und des Verwaltungssystems beinhaltet. Eine eu-Mitgliedschaft ist wesentlich belastender, aber das macht sie auch wesentlich wichtiger für die Schaffung stabiler Gesellschaften.

Die Furche: Sie selbst waren Hoher Repräsentant in Bosnien. Derzeit ist der Deutsche Christian Schwarz-Schilling für dieses Amt im Gespräch, das der Brite Paddy Ashdown zum Jahreswechsel abgibt. Wenn man Ihre Empfehlungen liest, kommt man zum Eindruck, Sie würden dieses Amt, das vor zehn Jahren durch das Friedensabkommen von Dayton geschaffen wurde, heute am liebsten ganz abschaffen.

Bildt: Unsere Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass, auch wenn der Repräsentant in Bosnien viele verdienstvolle Dinge getan hat, er ein paar Jahre zu lang dort war. Die Einheimischen sollen lernen, ihre Fehler selbst zu machen und Kompromisse zu finden. Sie müssen ein Gefühl dafür entwickeln, verantwortlich zu sein. Das Büro des Hohen Repräsentanten in Bosnien sollte also so schnell wie möglich geschlossen werden. Es gibt einen überwältigenden internationalen Konsens, das zu tun. Was es noch gibt, sind einige Meinungsverschiedenheiten darüber, wie das zu tun ist und wann man es tun sollte. Aber letztlich wird es passieren.

Die Furche: Gilt dieser Rückzug der internationalen Kontrolle und Bevormundung auch für das Kosovo?

Bildt: Das Kosovo ist eine weit schwierigere Sache. Wenn es eine Lösung in Bezug auf die Statusfrage geben wird, wird man dort irgendeine Art internationaler Repräsentanz haben - noch für einige Jahre. Auf keinen Fall aber wollen wir einen internationalen Repräsentanten im Stil semikolonialer Strukturen. Die Kosovo-Wirtschaft ist derzeit nicht lebensfähig. Es gibt ein Handelsdefizit von 99 Prozent, die Leute leben von internationaler Hilfe, von den Gastarbeitern im Ausland oder von krimineller Wirtschaft.

Die Furche: Für den Kosovo empfiehlt die Balkan-Kommission einen Dreischritt: Von "Unabhängigkeit ohne volle Souveränität" über "geleitete Souveränität" zur "geteilten Souveränität" im eu-Rahmen. Wird die eu, einmal abgesehen vom Kosovo, diesen Anforderungen gerecht?

Bildt: Nein! Die Union hat zurzeit keine ausreichenden Strukturen, um die Herausforderungen anzunehmen, die vom Balkan kommen. Wenn wir im nächsten Jahr den Balkan-Gipfel haben, stellt sich nicht nur die Frage, wie man die Balkan-Staaten auf die eu vorbereitet, sondern auch, wie man die Union auf die Balkan-Staaten vorbereitet.

Das Gespräch führte

Nils-Eyk Zimmermann.

Der Schwede Carl Bildt war nach Ende des Bürgerkrieges und Abschluss des Dayton-Abkommens von 1995 bis 1997 der erste Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen in Bosnien. Von 1999 bis 2001 arbeitete er als Sonderbeauftragter des un-Generalsekretärs für den Balkan. Mit Experten der "Internationalen Balkan-Kommission" legte er im Sommer 2005 Empfehlungen für die Entwicklung des Balkan vor. Der Bericht der Balkan-Kommission fordert eine europäische Strategie zur Integration der Balkan-Staaten in eu und nato bis 2015.

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