Ratko Mladic und Serbiens Pflicht

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Bei aller Begeisterung über Ratko Mladics Festnahme sollte nicht übersehen werden, dass Serbien den Bürgerkrieg nicht aufgearbeitet hat, sagt die SZ.

In wenigen Wochen jährt sich der Zerfall Jugoslawiens zum 20. Mal. Dass der letzte der mutmaßlichen Großverbrecher der Balkan-Kriege, Ratko Mladic jetzt verhaftet worden ist, hat großen symbolischen Charakter. Serbiens Präsident Boris Tadic, der für diese mutige Aktion viel Lob aus dem Westen erhielt, fordert nun, sein Land schnell in die Europäische Union aufzunehmen. Das klingt nach Kuhhandel: Wir liefern Mladic aus, und die EU gibt uns bis Ende des Jahres den Status als Beitrittskandidat.

Gewiss hat Serbien mit der Verhaftung des 16 Jahre lang flüchtigen Mladic ein dunkles Kapitel seiner jüngsten Geschichte abgeschlossen. Viele in Belgrad wollen jetzt aber auch die jüngste Vergangenheit, die noch nicht aufgearbeitet ist, gleich begraben oder wenigstens verharmlosen; dies geschieht insbesondere seit Mladic’ Festnahme vergangenen Donnerstag. Etliche betrachten Mladic nicht als Kriegsverbrecher, sondern behandeln ihn fast wie einen Popstar.

Minister besuchen Mladic´ in seiner Zelle, die Parlamentspräsidentin hat ihn medizinisch untersucht, Staatsanwälte tragen nicht ohne Sympathie die Anekdoten des abgemagerten Generals vor. Die mutmaßlichen Kriegsverbrechen Mladics werden in Serbien routinemäßig nur am Rande erwähnt, man spricht aber nicht von "Massenmord“ oder "Genozid“ in Srebrenica, sondern von "Ereignissen“ - so als handele es sich um eine harmlose Rauferei.

Vergangenheitsbewältigung gefragt

Vergangenheitsbewältigung ist ein schmerzhafter Prozess. Doch irgendwann muss Serbien damit beginnen. Zwar werden die Massaker an anderen Völkern nicht mehr rundweg geleugnet, aber es wird immer wieder daran erinnert, dass es auch auf serbischer Seite zivile Opfer gegeben habe. Das ist unbestreitbar. Doch die Absicht dieser Rhetorik ist leicht zu durchschauen: In den Kriegen, an denen Serbien beteiligt war, waren demnach alle Täter und Opfer, die Schuld soll gleichmäßig verteilt werden. Nur einige Vertreter der Zivilgesellschaft räumen ein, dass Serbien in den neunziger Jahren einen Eroberungsfeldzug geführt hat.

Kosovarische Illusionen

Noch hegen viele Serben die Illusion, ihr Land könne in die EU gelangen, ohne den Kosovo als unabhängigen Staat anerkennen zu müssen. Sie haben sich auch nicht mit der Nachkriegsordnung in Bosnien-Herzegowina abgefunden. Deshalb zündeln dort die bosnischen Serben; sie drohen, sich abzuspalten, viele wollen die gemeinsamen Justizbehörden abschaffen.

Sie zielen darauf ab, abermals Grenzen zu ändern und gefährden damit die Stabilität der ganzen Region. Serbiens Führung strebt nach einer Vormachtstellung auf dem Balkan, anstatt sich auf tiefgreifende innenpolitische Reformen zu konzentrieren. Die Demokratie ist in Serbien noch nicht gefestigt, die Wirtschaft kontrollieren weiterhin Oligarchen, die in den neunziger Jahren unter dem Regime Slobodan Milosˇevics reich wurden.

Nach der demokratischen Wende haben sich diese obskuren Gestalten mit den neuen Machthabern arrangiert, sie finanzieren Parteien und kaufen Parlamentsabgeordnete, um ihre Interessen durchzusetzen. Dazu gehört auch, westliche Investoren zu vertreiben. Die EU sollte Präsident Tadic grundsätzlich unterstützen, ihn jetzt aber auch dazu drängen, von ein paar Illusionen Abschied zu nehmen. Zu diesen gehört der Traum vom schnellen EU-Beitritt. Mit der Festnahme Mladics hat Serbien nur eine längst überfällige Pflicht erfüllt.

* Aus Süddeutsche Zeitung, 30. Mai 2011

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