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Meine Tochter aus Hanoi

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600.000 Menschen betreuen weltweit über eine PLAN-Patenschafts-aktion Kinder in der Dritten Welt. Wichtig ist die persönliche Beziehung.

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600.000 Menschen betreuen weltweit über eine PLAN-Patenschafts-aktion Kinder in der Dritten Welt. Wichtig ist die persönliche Beziehung.

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Thuy ist fünf. Sie lebt mit ihrer Mutter Lam, ihrem Vater Anh und ihrer kleinen Schwester Nga in einem Dorf in Liam Thanh, nur 60 Kilometer südöstlich von Hanoi, der Hauptstadt Vietnams. Eine ländliche Gegend, wo es fast nur Rauern gibt.

Die Familie Thi Nguyen lebt in ihrem eigenen Haus, das Land gehört aber der Regierung. Dieses Haus ist allerdings kaum eine Hütte. Es besteht nur aus einem Raum und hat ein einziges Fenster. Das Dach ist aus Stroh, der Boden die normale Erde. Die Wände sind aus Selbstgebrannten Lehmziegeln. Strom und elektrisches Licht gibt es nicht. Abends spendet eine Petroleumlampe spärliches Licht. Die Einrichtung ist sehr einfach, wichtigstes Möbelstück ist das Bett.

Das Haus hat auch keine Toilette, Trinkwasser muß aus einem 100 Meter entfernten Brunnen geholt werden. Ihren Abfall werfen sie einfach in eine offene Grube.

Auch das Farmland gehört, wie es sich im Kommunismus ziemt, dem Staat, aber die Familie der kleinen Thuy darf es bestellen. Sie hat nur zwei Hühner, aber keinen Wasserbüffel, der für das Ackern der Reisfelder wichtig wäre.

Die Familie leidet zwar keinen echten Mangel. Es gibt täglich zwei Mahlzeiten, üblicherweise Reis mit Fisch(sauce) und verschiedenen Gemüsesorten. Trotzdem ist ihre Gesundheit schlecht.

1991 wurde jeder Familie das Recht eingeräumt, 420 Quadratmeter zu bestellen. Ihr Einkommen erwirtschaften sie vor allem aus dem Reisanbau, aber der Boden ist unfruchtbar. Einige verdienen auch etwas durch ihren Viehbestand, manche durch den Verkauf von Alteisen. Ein Drittel der Familien hat Schulden (soundsoviel Kilo Beis), die meist aus Ägrar-Steuern und Bewässerungs-Kosten resultieren. Da die Familien weder ihre Schulden noch die Rechnung der E-Wirtschaft zahlen konnten, wurde Liam immer wieder der Strom gesperrt.

Liam hat zwei Schulen, eine Volks- und eine Hauptschule. Beide haben aber zuwenig Lehrer, Räume und Ausrüstung. Im Ort gibt es ein lokales Krankenhaus mit vier Schwestern.

Was haben wir aber mit Liam zu tun?

Thuy ist meine Tochter, obwohl sie 13.000 Kilometer und zwölf Flugstunden von mir entfernt wohnt. Sie ist mein Patenkind. Ein Patenkind, das in einem Projekt von PLAN” lebt und mit einem monatlichen Betrag unterstützt wird.

PLAN wurde wie das Rote Kreuz während eines Krieges gegründet. War es 1864 Henri Dunant, der nach dem Elend der Verwundeten der Schlacht von Solferino das Rote Kreuz in der Schweiz gründete, ver-anlaßte 1937 das Drama der Flüchtlings- und Waisenkinder im Spanischen Bürgerkrieg John Langdon-Davies, Korrespondent des Londoner „News Chronicle”, ein Flüchtlingsund Waisenheim zu gründen, das er über Patenschaften finanzierte. Langdon-Davies schildert selbst sein einschneidendes Erlebnis: „Ich traf auf ein kleines, etwa fünfjähriges Kind, ... auf einem Zettel stand: ,Dies ist Jose. Ich bin sein Vater. Wenn Santander fällt, wird man mich erschießen. Wer immer meinen Sohn findet, ich bitte ihn, für ihn zu sorgen.'”

PLAN ist auch ein Spiegel der europäischen Zeitgeschichte. In England gab es während der Hitler-Herrschaft ein Heim für jüdische Kinder und nach dem Zweiten Weltkrieg half PLAN auch in Deutschland. Heute werden 102

Projekte in 30 Ländern der Dritten Welt betreut. Weltweit haben 600.000 Menschen eine Kinderpatenschaft übernommen.

Als der britische Journalist PLAN gründete, hatte er die Idee, eine persönliche Beziehung zwischen den Kindern und den Paten herzustellen. Der Pate fördert nicht nur ein anonymes Projekt, sondern ganz konkret ein Kind, das aber in diesem Projekt lebt. Mit 300 Schilling sorgt er dafür, daß eine baufällige Schule saniert werden kann oder eine Wasserleitung verlegt wird. Er erhält „dafür” laufende Berichte über das Projekt, aber auch Berichte über kulturelle Bräuche, um das Land und seine Menschen verstehen zu lernen.

Bei uns schreibt Sarah, meine eigene Tochter, ihrer „Schwester” Thuy. Da beide aber erst fünf Jahre alt sind, schreibe zwar noch ich, aber im Namen von Sarah, und Thuys Mutter antwortet ebenfalls. Die Korrespondenz ist einfach. Wir erzählen etwas über unsere Katze, wieviele Mäuse sie gefangen hat und erfahren, daß Thuy Bronchitis hatte.

Sarah erzählt vom Kindergarten und vom Martinsfest. Thuy aber schreibt uns, daß sie mit ihren fünf Jahren schon alleine auf ihre Schwester Nga aufpassen muß, wenn ihre Mutter am Feld ist und erzählt vom Tet, dem vietnamesischen Neujahrsfest, das nach dem Mondkalender Ende Jänner oder Anfang Februar gefeiert wird.

Am schönsten sind aber die Fotos. Sarah staunt, daß Thuy und ihre Schwester ohne Schuhe laufen „dürfen”, Thuy ist aber ganz begeistert von unseren Winterfotos. Schnee kennt sie natürlich nicht.

Zum Geburtstag und zu Weihnachten holt Sarah ihre Schätze hervor: Eine Haarspange und ein Malbuch gehen nach Vietnam. Dafür stammt der Beis auf unserem Mittagstisch von Thuys Feldern. Vor Weihnachten hat Sarah auch geschrieben, was sie sich vom Christkind wünscht und vom Christbaum, den Kerzen und den Schokoladeanhängern erzählt. Da freut sich auch Thuy, die als kleine Buddhistin noch nie etwas vom Christkind gehört hat.

Ob Tet oder Martinsfest, die Kinder lernen einander kennen, sodaß Hautfarbe und Beligion, Kultur und Gebräuche des anderen bald ganz selbstverständlich werden. Damit sie sich später nicht voreinander fürchten oder einander bekämpfen, nur weil sie einander nicht kennen, weil sie einander fremd sind.

Chefredakteur des oberösterreichischen Landespressedienstes und freier (Reise ) Journalist. PLAN ist eine von der UNO anerkannte Kinderpatenschaftsorganisation mit Sitz in Hamburg. Ihr Kuratoriumsvorsitzender ist der deutsche Altbundespräsident Walter Scheel

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