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Hilfe für Kinder in den Slums

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Wirtschaftskrise - wir werden den Gürtel enger schnallen müssen. Also doch kein neues Auto, kein Stereoturm; ja und den Urlaub? Werden wir ihn gar „nur" in" Österreich verbringen können?

Daß ein Großteil der Menschheit nicht weiß, womit er morgen sein Essen bezahlen wird, wie er sich vor Regen und Kälte schützen soll, kurz, daß Millionen unter absolut unwürdigen Bedingungen leben, wird geflissentlich vergessen, besser: verdrängt.

Zum Beispiel in Brasilien, in den Slums der Großstädte, den sogenannten Favelas. Angelockt

vom fragwürdigen Glanz der Metropolen, verlassen Tausende die ländlichen Gebiete, um in den Städten ihr Glück, meist vergeblich, zu suchen. Dicht gedrängt in selbsterrichteten Baracken, die' bei jedem Regenguß überschwemmt werden, zwischen Ratten, Wanzen und Flöhen hausend, versuchen sie, Männer wie Frauen, durch irgendwelche Jobs (Säcke schleppen, Autos waschen, Hilfsarbeiten aller Art) das Allernötigste herbeizuschaffen.

Die staatliche Entwicklungshilfe schadet mehr als sie nützt. Man baut mitten in diese Elendsviertel ein Waschhaus, und wundert sich dann, daß es niemand benützt, daß innerhalb kürzester Zeit der ganze Bau völlig demoliert ist. So lächerlich es für unsere „zivilisierten" Ohren auch klingen mag: Man muß die Favelados erst dazu erziehen, sich zu waschen, muß ihnen den Zusammenhang zwischen Schmutz und Krankheit erklären.

Uberhaupt ist das Schenken allein eine sehr gefährliche Methode. Man beginnt sich darauf zu verlassen, daß sowieso geholfen wird und läßt sich vollends fallen. Eine scheinbar ausweglose Situation.

Wie sehr jedoch Einsatz, Initiative und Opferbereitschaft nahezu Wunder wirken können, hat schon Mutter Teresa bewiesen. Ein ebenso bewundernswertes und erfolgreiches Projekt betreibt jetzt schon seit ein paar Jahren die deutsche Waldorflehrerin Ute Craemer in der Favela Monte Azul von Sao Paulo.

„Die Grauheit und Trostlosigkeit des Faveladaseins bestehen ja nicht nur im materiellen Elend, sondern in der Zerstörung jeder schöpferischen Initiative. Die zugewanderten Menschen werden in der Stadt unsicher, schämen sich

ihres früheren Tuns und Wissens und haben jetzt nichts, weder Tradition noch Zivilisation. Mein Grundgedanke ist nun, daß diejenigen, die arm sind und Hilfe benötigen, selbst mithelfen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. So werden sie nicht als Objekte, sondern als Mitgestalter ihres Schicksals betrachtet, und ihre Menschenwürde wird bewahrt."

Ihren Überlegungen entsprechend, begann Ute Craemer in einer finsteren Baracke eine Schule einzurichten, um dort mit den Kindern zu basteln, zu spielen, zu lernen, Feste zu feiern. Damit gab sie ihnen einen gewissen inneren Halt. Einige brachte sie dazu, eine Berufsschule zu besuchen. Sie geben nun ihrerseits ihre Fertigkeiten an andere weiter.

Bald jedoch begann das kleine Häuschen aus allen Nähten zu platzen, soviele Kinder und auch Erwachsene suchten Anschluß. Dank einer Spende konnte ein provisorisches Jugendzentrum gebaut werden, in dem nun außer den bisherigen Beschäftigungen Tischler-, Web-, Strick-, Koch-und ähnliche Kurse abgehalten werden.

Aus alten Kisten wurde dann ein Ambulatorium gebaut, um wenigstens ein Minimum an medizinischer Versorgung zu erreichen. Ein Kindergarten, ein Abendkurs zur Alphabetisierung von Erwachsenen, Ferienlager, Ausflüge, Theater- und Museumsbesuche vervollständigten die Aktivitäten. Ermutigt durch den großen Erfolg bildete Ute Craemer einen Verein der dieses Projekt nun erweitern soll: Die Wasserversorgung ist katastrophal. Die Quelle entspringt nahe einer Latrine und ist völlig mit Viren und Parasiten verseucht. Folge: Darm- und Leberkrankheiten, Brechdurchfall, Anämie. Hier ist Abhilfe dringend nötig. Bessere Versorgungsmöglichkeiten, besonders mit vitaminhaltigen, momentan nicht erschwinglichen Lebensmitteln, waren ein weiteres Ziel. Die völlig einseitige monotone Ernährung, Bohnen und Reis, Reis und Bohnen, ist am schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung mit schuld.

Ziel der noch zu schaffenden Einrichtungen soll es sein, diesen vergessenen Randexistenzen unserer Gesellschaft Grundkenntnisse zu vermitteln, die ein Uberleben in Würde ermöglichen.

Wir in den materiell reichen Ländern sind verpflichtet, uns voll dieser Aufgabe zu stellen.

FAVELA KINDER. Von Ute Criemer. Verlag Freies Geistesleben. Stuttgart 1981,230 Seiten, öS 121.60.

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