6690793-1962_37_07.jpg
Digital In Arbeit

Brasiliens heiße Eisen

Werbung
Werbung
Werbung

Wer nach Jahrzehnten, aus dem unterentwickelten Südamerika kommend, Westeuropa besucht, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Wie sich Dinge und Menschen ändern können! Indes fragt sich der Fremde: Warum solches Tempo überall? Die Heuwagen sind motorisiert, auch die Rasiermesser. Sogar die Kirchenglocken läuten wie im Alarm. In wilder Flucht eilen die Touristen über die Grenzen. Schnell! Schnell! - Wohin?

Als ich mich in Rio de Janeiro von meinem Freund Silvio Silva de Movais, ein-jm abtrünnigen Parlamentarier, verabschiedete, meinte er, ich werde die alte Heimat nicht mehr finden. Er kennt die Länder zwischen Wien und Paris wie seine Hosentasche und spricht ein besseres Deutsch als mancher unserer Maturanten. „Sagen Sie Ihren Landsleuten, wir bewundern den Zusammenschluß Europas, großartig. Aber sie sollen den Osten nicht vergessen, er gehört zu Europa. Dann erst wird Friede sein. Sagen Sie es überall! Bitte, Senhor Frederico! Auch Südamerika wird bald ein neues Gesicht haben. Wir werden es zusammenschlagen in Stücke, umgießen. Zuerst müssen wir es aber zusammenschlagen.“

Wir saßen auf der breiten Terrasse eines, wie Alabaster schimmernden „Palacete“, heißen „cäfezinho“ schlürfend. Aus dem silbergrünen Bade des Guanabara-Golfes war die Morgensonne getaucht. Vom hohen Felsen des Corcovado herab segnete Christus mit ausgespannten Armen die ausfahrenden Schiffe. Silvios schwarze Augen waren fragend auf mich gerichtet. Erriet er meine Frage? „Was wirst du sagen, wenn eines Tages die Rebellen deine Villa in die Luft sprengen? Du selbst müßtest die Zündschnur legen. Du weißt, dein Großvater errichtete einst den Palast, und mit dem Schweiß seiner Negersklaven auf den Kaffeeplantagen wurde der Mörtel gemischt.“ Ich erriet seine Antwort: Silvio würde selbst die Zündschnur der Revolte anbrennen.

Mein Transatlantico „Cabo San Vicente“ gewährte mir genügend Zeit, um meines Fjeundes Wunsch zu erfüllen. Ich nehme seinen Sohn in Obhut und werde ihn über das Meer nach Zürich bringen, dort soll er studieren (was er bis jetzt noch nicht getan hat), „Und noch etwas, amigo, sagen Sie auch Ihren Freunden, daß Brasilien niemals sich zu einem Satelliten degradieren läßt. Aus dem Lasso des Dollars haben wir uns noch nicht befreit,“ der Yankee schleift uns nocl hinterher. Aber schon behutsamer langsamer. Unsere Seele ist dem Lasse aber entschlüpft, schon vor Kennedy.'

Er ließ mir keine Zeit zu meinen Einwand. Ich wollte sagen, daß da von Itamarati, dem Außenministerium laut proklamierte Prinzip der Nicht- i einmischung die freie Welt insofern ] verärgere, als es praktisch zugunsten des Sowjetblocks angewendet werde. Wenn Goulart von den Amerikanern i als verkappter Kommunist verschrien ] wird, so tun sie das nämliche, was ] mitunter auch katholische Stimmen i tun. Die katholische Presse in Süd- 1 amerika verschweigt, daß der Bischof von Temuco (Chile), D. Pinera Car-vallo, in einem Kirchenblatt die blinde Angst vor dem Kommunismus verurteilt, den Hang, Kommunismus zu sehen, wo es keinen gibt, und ihn mehr mit Worten als mit Taten zu bekämpfen. Auf diese Weise haben wir den Kommunisten das Monopol aller Aktionen zugunsten der Arbeiter überlassen. Vielleicht verschweigen sie die bischöfliche Warnung deshalb, weil darin die von der „alta sociedade“ fast kultisch gepflegte Liebestätigkeit, zum Beispiel der Rummel der vorweihnachtlichen Wohltätigkeitsbasare, insofern kritisiert wird, weil der Bischof von Temuco betont, der Arbeiter wolle keine Almosen, vielmehr soziale Gerechtigkeit (davon die oberste Schicht, die creme, die sich im Jahre 365mal satt essen kann, nichts wissen will).

Soziale Gerechtigkeit: da und dort wird in Lateinamerika in den Schulen davon gesprochen, pianissimo — so-stenuto.

Wir unterhalten uns über die Parlamentswahlen am 7. Oktober. Man fürchtet Überraschungen und weiß nicht, sie zu definieren. Janio Quadros als Gouverneur des mächtigsten Staates, von Sao Paulo? Hat das Volk wirklich vergessen, daß er für die schwärzeste Seite der brasilianischen Geschichte die Verantwortung trägt? Janio wußte, wem er den Präsidentenstuhl hinterließ, als er vor einem Jahr desertierte. „Haben Sie nicht auch Ihre Hoffnung auf diesen Mann gesetzt. Senhor Silvio? Welche Enttäuschung!“ „Nicht dem Druck heimlicher Mächte wich er, wie Janio es heut hinstellt, sondern dem unheimlichen Druck der Batterien von Whiskyflaschen“, lachte er. „Schade um ihn. Ein christlicher Kommunist, Sie verstehen, ein Mann mit Ideen. Aber wir Brasilianer vertragen nicht dieset Getränk. Seit jenem August 1961 wird unser Land wie von Krämpfen geschüttelt. Ich wundere mich nur, daß Carlos Prestes (der militante Anführer der KP) noch keinen Staatsstreich gewagt hat.“ „Der jetzige Präsident, Goulart, wird Brasilien für Moskau reif machen.“ „Es könnte nicht schaden, wenn unser Volk einmal auf Vordermann gebracht würde. Wenn der jahrhundertealte Schmutz der Parasiten endlich abgeschöpft wird. Niemals — nunca, Senhor Frederico, wollen wir irgendwie in Abhängigkeit kommen. Freilich, Goulart, der, wie Sie wohl wissen, einer der größten Grundbesitzer Südamerikas ist, wird Uns eines Tages im Wege stehen. Vorläufig schätzt der Kreml seine Sympathien.“

Ja, dachte ich, wenn für Brasilien die Stunde schlägt, werden sie ihn mit der Schnur, an der er seine goldene Madonna unter dem Hemde trägt, aufhängen. Schlau wie ein Präriefuchs weiß er, warum er um die Alleinherrschaft ringt. Nach der Flucht Janios aus Brasilien wurde Goulart über Nacht Bundespräsident. Das Heer sagte nein. Damals war Gou'art, wie erinnerlich, in Peking, von Mao Tse-tung umarmt. Erst nachdem die Verfassung geändert, der „presidencialisimo“ in einen „parlamentarismo“ umgebaut war, ließen die Generäle Goulart über die Grenze. Die Panzerdivisionen wurden zurückgezogen, der Bürgerkrieg abgeblasen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung