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Belutsdiistan schielt nach Kabul

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Karatschi, 31 Grad Celsius im Schatten. Für einen Durchreisenden aus Nordeuropa ist dies fast unerträglich. Noch unerträglicher ist das politische Klima in Restpakistan, das sich vor der totalen Auflösung seines Staatsapparates zu befinden scheint.

Premierminister Zulfikar Ali Bhutto bereist seit Ende März die verschiedenen Verwaltungsbezirke der Sorgenprovinz Belutschistan, um deren Einwohner zu beschwichtigen; denn dort droht seit 1975 Separatismus, und ein regelrechter Partisanenkrieg ist im Gange. Unter dem ehemaligen Staatspräsidenten General Ayub Khan hatte Pakistan die traditionelle Autonomie der Provinzen abgeschafft, in der verständlichen Absicht, die historisch bedingten zentrifugalen Tendenzen zu beseitigen.

Als dann Ostpakistan zu Bangladesch wurde und den islamischen Staatsverband des Subkontinents verließ, stellte Ali Bhutto die alten vier Provinzen wieder her: Sind, Pandschab, Belutschistan und die Nordwest-Grenzprovinz, dazu die beiden Regionen Gilgit und Kaschmir.

Eigentlich hatte Bhutto dies, gemeinsam mit Mujibur Rachman, als Schachzug gegen Ayub Khan ausgedacht. Von den dreien ist nur Bhutto geblieben, und er muß die Folgen dieser verhängnisvollen Entscheidung allein tragen: Separatismus in allen Provinzen, einschließlich Sind, von wo Bhutto übrigens selber stammt.

Für die sowjetische Strategie könnte eine so drastische Veränderung des Gleichgewichts große Be-

deutung erlangen. Der alte Traum des zaristischen Rußland könnte damit endlich wahr werden. Afghanistan hat nach dem republikanischen Putsch vom 17. Juli 1973 einen prorussischen Kurs eingeschlagen. Die von den Sowjets dort gebauten Straßen können, ausgehend vom

zentralasiatischen Militärbezirk, quer durch verbündete Länder, bis zum Arabischen Meer verlängert werden, und diese Aussicht ist sehr verlok-kend...

In Karatschi wird jedoch behauptet, daß die belutschdstanischen Separatisten hauptsächlich „Feudalherren“ seien, die sich den Reformplänen Bhuttos widersetzten. Deshalb meinte auch die „Morning News“ von Karatschi am 31. März, das Belutschistan-Problem sei wirtschaftlicher und nicht politischer Natur. Das von der Sardar-Über-macht beherrschte Stämmesystem unterdrückte das Zwei-Millionen-Volk der Belutschis mit aller Härte, vor allem die Feudalherren kontrollierten alle Wasserquellen und somit auch den Willen des Volkes. Die Lokalherrscher versuchten mit allen Mitteln, die demokratischen Reformen Ali Bhuttos zu sabotieren.

Bhutto zeigte nunmehr seine Stärke und löste das Provinzregime auf. Das Einsammeln von Shishak-Gebühren im Namen der feudalen Batai wurde kurzerhand verboten. Seither verschanzen sich viele antipakistanische Rebellen in den Bergen. Täglich wird zwar berichtet, daß sich soundsovdele Rebellen der Regierung freiwillig gestellt hätten, doch ist die Situation in Wirklichkeit kritisch. Die Aufständischen erhalten Unterstützung aus dem Norden, und überall in Paschtuni-stan gibt es Schmieraktionen gegen die Regierung Bhutto. Bhutto seinerseits sucht nun vor allem Anschluß an die islamische Welt, besonders eine Intensivierung der Pakte mit dem Iran und der Türkei.

Auch der arabischen Welt gegenüber zeigte Rawalpindi eine klare Haltung; es gibt sich anti-israelisch. In Rawalpindi und Karatschi gab es Demonstrationen, und am 2. April fand sogar ein Anti-Zionismus-Tag in ganz Pakistan statt.

Militärisch kooperiert Pakistan mit der Türkei, die sich nach dem Zypernkonflikt dem Westen allmählich ab- und der islamischen Welt wieder zugewandt hat. Zudem trainieren angeblich rotchinesische Militärexperten die Pakistanis für eine Guerrilla gegen eventuelle indische Invasoren.

Bhutto weiß bei all dem nur zu gut, daß die Existenz Pakistans nur dann gewährleistet ist, wenn Belutschistan im Staatsverband bleibt. Fieberhaft startete daher die P. P. P. (Pakistanische Volkspartei) Bhuttos die Massenwerbung von Mitgliedern in Belutschistan; bis zum 30. März wurden bereits 238 Stammeshäuptlinge und 1500 Hindus Parteimitglieder, und dies allein im Khuzdar, einer Bezirkshauptstadt Ostbelu-tschistans. Auch Treueidzeremonien werden überall veranstaltet. Bhutto buhlt um Popularität bei den unteren Klassen. Er hat eine Art von sozialistischer Verstaatlichung

durchgeführt, oft nur auf dem Papier, anderseits überflutet amerikanisches Kapital das Land. Armut, Arbeitslosigkeit und Unwissen zeigen sogar in Karatschi ihre Gesichter, g

In einem Palast nahe der Küste bei Karatschi wohnt Bhutto, der lieber öfter in seiner sindischen Heimat weilt als im nördlichen Islamabad. Die Mauern seiner Festung sind mit Stacheldraht, Scheinwerfern und Soldaten gesichtert. Bhutto sitzt auf einem Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann. Und dem Staat, den Ali Sinnah, der Vater der pakistanischen Nation, vor 30 Jahren schuf, droht der Zerfall.

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