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Kein Korn, viel Rhetorik

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Die Getreideknappheit nistet sich in den meisten Staaten Asiens als ein permanenter Gast ein. Fast überall ist die angekündigte Selbstversorgung ausgeblieben. Die „Grüne Revolution“ nätte die Selbstversorgung durch modernes Saatgut erwirken sollen, das Saatgut aber war zu teuer und nicht widerstandsfähig ^enug. Die „Grüne Revolution“ hat nicht stattgefunden.

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Die Getreideknappheit nistet sich in den meisten Staaten Asiens als ein permanenter Gast ein. Fast überall ist die angekündigte Selbstversorgung ausgeblieben. Die „Grüne Revolution“ nätte die Selbstversorgung durch modernes Saatgut erwirken sollen, das Saatgut aber war zu teuer und nicht widerstandsfähig ^enug. Die „Grüne Revolution“ hat nicht stattgefunden.

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Bodenreform und Kooperation sollten das Interesse an der intensiven Bewirtschaftung stärken. Fast überall sind die Bodenreformen im Dschungel der Landbesitzerpolitik steckengeblieben. Kooperation funktioniert nur, wenn reiche Bauern sie betreiben, und sie endet in gegenseitiger Sabotage und Gewalttat, wenn sie von ehemaligen Pächtern und armen Bauern betrieben wird.

Dem schlechten Monsun des letzten Jahres wird die Schuld an der mageren Getreideversorgung gegeben. Zugleich bereiten die Regierungen aber darauf vor, daß ein guter Monsun in diesem Jahr die akute Gefahr der Hungersnot abwenden, die Getreideknappheit aber nicht beseitigen wird. Uberall auf dem indischen Subkontinent, in Indien, Pakistan, in Bangladesh und in den meisten Ländern im Osten des Subkontinents wird Getreide von den Landbesitzern und den Getreidehändlern gespeichert und die Getreidepreise steigen derzeit um zumindest acht Prozent im Monat.

In solchen Zeiten wartet man auf die „Hilfslieferungen“ aus dem Überschußgetreide in den USA. Diese „Hilfslieferungen“ waren bereits öfters die Rettung für die asiatischen Bezieher. Die USA wurden ihren Überschuß los und den asiatischen Staaten wurden erträgliche Kreditbedingungen gewährt. Heute allerdings gibt es in den USA keinen Getreideüberschuß mehr. Was auf Lager war, wurde von den Sowjets aufgekauft. In diesem Jahr erwartet man zwar in den Vereinigten Staaten eine Rekordernte, aber auch der Rekordüberschuß ist schon fast sicher in sowjetischer Option. Moskau supht d&rvpit hei westeuropäischen Banken um Kredite für künftige Getreideankäufe an — und nur seine engen Verbündeten haben eine Chance, notdürftig beteiligt zu werden.

Die Sowjets ließsn Indien wissen, daß sie nicht die Absicht haben, von dem teuer erworbenen Getreide etwas abzutreten. Lediglich Bangladesh erfreut sich in Moskau einer privilegierten Position und rechnet, bedacht zu werden. Dank Mujibur Rahmans Politik ist Bangladesh nämlich kein „sicherer“ Posten auf Moskaus Asienliste. Dort stehen einander die USA und die UdSSR noch in einem offenen Konkurrenzkampf gegenüber.

Auch in Pakistan liegt die Getreideaufbringung Ende Mai um mehr als 20 Prozent unter dem Durchschnitt, die Getreidepreise sind um mehr als 30 Prozent gestiegen, gelegentliche Getreidelieferungen aus den USA bringen sporadische Erleichterung. In Indien liegt die Getreideaufbringung um zwölf bis fünfzehn Prozent unter dem Vorjahr. Die Preise sind auf dem schwarzen Markt, wo 70 Prozent des Getreides landen, um fast 50 Prozent höher als 1972. Die Auslieferungsstellen der Regierung werden in vielen Städten gestürmt und geplündert, weil es nicht genug Reis und Getreide zur Rationsverteilung gibt.

Nun verspricht die Regierung, Getreide im Ausland kaufen zu wollen — sagt aber nicht wo; die USA, Kanada, aber auch Australien scheiden aus dem Getreidemarkt aus. Dort haben sich die kommunistischen Großmächte, die UdSSR und China, als Großkäufer Prioritäten gesichert und die Preise hochgetrieben. Die Getreideknappheit steigert deshalb in Indien das Gefühl der Unsicherheit, steigert die Verbitterung der wieder „Enterbten“ und „Betrogenen“ und dadurch den Nationalismus, den „Antiimperialismus“.

In Indien rechnet man heuer mit einem guten Monsun. Er soll früher kommen als in anderen Jahren; man rechnet aber auch mit Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, vor allem mit Futtermitteln in den kritischen Wochen nach dem Monsun, wenn die Qualität des Tierbestandes für die Zeit bis zur nächsten Regenzeit bestimmt wird.

Die Regierung hat zwar den Getreidehandel verstaatlicht, um kommende Krisen besser bestehen zu können, sie hat aber nicht die Eigentumsverhältnisse im Dorf verändert. Bedrückender und gefährlicher als die Wetterverhältnisse sind nämlich die Stagnation von Indira Gandhis „Krieg gegen die Armut“ in Indien und Bhuttos „Krieg gegen die 200 Familien“ in Pakistan. Die Defensive auf dem sozialen Kriegsschauplatz wird durch aggressive Rhetorik wettgemacht.

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