Pakistan: Eine stille Revolution

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Der Mord an einem pakistanischen Politiker wirft ein besorgniserregendes Licht auf den Zustand der Demokratie. Kommen die Mullahs, fragt die FAZ.

Auch in Pakistan steigen die Lebensmittelpreise - und mit ihnen Verdruss und Zorn über die Misswirtschaft der Mächtigen. Warum, fragen sich manche, bleiben Szenen wie in Tunis oder Kairo aus? Warum demonstrieren im zweitgrößten islamischen Land keine Massen, warum sehen wir keine spektakulären Rücktritte, keine neuen Helden? Weil das Land schon eine Demokratie ist, geben Pakistans Regierungspolitiker zurück, und sie haben in einem Punkt recht: Es gibt Ventile - wie etwa das Recht, sich zu versammeln, eine vergleichsweise freie Presse und zumindest bis zum nächsten Militärputsch Wahlen.

Wer daraus ableitet, das Land stabilisiere sich gerade, irrt jedoch gewaltig. Im Schatten der arabischen Ereignisse verändert sich die Gesellschaft in einem atemberaubenden Tempo. Es ist eine stille Revolution, die sich nicht in Märschen vollzieht, sondern in den Köpfen der 180 Millionen Muslime Pakistans. Diese Transformation könnte in einem Albtraum enden: dem ersten radikalislamisch regierten Atomwaffenstaat. Lange Zeit konzentrierten sich die Sorgen der Weltgemeinschaft auf eine mögliche Machtübernahme durch radikalislamische Mullahs. Dazu kann es immer noch kommen. Kaum etwas hat diese Erkenntnis stärker befördert als der Mord an Salman Taseer, dem liberalen Gouverneur der Provinz Punjab, der seine Kritik am geltenden Blasphemiegesetz mit dem Leben bezahlte.

Sympathie für den Mörder

Das Verbrechen vereint das Land auf beklemmende Weise; nicht in Empörung, sondern in Sympathie. Dass die üblichen Verdächtigen den Mörder Taseers auf den Straßen feiern, ist keine Überraschung. Aber gehuldigt wird ihm auch in Cafés, an Schulen und an Universitäten. Pakistaner, die sich als "tolerante Muslime“ bezeichnen, rechtfertigen den Mord als gerechte Strafe Gottes. Staatsanwälte weigerten sich, ihrer Arbeit nachzugehen. Und nachdem schließlich doch Anklage erhoben wurde, erboten sich Hunderte Anwälte, den Mörder unentgeltlich zu verteidigen. Die Verteidiger westlicher Werte igeln sich ein, Menschenrechtsgruppen reduzieren ihre Arbeit, Journalisten wägen ihre Worte - sie haben Angst.

Wo sind die universellen Werte?

Formal gilt in Pakistan eine Verfassung, die sich auf universelle Werte und Rechte beruft. Die meisten Repräsentanten des Landes treten in Anzügen oder Uniformen auf und nicht in den Gewändern der Mullahs. Aber in den meisten Fällen ist das nur noch eine weltliche Hülle. In zu vielen Köpfen von Politikern, Richtern, Hochschullehrern und Offizieren ist die Saat des religiösen Fanatismus aufgegangen. Nach innen äußert er sich als heuchlerischer Sittenrigorismus. Nach außen bricht er sich Bahn im Hass auf den Westen. Der völkerrechtlich verzwickte Fall eines mordverdächtigen Mitarbeiters der amerikanischen Botschaft, dessen Auslieferung Washington seit Wochen fordert, wird zu einer Frage von nationaler Schmach oder Souveränität stilisiert. Für die Straße ist dies nur ein weiterer Beleg dafür, dass Amerika hinter den Kulissen das Land sabotiere. Pakistaner, die sich die nationale Misere - von der Wirtschaftskrise bis zum Extremismus - nicht mit dem Dämonentum der "Ungläubigen“ erklären, sind kaum noch zu finden. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, wenn Milliarden Dollar schweren Hilfspakete, die in Washington geschnürt werden, auf Skepsis stoßen. Ihr Ziel soll es sein, die Abwärtsbewegung Pakistans zu bremsen und ihre Eliten gesprächsbereit zu halten. Aber die Kanäle, durch die das Geld geschleust wird, haben den Islamismus nur gewässert.

* Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Februar 2011

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