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Aus Klassen- ein Rassenhaß?

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Der indische Landkoloß war die letzte Brücke; Indira Gandhi hat die Brücke gesprengt. Der Sprung geht quer durch die Welt, jetzt ohne Überbrückung: hier die Staaten der Demokratien, des demokratischen Leben^gefühls,. dort die Staaten der Diktaturen, dej,^torltärett l^bensformen. Ob der Sprung immer weiter auseinanderklafft und zum Abgrund wird, in dem alles versinkt — wer kann das heute ahnen?

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Der indische Landkoloß war die letzte Brücke; Indira Gandhi hat die Brücke gesprengt. Der Sprung geht quer durch die Welt, jetzt ohne Überbrückung: hier die Staaten der Demokratien, des demokratischen Leben^gefühls,. dort die Staaten der Diktaturen, dej,^torltärett l^bensformen. Ob der Sprung immer weiter auseinanderklafft und zum Abgrund wird, in dem alles versinkt — wer kann das heute ahnen?

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Als die Brücke über Nacht verschwunden war, applaudierten alle Diktaturen der Dritten Welt und des Sowjetkommunismus Indiens neuer Diktatorin. Sie haben die Bedeutung des Geschehens als politische Flurbereinigung sofort erkannt. Endlich ist auf dem letzten Territorium, von dem die Demokratie noch wirken konnte, die Diktatur eingezogen. Endlich sind die neuen und die alten Hierarchien auf dem Kontinent der zersetzenden Wirkung der westlichen Demokratie nicht mehr ausgesetzt; und es bleibt nur noch die Gefahr der antihirarchischen Kraft des chinesischen Kommunismus. In dieser Nacht, in der sie die indische Demokratie auslöschte, hat Indira Gandhi, Sproß einer der am stärksten anglisierten Familien ihres Landes, Indien endlich ganz und gar der Dritten Welt eingegliedert, zu einem Teil des Agglomerates diktatorischer und autoritärer Staaten gemacht, die heute die Dritte Welt ist. Die letzten Worte der gemeinsamen Sprache von Demokraten, diesseits und jenseits der Demarkationslinie, die die Welt der Rohstoffstaaten und der Entwicklungsländer mit den Demokratien der westlichen Welt noch verbunden haben, sind verklungen, werden nicht mehr gesprochen. Es herrscht dort die Sprache, aus der, trotz unzähliger Dissonanzen, das gegenseitige Verständnis der Diktatoren und der Autoritären, die gegenseitige Abneigung gegen die Sprache, aus der der ständige Zweifel klang, die systematisierte Kritik an bestehenden Autoritäten kam.

Als erster Gratulant fand sich bei Indira Gandhi die UdSSR ein, freilich mit etwas verkniffenem Gesicht. Sie war vom Ausnahmezustand, den Indira In der Nacht vom 25. zum 26. Juni proklamiert hatte, genauso überrascht worden, wie die Inder selbst,, wie die ganze Welt. Doch Moskau konnte sich nicht leisten, den Beleidigten zu spielen. Es ging doch um den großen Vertragspartner in Asien, den Pfeiler von Breschnjews Asienkonzepts der

Isolierung Chinas. Und die Männer In Moskau konnten sich auch denken, daß, bei aller Eigen Willigkeit der Dame in Neu-Delhi, der Zusammenbruch dieser letzten Brücke aus gemeinsamer Sprache und demokratischem Verständnis zwischen der Dritten und der westlichen Welt, zuletzt für sie positiv wirken werde. Die jugoslawischen Glückwünsche folgten den sowjetischen. Josip Tito wollte bei der Verlagerung des Akzentes in dem Gebilde, das er mit Sukarno, mit Nehru und mit Nasser geschaffen hatte, bei Akzentverschiebung von der Block-losigkeit auf die Dritte Welt, nicht so sehr ins Hintertreffen geraten. Dann kamen schon die Staaten der Dritten Welt. Aus keinem Staat kamen von Politikern und Presse vernehmbare deutliche Proteste. Viele Staaten Afrikas — Politiker und Presse — beglückwünschten Indira zu ihrer Tat. Fast alle Staaten Asiens begrüßten Indira Gandhis Indien nunmehr als nun samt und sonders einen der Ihren. Die Gratulation des Kaisers von Iran stellte sich ein, nach ihm kam Nordkoreas Kim II Sung. Die Erdölemirate im Golf zeigten ihre Begeisterung ebenso wie das unglückselige Bangla Desch. Arafat war begeistert, wie in Afrika Idi Amin. Erdölmillionäre und absolute Paupers waren in einer Reihe vereint, die heute die Front des neuen „Klassenkampfes“, des pervertierten Klassenkampfes der Dritten Welt gegen die Demokratien des Westens ist.

War Sukarnos „Afroasiatische Konferenz“ da noch eine Fiktion (denn die Staaten Afrikas und die Staaten Asiens hatten weniger miteinander gemein als mit Europa, mit dem Westen), so hat nun tatsächlich die Emotion die Massen der Staaten in der Dritten Welt ergriffen und ist zur Gewalt geworden: Es zeichnen sich die großen „Vergemeinsamer“ ab, ein aus der eigenen Dynamik sich steigernder Haß gegen den Westen, zu dem nun die Verachtung der Autoritären gegen die Demokraten, die Angst der Hierarchien vor dem Geist, der Hierarchien anficht, kommt.

Denn die Ideen, die aus dem Westen in den vergangenen Jahrhunderten als geschmuggeltes Gut des Kolonialismus nach Asien und nach Afrika kamen, die Ideen des Zweifels an Autorität und Gewalt haben zwar die Rebellionen des 19. Jahrhunderts und die Revolution des 20. Jahrhunderts in Asien ausgelöst. Jetzt aber, da die neuen Regimes und die neuen Hierarchien sich mit Hilfe dieser Ideen etabliert haben, sind sie ein gefährliches ^Importgut. Ist der letzte Herd des westlichdemokratischen Denkens in Asien verlöscht, gibt es Grund zu gegenseitiger Beglückwünschung.

In den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts lag eine Giftwolke über dem Westen: Der Rassismus der verschiedenen Herrenrassen, die Mystik des Abendlandes. Die Wolke hat sich 1945 verzogen — jetzt steht sie über dem Osten. Ein negativer Rassismus belebt die Mehrheit der Völker in Asien und in Afrika gegen den Westen — hört man in Asien gut zu. Und selbst in den „linken“ Kreisen redet man schon von westlichen „Rassen“.

Wird die kommende Auseinandersetzung gar kein Klassen-, sondern ein Rassenkampf? Und wie der Zweite Weltkrieg ein Kampf der Diktaturen gegen die Demokratien?

In Asien und Afrika stehen die Zeichen mehr denn je auf Sturm.

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