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Klima fur einen Brutus

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Die Herbsternte war gut, denn der Monsun hat den erwarteten Regen gebracht. Die Frühjahrsernte wird gut sein, denn im Winter gab es einige Regentage. Nach Krisenjahren kann man wieder an die Selbsternährung des Landes denken; sogar in Indien könnten die Menschen optimistisch sein. Doch zwischen den Ernten, im Dezember und im Jänner, tagte die Nationalkonferenz der regierenden Kongreßpartei und tagte das Parlament. Was aus der Parteikonferenz in der Corbusierstadt Chandigarh kam und aus dem Parlament im Machtzentrum New Delhi, zerstört den Optimismus, wenn Optimismus so etwas wie Rückkehr zur Demokratie bedeutet, Pessimismus die Stärkung des autoritären Charakters im Regime. Parteiresolutionen wurden gefaßt, Gesetze beschlossen, Verfassungsreformen werden vorbereitet, die Indira Gandhis autoritäre, jeder Kontrolle entzogene Macht stärken. Die Wahl, in diesem Jahr fällig, wurde auf 1977 verschoben.

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Die Herbsternte war gut, denn der Monsun hat den erwarteten Regen gebracht. Die Frühjahrsernte wird gut sein, denn im Winter gab es einige Regentage. Nach Krisenjahren kann man wieder an die Selbsternährung des Landes denken; sogar in Indien könnten die Menschen optimistisch sein. Doch zwischen den Ernten, im Dezember und im Jänner, tagte die Nationalkonferenz der regierenden Kongreßpartei und tagte das Parlament. Was aus der Parteikonferenz in der Corbusierstadt Chandigarh kam und aus dem Parlament im Machtzentrum New Delhi, zerstört den Optimismus, wenn Optimismus so etwas wie Rückkehr zur Demokratie bedeutet, Pessimismus die Stärkung des autoritären Charakters im Regime. Parteiresolutionen wurden gefaßt, Gesetze beschlossen, Verfassungsreformen werden vorbereitet, die Indira Gandhis autoritäre, jeder Kontrolle entzogene Macht stärken. Die Wahl, in diesem Jahr fällig, wurde auf 1977 verschoben.

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Indira Gandhis Macht ist unangefochten. Willkürlich setzt sie Unionsminister ab und ein. Die Premierminister der mit starken Föderativrechten ausgestatteten Provinzstaaten sind — bis auf drei — ihre Befehlsempfänger. Auch außenpolitisch ist Indira Gandhi als Führerin der stärksten Militärmacht Asiens in einer fast unangreifbaren Position. Moskau hat keine andere Wahl, als Indien zu hegen und zu pflegen, den wichtigsten Verbündeten gegen China. Die USA, assisitiert von der Bundesrepublik Deutschland, suchen den Sowjets zumindest den wirtschaftlichen Vorrang streitig zu machen. Wirtschaftlich braucht das autoritäre Regime niemandem Rechenschaft zu legen. Die Preise sind angesichts der guten Ernte stabilisiert. Doch in der Industrie hat sich die Rezession eingefressen. Wo die Zahl der politischen Häftlinge ein Staatsgeheimnis ist, wird auch die Zahl der Arbeitslosen nicht verraten. Neben der staatlichen Industrie kann Indira auch die Hilfe des größten Industriebarons, Birla, für sich mobilisieren.

Auf dem indischen Feld stehen fast alle Steine der Indira Gandhi auf günstigen Positionen. Ein Sieg Indiras bei der nächsten Wahl ist sicher. Der Ausnahmezustand könnte ohne Risiko für Indira aufgehoben werden. Doch der Ausnahmezustand wird verschärft, die Wahl wird verschoben. Warum?

Am 26. Juni 1975 zwang nicht die Opposition Indira Gandhi, den Ausnahmezustand auszurufen, sondern die Konspiration in ihrer eigenen Partei und ihre eigene innere Unsicherheit. Die Ministerpräsidehtin, in Allahabad wegen eines Wahlvergehens verurteilt, war fast soweit, daß sie von ihrem Amt zurückgetreten wäre und die Staatsführung dem loyalen Gefolgsmann Swaran Singh übertragen hätte. Sicherlich war sie, eine alternde Frau, und länger als ein Jahrzehnt ohne männliche Stütze, vereinsamt, wahrscheinlich auch müde. Da fand sie heraus — oder es wurde ihr zugetragen —, daß eine Konspiration von Kongreßbaronen nur auf ihre Resignation warte. In ihrer Verbitterung über die Intrige, in der Angst um die Einheit der Kongreßpartei, klammerte sie sich an die Macht. In der Unsicherheit ihres Geschlechts und ihres Lebensalters, klammerte sie sich an die

Männer der starken Hand — die ihr wahrscheinlich die Meldung von der drohenden Konspiration zugetragen hatten. Da aber die frondierenden Barone in der Kongreßpartei in einem Entscheidungskampf die Kräfte der Opposition für sich und gegen das Regime der Indira mobilisiert hätten, zerschlug Indiras Ausnahmezustand mit der Opposition außerhalb des Kongresses die Kraftreserven der Kongreßbarone.

Das Gefühl der unkontrollierbaren Macht erlöste sie von ihrer Unsicherheit und sie wurde bald die Gebieterin über die Männer mit der starken Hand. Aber das Gefühl der unkontrollierbaren Macht und der Apparat, der sich um die unkontrollierbare Macht lagert, unterliegen eigenen Entwicklungsgesetzen. Versprach Indira Gandhi in den ersten Monaten des Ausnahmezustandes immer wieder, der Demokratie zu neuem Leben zu verhelfen, so sprechen die neuen Gesetze eine andere Sprache, Aus der Angst vor einer innerparteilichen Konspiration ist der Ausnahmezustand entstanden. Die Angst vor einer innerparteilichen Konspiration läßt den Ausnahmezustand zum Normalzustand werden. Man hat die außerparteiliche Opposition aufgelöst, in die Illegalität getrieben, ihre Führer sind Schutzhäftlinge. Aber die Kongreßbarone sind noch in der Partei-und in der Regierungsführung; isoliert, zerschlagen, doch eine latente Gefahr, die immer ausbruchsbereit ist. Vor der Konferenz der Kongreßpartei wurde Swaran Singh, den Indira für den Getreuesten gehalten hatte, aus seiner Position als Verteidigungsminister entfernt; unter dem Verdacht, sich der Verschwörung der Barone angeschlossen zu haben. Während der Konferenz der Kongreßpartei gab es Verschwörungsgerüchte und vielleicht wirklich auch Verschwörungen, wie am Hof eines Mogulkönigs. Und die Gefahr der Kongreßspaltung und damit des indischen Zerfalls wird inoffiziell als Grund für die Verlängerung des Ausnahmezustands, die Verschiebung der Wahl, beides eigentlich auf unbestimmte Zeit, angegeben.

Von der Angst vor Verrat und Spaltung getrieben, beschlossen Kongreßkonferenz und Parlament drakonische Gesetze. Nach dem 26. Juni vergangenen Jahres wurden die verfassungsmäßigen Grundrechte der persönlichen Freiheit außer Kraft gesetzt. Schutzhaft ohne Angabe des Haftgrundes trat an die Stelle des Habeas corpus. Nun sind alle „sieben Grundfreiheiten“ gestrichen: Koalitionsfreiheit, freie Wahl des Wohnsitzes, Freiheit des Besitzes und der Wahl von Beruf und Erwerb. Damit ist nunmehr der Weg zu einer neuen Verfassung ohne Grundfreiheiten offen. Das Regimeparlament mit einer Mehrheit von Abgeordneten der Kongreßpartei und einer durch 50 Verhaftungen geschwächten oppositionellen Minderheit, durch die Pressegesetze schalldicht von der Öffentlichkeit abgeschlossen, wird alles beschließen, was Indira befiehlt.

Der Ausnahmezustand, zur Bewahrung der Einheit der Kongreßpartei und, was für Indira dasselbe ist, der Indischen Union, geschaffen, führt zur Hintertreppenpolitik. Unter der Decke eines neuen, wesentlich totaleren Absolutismus schwelen die Rivalitätskämpfe, greift die geheime Giftmischerei um sich. Man sagt, daß Indira Gandhi ihren leiblichen Sohn, Sanjai Gandhi, zum Thronfolger auserkoren habe. Die Männer der starken Hand wollen aber keine dynastische Thronfolge, sondern jeder sieht sich selbst bereits als Usurpator. So hat Indira Gandhi ihren Senat gezähmt, die Tribunen in die Gefängnisse geworfen; das Klima für Brutus geschaffen. Dann aber ist der Augenblick für jene gekommen, die in hoffnungsloser Situation dem Tota-litarismus die Anerkennung versagt haben.

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