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Neue Belastungsprobe für den Subkontinent

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Indiens Nordwest-Staat Pun-jab, jahrelang durch Aufstände sezessionistischer Sikhs geplagt, die schließlich zur Ermordung Indira Gandhis führten, ist erneut in Bewegung geraten. Ein im letzten Sommer zur Lösung des Autonomie-Problems vereinbarter Gebietsaustausch zwischen Punjab und dem Nachbarstaat Haryana sollte bis zum 26. Januar beendet sein.

Beide Bundesländer, vor allem deren Chefminister, möchten jedoch so wenig Boden wie möglich preisgeben. Sie fürchten, ihre Wählerschaft beschuldige sie des .Ausverkaufs der Heimat“, und dies wiederum gefährde ihre poli-

tische Zukunft und die heutige Machtkonstellation in der Region.

Angst um seine politische Position im indischen Nordwesten hat im Moment namentlich der Kongreß, die Partei von Premierminister Rajiv Gandhi. Seine Mutter Indira hatte sich mit legalen und illegalen Mitteln im Grenzgebiet zu Pakistan geradezu festgekrallt. Nach drei kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem traditionellen Gegner im Westen wollte sie kein Risiko eingehen und, um jederzeit militärisch präsent zu sein, auch die politische Kontrolle über die Region behalten. Deshalb ließ sie die Landtagswahlen von Mitte 1980 so manipulieren, daß die Wähler des

Punjab, deren Herzen mehrheitlich für die Sikh-Partei ,Akali Dal“ schlugen, plötzlich für den Kongreß stimmten.

Dieser Druck aus Delhi aber brachte die Sikh-Autonomisten, die vermehrt religiöse und politische Selbständigkeit forderten, in Rage. Ihr neuer Anführer, der frühere Dorfpriester Sant Bhin-dranwale, scharte bewaffnete Jugendliche um sich und startete einen Terrorfeldzug.

Kein Wunder, daß Rajiv Gandhis erstes Versprechen nach seiner Amtsübernahme als Regierungschef war, den Punjab, Herd für alles vergangene Unheil, zu befrieden. Zusammen mit dem prominenten Sikh-Führer Sant Longowal unterschrieb er im Sommer 1985 ein Abkommen, in dem den Punjabis alle jene Autonomie-Zugeständnisse gemacht wurden, zu denen sich Mutter Indira nicht entschließen konnte. Dazu gehörte die Absichtserklärung, alle punjabisprachigen Dörfer der Nordwest-Region und auch die Stadt Chandigarh, die

bisher dreigeteilt war, allein Punjab zuzusprechen.

Kaum war. das Papier signiert, traten aber auch schon die Hindus in den Nachbarstaaten Haryana und Rajastan auf den Plan, die ihren Teil vom Kuchen haben sollten. Für die Abtretung ihrer pun-jabisprachigen Regionen wollten sie einen entsprechenden Anteil am hindisprachigen Punjab erhalten. Das letztere versprach Haryana ein Dutzend Dörfer in der Grenzregion von Patiala. Doch der Chefminister von Haryana konnte diese Lösung seinen Leuten nicht verkaufen, ohne um seine politische Zukunft bangen zu müssen. Er wollte sich vor allem nicht von seiner bisherigen Hauptstadt Chandigarh trennen, ohne Zugang zu den reichen Baumwoll- und Zitrus-Regionen von Abohar und Fazilka zu erhalten, ein Gebiet ganz an der pakistanischen Grenze.

In diesen ersten Januar-Tagen 1986, kurz vor Inkrafttreten des Gebietsaustausches am indischen Tag der Republik, dem 26. Februar, ging es nun um das detaillierte Auseinanderdividieren des Vertrags zwischen Rajiv Gandhi und Longowal vom Sommer 1985.

Noch steht der letzte Entscheid in der Austauschfrage aus. Doch bleibt Punjab Sieger und behält es die ökonomische bedeutende Fazilka-Region, so bleibt der Chef minister Singh Barnal auch weiterhin an der Macht. Einen anderen Ausgang des Streits kann sich die Zentralregierung unter Rajiv Gandhi fast nicht leisten. Spricht sie sich gegen Barnal aus, würden die alten Wunden des punjabischen Sezessionismus neu aufbrechen.

Bereits in den vergangenen Tagen haben sich extremistische Jugendliche, allesamt Sikh-Gläubi-ge, im goldenen Tempel von Am-ritsar mit Slogans, aber auch mit Säbelrasseln bemerkbar gemacht. Würde Delhi Punjabs neugewonnene Würde und Selbstbewußtsein nur minimal verletzen,

wäre im chronischen Krisenherd bald wieder der Teufel los. Das heißt aber mit anderen Worten, daß Rajiv Gandhi um des Friedens in Punjab willen Haryana eine territoriale Absage erteilen muß, und daß Chef minister Bha-jan Lal nur mit einer Reihe von wirtschaftlich weniger prospektiven Dörfern für den Verlust von Chandigarh entgolten wird.

In einer späteren Phase sind ihm zwar ein großer Bewässerungskanal und schließlich einige Bundes-Millionen für den Bau einer neuen Metropole gewiß. Dennoch: mit der jetzigen Niederlage sind Bhajan Lais Tage an der Landesspitze von Haryana wahrscheinlich gezählt.

Und damit wäre gleichzeitig auch das Schicksal der hiesigen Kongreß-Regierung, die er anführte, besiegelt. Das heißt aber im Endeffekt, daß Rajiv Gandhis Regierungspartei im ganzen indischen Nordwesten weg vom Fenster ist: in Punjab, in Haryana, wo eine der nationalen Oppositions-Gruppierungen an die Macht kommen wird, und schließlich im Bergland von Jammu und Kaschmir, wo zwar im Moment eine von Delhis Gnaden getragene Puppenregierung Kongreß-Treue vorgibt, die Herzen der Kaschmir-Muslimen aber hundertprozentig für die oppositionelle Nationalkonferenz des früheren Volkshelden Sheikh Abdullah schlagen.

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