M. Singh: Ehrlicher Doktor mit buntem Haufen

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Demut ist keine oft anzutreffende Kategorie in der Politik. Deswegen überraschte der Verzicht von Sonia Gandhi auf den indischen Premiersposten nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern auch die Furche, die der vermeintlichen Ministerpräsidentin den letztwöchigen "Kopf der Woche" widmete. Zu Recht, Sonia Gandhi ist eine faszinierende Persönlichkeit, das hat sie mit ihrem Verzicht bekräftigt. Doch auch der neue indische Premier Manmohan Singh, ist in jedem Fall eine Würdigung in dieser Rubrik wert:

Wirtschaftsreformen mit einem menschlichen Antlitz, Bekämpfung der Armut, Stärkung der säkularen Grundfesten der indischen Republik: Noch bevor das Regierungsprogramm der neuen Koalition feststand, hat Singh dessen innenpolitische Eckpfeiler definiert und sich klar von seinem Amtsvorgänger Atal Bihari Vajpayee abgesetzt. Auch Singh hat großes Interesse daran, dass Indien eine seiner Größe gemäße ökonomische und politische Rolle in der Welt spielt. Der Kulturchauvinismus von Vajpayees Indischer Volkspartei (BJP) aber liegt ihm fern, als Angehöriger der religiösen Mindherheit der Sikhs hat Singh stets politischen und kulturellen Pluralismus befürwortet.

Die erste Chance, gestaltend tätig zu werden, erhielt Singh 1991. Indien stand vor dem Bankrott, als er das Finanzministerium übernahm und eine keineswegs unumstrittene Liberalisierung einleitete. Doch Singh blieb Victor Hugo treu, den er in seiner Antrittsrede mit den Worten zitiert hatte: "Keine Macht der Erde kann eine Idee aufhalten, deren Zeit gekommen ist." Ein modernes Indien brauchte nach Ansicht Singhs eine effiziente Wirtschaftspolitik, wobei er die zentrale Rolle des Staates in Grundbereichen wie Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit betonte.

Acht Jahre nach der Abwahl der Kongresspartei 1996 wurde Singh an diesem 22. Mai nun als Premier der ersten je vom Kongress geführten Koalition angelobt. "Architekt der Wirtschaftsreform" und "ehrlicher Doktor" waren da nur zwei der vielen positiv besetzten Beiwörter, mit denen der neue Regierungschef bedacht wurde.

Bis auf sein Alter von knapp 72 ist Singh ein in fast jeder Hinsicht untypischer indischer Politiker in den obersten Rängen. Mit Ruhe, Geradlinigkeit und Kompetenz verfolgte er nach seinem Wirtschaftsstudium eine Karriere als Akademiker (Oxford und Delhi School of Economics) und Bürokrat. Intrigen und politische Machenschaften liegen ihm so fern wie Machtgier und Dünkel. Nicht einmal Vorwürfe wegen Korruption oder Nepotismus sind gegen den Vater dreier Töchter laut geworden.

In den Jahren seit 1996 konnte er sich als Oppositionsführer im Rajya Sabha, dem Oberhaus, mit Verlässlichkeit und Kompetenz Sonia Gandhis Vertrauen erwerben. Deshalb schlug sie ihn für das Amt des Regierungschefs vor und erntete damit Anerkennung von vielen, auch kongressfeindlichen Seiten. Singh selbst hat sich weder 1991 noch 2004 vorgedrängt.

Singhs Kabinett spiegelt sein Bekenntnis zur Vielfalt Indiens wieder, selbst wenn er auf die alte Garde zurückgegriffen und nur wenige Frauen einbezogen hat. Auch die Fortsetzung der Friedensbemühungen mit Pakistan hat der Premier angekündigt. Bleibt als große offene Frage, wie er eine so bunte Koalition und seine eigene streitsüchtige Partei auf Kurs bringt und hält.

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