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Heißer Monsun

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Der Rechtsstaat hat einen Triumph errungen, an dem die politische Demokratie zugrunde gehen könnte. Indira Gandhi ist vom Landesgericht ihres Wahlkreises wegen Wahlkorruption verurteilt worden. Das Urteil entzieht ihr das Parlamentsmandat, zwingt sie zum Rücktritt. Die Verurteilung kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. Ihr Rücktritt wäre für ihre Partei und auch für Indiens Verbündete, die Sowjets, eine ernste Gefahr. Die Regierungspartei mußte eben eine Wahlniederlage einstekken, die erste, seitdem das Indira-Regime besteht. Und die Sowjets wollen mit einem stabilen Indien rechnen, wenn nach der Eröffnung des Suezkanals die Auseinandersetzung zwischen sowjetischer Marinepräsenz und westlichem Marinestützpunkt im Indischen Ozean strategische Bedeutung annimmt.

Um Zeit zu gewinnen, appellierte Indira vorerst an den Obersten Gerichtshof. Der begann Mitte Juli, in der feuchten Hitze des Monsuns, in Delhi seine Session. Unter den höchsten Richtern ist, dank Indiras Politik der Gleichschaltung und Ausrichtung auf ihren Willen, das englische Rechtsprinzip schon geschwächt, der politische Rechtsstandpunkt schon erkennbar. Sie hat also Chancen, doch durchaus nicht die Garantie, daß das Urteil kassiert wird.

So oder so wird der Rechtsspruch für die indische Demokratie wenig nahrhafte Folgen haben. Wird das Ersturteil kassiert, bleibt dennoch die Trübung des politischen Bildes der Ministerpräsidentin. Wird das Ersturteil bestätigt, ist eine demoralisierende und temporäre Platzhalterlösung oder gar ein Regime des Rechtsbruches so gut wie sicher. Indira Gandhi will nicht auf ihre Macht, die Kreise hinter Indira wollen nicht auf sie verzichten. Unter keinen Umständen wird die Opposition den Preis erringen, um den es geht. Doch die Kräfte der Opposition sind heute fast so, wenn nicht

Verkehrssicherheit — ein allgegenwärtiges Thema. Auch die endlich in Gang gekommene Diskussion über die skandalöse Langsamkeit beim Bau der Südautobahn steht unter dem Motto des Blutzolls, der auf der gänzlich unzulänglichen Triester Bundesstraße täglich für die Versäumnisse einer Regierung, die sich von ihren Aggressionen gegen das Auto nicht befreien, aber auch nichts besseres bieten kann, bezahlt wird. Wenn aber schon alles von der Verkehrssicherheit spricht, dann sollte man sich, bitte sehr, endlich auch zu der Einsicht durchringen, daß motorisierte Verkehrsteilnehmer ohne Führerschein einen sicherheitsfeindlichen Anachronismus darstellen. Ein überschießender Perfektionismus hat sich bereits den Führerschein für Segler auf der Alten Donau ausgedacht, aber ein Mopedlenker braucht noch immer keinen. Ein Mopedlenker, der etwa einen Lastwagenzug zu einem (für andere) tödlichen Ausweichmanöver zwingt, kann genau so katastrophale Unfälle heraufbeschwören wie jeder andere Kraftfahrer. Er hat mit dem Motorradfahrer wesentlich mehr gemeinsam als mit einem Radfahrer, und der Motorradfahrer braucht schließlich auch einen Führerschein. Na also.

ebenso stark, wie die Kräfte der Regierung. Gleichstarke Kräfte warten auf den Spruch des Obersten Gerichts. Und sie warten darauf, übereinander herzufallen, wenn Indira bleibt. Das Urteil, das die Hoffnung auf die Demokratie aus dem Tiefschlaf erweckte, kann zum Ende der Demokratie in dieser Republik der 650 Millionen Menschen führen.

Indiras Wahlkorruption ist für die abgehärtete Rechtsempfindsamkeit der heutigen Welt wahrhaftig geringfügig. Sie nahm bei ihrer Kampagne in ihrem Wahlkreis, einem der rückständigsten Territorien im Bundesstaat der Gangesebene, Uttar Pradesh, die Hilfe einiger Staatsbeamten an. Die Anklage ist aber nur die Spitze des Eisberges. Hinter der Bagatellaffäre stecken Verbitterung und Verzweiflung darüber, daß die Korruption mit der Staatsmacht und mit der Kongreßmacht bereits kongruent ist. Doch in Indien ist man weniger bereit, die Korruption als eine Lebenswahrheit hinzunehmen, als in den USA. Seit zwei Jahren arbeitet der Gandhi-Apostel und Held im Kampf gegen die Engländer, Jaiprakash Narayan, daran, die Empörung und die Ungeduld so zu verdichten, daß sie zur politischen Gewalt wird.

Die Opposition ist nur rhetorisch geeint, tatsächlich ist sie zersplittert. Zwischen Linkskommunisten und düsteren Hinduzeloten kann auch ein Sokrates nur schwer eine Synthese finden. Dieses Urteil aber könnte der Katalysator für eine Amalgamierung im Inneren der Opposition, der Stoß für den Aufbruch zur Macht werden.

Derlei Hoffnungen sind aber bald in Gujarat entwertet worden. Dort folgte einem Wahlerfolg der Opposition eine Regierungsbildung durch Männer der Opposition. Und die große Hoffnung der Opposition ist im Handumdrehen in eine allgemeine Enttäuschung über die Opposition verwandelt worden. Die alte Kongreßregierung in Gujarat war im vergangenen Jahr von einem Volksaufstand fortgeschwemmt worden. Die Staatsregierung, die sich nunmehr konstituiert hat, besteht aus „Oppositionellen“, die vor Jahren von Indira Gandhi wegen Korruption, Verkalkung, Unbrauchbarkeit aus dem Kongreß geworfen worden sind. An der Spitze steht der achtzigjährige Moraji Desai, der in besseren Zeiten als Premierminister von Bombay der Inbegriff von Heuchelei und Manipulation gewesen ist. Für ihn und seinesgleichen sind im vergangenen Jahr mehr als 200 Menschen unter Polizeisalven gefallen. Jetzt zögern viele in der Opposition, für seinesgleichen den immerhin beachtenswerten Kopf der Indira zu fordern.

Derzeit beginnt sich eine neue Front abzuzeichnen, die Moskau angeht. Im Kampf um die Folgen des Urteils steht Indira Gandhi mit der moskautreuen Kommunistischen Partei Indiens den Linken antisowjetischer Prägung gegenüber. Und von der Fixierung der USA-Vorherrschaft befreit, doch unter dem Schatten eines sowjetischen Einflußmonopols, beginnen gerade diese Gruppen der antisowjetischen Linken sympathisierende Gruppen in der Kongreßpartei, in „klassenfremden“ Kreisen zu finden. Die werden gefährlich für Indira und für die Sowjets, die in Indira die Garantie eines indischen Einsatzes für die sowjetischen Vorschläge im Indischen, Ozean sehen.

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