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Indiras roter Flirt

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Die Hochzeit des nepalesischen Kronprinzen Bireinda mit der Raija-prinzessin Laxmi Devi am 27. Februar 1970 wird der Rahmen eines Gipfeltreffens der asiatischen Geheimdiplomatie sein. Nepal ist ein idealer Treffpunkt; trotz Neckermann-Reisen noch immer relativ weltentlegen, trotz vieler Anfechtungen noch immer neutral. Daß der Himalayastaat mit Indien eng verbunden und vom kommunistischen China überschattet ist, dient nur der guten Sache. Denn indisch-chinesische Gespräche sind der große Geheimtip für Khatmandu; sollten die seit langem geplanten Gespräche zustande kommen, kann die Entwicklung zu einer Veränderung der politischen Situation in ganz Südasien führen. Unter den Gästen, die zu der Kronprinzenhochzeit eingeladen worden sind, gibt es zwei Ministerpräsidenten: Chinas Tschu En-lai und Indiens Indira Gandhi. Die Entspannung der indisch-chine-sichen Beziehungen ist seit dem Waffenstillstand zwischen den beiden Staaten nach dem Angriff der chinesischen „Befreiungsarmee“ auf die indischen Grenztruppen im Hima-laya 1962 ein wichtiges Anliegen der neutralistischen Kongreß- und Regierungsführer Indiens gewesen.

Doch die Politiker der Rechtsfraktionen in der Kongreßpartei versagten diesen Bemühungen ihre Unterstützung und Peking zeigte überhaupt keine Gegenliebe. Jetzt aber liegt die Führung der indischen Regierung in den Händen der Linken allein, der „neuen Kongreßpartei“, zugleich beginnt sich in Peking ein neuer außenpolitischer Kurs „Tschu En-laiismus ohne Tschu En-lai“ abzuzeichnen. Da aber der „alte Kongreß“, das rechte Syndikat, hellhörig und wachsam geworden, Indira Ghandi an der Reise nach Khatmandu behindern könnte, hat die Tochter Nehrus ihren Außenminister als persönlichen Vertreter zum Führer der indischen Hochzeitsdelegation ernannt; Dinesh Singhs Verhältnis zu Indira Gandhi kann man mit dem Verhältnis des indonesischen Außenministers Dr. Subandrio zu seinem Chef Sukarno in den Jahren vor 1965 vergleichen.

Kongreßspaltung: Belebung und Hoffnung

Indiens Politik ist als Folge der Spaltung der Kongreßpartei aus ihrer Lethargie der unangefochtenen und exklusiven Cliquen- und Kor-ruptionswirtschaft erwacht. Die Kongreßpartei, seit zwanzig Jahren das

Establishment mit einem Monopol auf Politik und Wirtschaft — ist endlich in zwei Teile zerfallen. Der linke „Neue“ Kongreß unter Führung der Indira Gandhi beruft sich auf Nehru und auf den sozialistischen Auftrag des Kongresses der klassischen Zeit. Der alte Kongreß, als Apparat und Organisationsführung, „Syndicate“ genannt, beruft sich auf die demokratische Tradition des klassischen Kongresses ohne den Mut zu haben, sich vom obligaten Lippenbekenntnis zum Sozialismus loszusagen. Rivalitäts- und Konkurrenzkampf ist ausgebrochen und übertönt auf dem ganzen Subkontinent der 550 Millionen Menschen alle sachlichen Diskussionen und Programme zur Bewältigung der regionalen Hungersnöte und einer allgemeinen Arbeitslosigkeit, die immer stärker um sich greift.

Indira und die Kommunisten

In dieser Situation will Indira Gandhi in der Außenpolitik die Initiative ergreifen. Da sie gezwungen ist, zur Sicherung ihrer Position als Regierungschef, sich innenpolitisch auf die beiden kommunistischen Parteien des Landes zu stützen, ist es naheliegend, auch eine Außenpolitik der Annäherung an die beiden

Großmächte des Kommunismus zu führen. Mit Moskau ist die Annäherung kaum enger zu gestalten. Vorbehaltlos steht die Moskaugesteuerte Kommunistische Partei Indiens hinter Indira Gandhi; fast vorbehaltlos unterstützt Indira Gandhi die internationale Politik der UdSSR. Erwartungsgemäß hat sie es 1968 abgelehnt, den sowjetischen Einmarsch in der CSSR zu kritisieren. Wunschgemäß assistiert sie der Sowjetpolitik im Mittleren Osten. Ihre Beziehungen zu den indischen Kommunisten chinesischer Prägung sind weit herber. „Wir halten Indira wie der Strick den Gehängten hält“ — eine Abwandlung der Empfehlung Sinowjews an die englischen Kommunisten zum Problem der Unterstützung der ersten Labour-Regierung 1926 — war schließlich die „Generallinie“ der indischen „Marxisten-Leninisten“. Sogar als Strick stellten sie der prospektiven Gehängten eine Bedingung: Verbesserung der Beziehungen Indiens mit dem kommunistischen China. Diese Bedingung zu erfüllen, bemüht sich Indira Gandhi und sie will die prochinesische Politik Nehrus neu beleben. Die Kämpfe nach dem Überfall der chinesischen Befreiungsarmee sollen in Vergessenheit geraten, auch wenn chinesische Trup-

pen heute noch südlich der Mac-Ma-hon-Linde auf erobertem Gebiet stehen, das Indien als indisch zurückfordert.

Frau Indira Gandhi hat den richtigen Moment gewählt, um einen „Modus Vivendi“ mit dem kommunistischen Nachbarn im Norden zu suchen. Dabei kommt ihr — als Gegenleistung für die indische Unterstützung des arabischen Nationalismus — von der Vereinigten Arabischen Republik politische und diplomatische Hilfe zugute. Versucht aber Indira als Führerin der „neuen Kongreßpartei“ und als indische Ministerpräsidentin eine neue Anwendung von Formeln der afro-asiatischen Politik aus den fünfziger Jahren zu finden, so kann sie den elementaren Unterschied zwischen dem Indien Nehrus und ihrem eigenen Indien nicht übersehen. In der Zeit der Hochblüte der afro-asiatischen Fiktion hing Moskaus Aufmerksamkeit an Nehrus Lippen. Seit der Spaltung der Kongreßpartei ist Indira Gandhi aber gezwungen, Moskau die Wünsche von den Lippen abzulesen. Vielleicht ist es aber gerade diese Abhängigkeit, die im indischen Ministerpräsidenten Frau Indira Gandhi Sehnsucht nach einem ausführlichen Gipfel-Gespräch mit Tschu En-lai geweckt hat.

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