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Feindkomplex namens Peking

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Indira Gandhi will Georges Fernandez zum indischen Staatsfeind und zum Landesverräter stempeln. Der Führer der Sozialistischen Partei konnte der Verhaftung entgehen und er arbeitet jetzt im Untergrund. Seine Schriften zirkulieren im ganzen Land und im ganzen Land sucht ihn die Polizei. Wird er gefaßt, sind die Anklagepunkte im Prozeß, der vorbereitet wird, schon außer Diskussion: Landesverrat, Politik im Interesse einer fremden Macht. In der offiziellen Schrift des Indiraregimes „Warum Ausnahmezustand?“ ist Fernandez's Finanzierung durch ausländische Quellen als eine der Antworten auf die rhetorische Frage bereits gegeben. Die indischen Sozialistenführer — fast alle in Haft oder im Untergrund — rechnen damit, daß Indira einen Schauprozeß inszinieren will — wenn sie Fernandez faßt.

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Indira Gandhi will Georges Fernandez zum indischen Staatsfeind und zum Landesverräter stempeln. Der Führer der Sozialistischen Partei konnte der Verhaftung entgehen und er arbeitet jetzt im Untergrund. Seine Schriften zirkulieren im ganzen Land und im ganzen Land sucht ihn die Polizei. Wird er gefaßt, sind die Anklagepunkte im Prozeß, der vorbereitet wird, schon außer Diskussion: Landesverrat, Politik im Interesse einer fremden Macht. In der offiziellen Schrift des Indiraregimes „Warum Ausnahmezustand?“ ist Fernandez's Finanzierung durch ausländische Quellen als eine der Antworten auf die rhetorische Frage bereits gegeben. Die indischen Sozialistenführer — fast alle in Haft oder im Untergrund — rechnen damit, daß Indira einen Schauprozeß inszinieren will — wenn sie Fernandez faßt.

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Der Ausnahmezustand ist nun fast zwei Monate alt. Der Polizeistaat ist schon Alltag. Das Parlament hat in Quarantäne getagt. Die Opposition war durch Verhaftungen dezimiert und alle ihre Worte, ihre Proteste, sind von der Zensur erstickt worden. Indira Gandhi hat in den Städten die Zügel unangefochten in Händen. Die alte Bürokratie, nun autoritär geschützt, herrscht willkürlich in den fernen Dörfern. Doch auf einem Landkoloß von dreieinhalb Millionen Quadratkilometern, auf dem sechshundert Millionen Menschen leben, gilbt es auch für einen der geschicktesten Diktatoren nicht das Gefühl der Sicherheit. Indira aber will sich sichern.

Die Ministerpräsidentin faßt die Opposition mit den summarischen Bezeichnungen zusammen, die jedes autoritäre Regime für seine Gegner hat. Doch einen Gegner wagt sie nicht zu nennen; den Separatismus der Tamilen in Tamil Nadu, an der Südspitze des Subkontinents. Und zwei Gegner nennt sie mit Namen: Jaya Prakash Narayan, als den politischen Schlafwandler, um den sich die Feinde ihres Indien gesammelt hätten, und Georges Fernandez. Indiras dauerhafter Haß ist berüchtigt...

Dem Wortlaut der offiziellen Broschüre getreu, meldet die gleichgeschaltete Presse das Vorgeschriebene: „Fernandez wird von ausländischen Mächten finanziert“. Da die Regentin zur Zeit aher innenpolitisch und wirtschaftlich nach rechts zieht, mit den sowjettreuen Kommunisten im Schlepptau, erscheint der altbewährte CIA-Verdacht nun nicht mehr zeitgemäß. So melden die Zeitungen: „Geldbezüge aus Japan“. Man wird deutlicher: „Geld aus China“. Indira Gandhi will die Rechnung aus dem vergangenen Jahr begleichen.

Georges Fernandez hat nämlich im vergangenen Jahr das Indira-Regime einige Wochen lang das Fürchten gelehrt. Eigentlich begann ja der Ausnahmezustand schon damals, im Aprü 1974; er galt den Gewerkschaften. 350.000 Eisenbahnarbeiter hatten Forderungen erhoben, die wahrhaftig Minknalforderungen waren. Die Regierung lehnte ab. Aus Indiras

Gesicht verschwand plötzlich die mütterliche Gewerkschaftsfreundlichkeit und ihre neue Härte zwang die Eisenbahner, ihre Drohungen zu verwirklichen. Was in Indien noch als das letzte Mittel gilt, der Generalstreik, wurde beschlossen und durchgeführt.

Dem Generalstreik begegnete Indira Gandhi schon mit allen klassischen Mitteln des repressiven Staates — des kommunistischen, faschistischen, des autoritären. Die hohen Beamten der Eisenbahnen sind, wie die Piloten der indischen Zivilluftfahrt, Offiziere , der Streitkräfte. Die Bahndirektoren und -Inspektoren und -Superintendenten trugen die Uniformen von Majoren und Obersten. Das Militär schaltete sich ein. Und im entscheidenden Augenblick schalteten sich die moskaukommunistischen Gewerkschaften aus der Streikfront aus. Sie brachen den Generalstreik. Georges Fernandez, der Führer des Streiks, war mitten in der Aktion verhaftet und erst nach dem Streik freigelassen worden. Zurück blieben tausende

Eisenbahner in den Gefängnissen, wo sie, zusammen mit ungefähr 18.000 Mao-Kommunisten, laut „Economic and Political Weekly“, Bombay, vom September 1974 ohne Urteil und unbefristet sitzen.

Und zurück blieb der Haß der Tochter Nehrus gegen Georges Fernandez, der allein, von allen Oppositionellen, den Mut gehabt hatte, ihr die Stirne zu bieten, ihrem Staatsapparat Widerstand zu leisten.

Georges ist ein unindischer Politiker, ein unindischer Arbeiterführer. Er kommt nicht aus dem politisierenden Brahmanentum, sondern von unten. Die indischen Gewerkschaften werden alle von Intellektuellen geführt, von gewählten Kommissaren aus den Parteien. Der Beginn für Fernandez war die Arbeit in der Transportarbeiter- und Taxifahrergewerkschaft in Bombay, dann die Führung dieser Gewerkschaften. Sicherlich hatte Georges damals noch etwas von einem Labourboß. Diesen Zug hat er aber in den zwanzig Jahren seines Weges an die Spitze der Eisenbahnergewerkschaft und einer sozialistischen Föderation gründlich abgelegt. Wenn es in Indien einen echten Arbeiterführer gibt, so ist er es. Er spricht auch nicht, wie Jaya Prakash Narayan, die Sprache der Elite. Und er sagte auch nicht, wie Jayaprakash Narayan, vor der Verhaftung: „Wie kann Indu (Kosewort für Indira) mir das antun?“ Er hat mir nach dem Eisenbahnerstreik gesagt: „Wir sind beide auf den Paschismus vorbereitet, sie (Indira) und ich.“ Und er wartete, als auf ihrer Seite das Vorbereitungssta-dium zu Ende war, nicht auf die Verhaftung. Er tauchte unter und organisierte den ersten Apparat der Illegalität im „Freien Indien“. Seine Eisenbahner verteilen in ganz Indien die Schriften des Vorsitzenden ihrer Gewerkschaft.

Die Exekutive sucht zugleich nach Spuren, die zu Georges Fernandez führen, und nach Spuren, die von ihm nach Peking weisen. Es gibt da einen Brief, den er nach Peking geschrieben hat. Es ist ein Protest-schreiben gegen die Unterdrückung eines Eisenbahnerstreiks in China. Vielleicht läßt sich aber aus diesem Brief doch auch „Brüderliches“ mit dem Feind herauslesen? Und hatte Fernandez nicht auf den internationalen Konferenzen der Transportarbeiter und der Eisenbahner Möglichkeiten genug, Verbindungen mit dem Feind aufzunehmen? Vielleicht laufen geheime Verbindungen über die radikalen Gewerkschaften der japanischen Föderation Sohyo nach Peking? Armee, Rüstungsindustrie, Polizei und Geheimpolizei sind mit großem Aufwand zu großartiger Effizienz gebracht worden. Alles ist gegen Fernandez und auch gegen China aufgeboten.

Der Ausnahmezustand und die antichinesische Propaganda gehen Hand in Hand. Ein echter Erbfeind-komplex gegen Peking wird hochgezogen, hinter dem nicht nur Dienstbarkeit gegenüber der UdSSR steckt, sondern auch die Rivalität um die Position der führenden Groß- und Militärmacht in Asien. In dieser Situation wäre eine gelungene Verknüpfung des äußeren mit dem inneren Feinde eine glänzende Rechtfertigung der jungen Diktatur. Gelingt es, Peking zum Rückhalt der Opposition und des Widerstandes, und den Widerstand zur Fünften Kolonne Pekings zu stempeln, dann kann man damit die nationalistisch aufgeputschte Volksmehrheit für sich, gewinnen und zugleich der UdSSR den innenpolitischen und wirtschaftlichen Rechtskurs schmackhaft machen.

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