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Mit den Mitteln des Mittelalters die modernen Probleme lösen?

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Bassam Tibis Bücher sind ebenso anregend wie irritierend. Wenn man, nach neunmaliger Erklärung der These innerhalb eines Kapitels, dann noch Sätze liest wie „...derzeitige Revolte der islamischen Zivilisation ... - die eine Revolte gegen den Westen ist” und ständig Rückgriffe auf „... den schon zitierten Regriff...” vorgesetzt bekommt, dann ist man versucht, Tibis Kritik arabischer Rhetorik, die mit immer neuen Formulierungen genußvoll dasselbe sage, auf ihn selber anzuwenden. Tibis Bücher wären ohne Bedundanz um vieles lesbarer, aber auch um mehr als die Hälfte dünner. Das Abspecken würde vielleicht dem Verlag nicht gefallen. Und der Markt solcher Bücher sind ja die Bibliotheken, da rechnen sich umfangreiche besser als schmale. Auf die Hälfte abgespeckte Bücher wären aber jedenfalls doppelt so anregend.

„Krieg der Zivilisationen” wurde im Zusammenhang einer laufenden Diskussion auf internationaler Ebene über die Zukunft des im Werden befindlichen Weltsystems geschrieben. Vor allem nimmt Tibi mit dem Buch Stellung zu den Thesen Samuel P. Huntingtons, des prominenten Harvard-Professors für Internationale Beziehungen. Der „wagt sich in seiner weltweit beachteten ... Studie über den Zusammenprall der Zivilisationen mit seinem Erklärungsmodell ... über den Staat als Grundeinheit der Weltpolitik hinaus.” Dabei werde die Grundeinheit die Zivilisation sein, wobei Huntington sieben entscheidende Zivilisationen nennt: den Westen, den Islam, den Konfuzianismus, die japanische Zivilisation, den Hinduismus, die orthodoxe slawische Zivilisation und den Latino-Amerika-nismus. Afrika bleibt vorläufig als Zivilisation Undefiniert.

In Bassam Tibis Sicht nimmt der Konflikt zwischen der islamischen und der westlichen Zivilisation besondere Schärfe insofern an, als nur diese beiden Zivilisationen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Die islamische Zivilisation sei so, wie sie sich heute darstellt, unvereinbar mit globalen Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte. Insgesamt treffe das auch auf die anderen nichtwestlichen Zivilisationen zu, wenn auch nicht so absolut wie im Fall der islamischen Gesellschaft.

Doch „ungeachtet der Unterschiede zwischen jeweils eigenständigen lokalen Kulturen muß es eine Basis für Vergleichsmöglichkeiten geben, welche allgemeine, für alle Menschen gültige Schlußfolgerungen zuläßt. Eine internationale Moralität... zwischen Nationen ist dringend erforderlich.”

Tibi stellt sich in diesem Zusammenhang gegen westliche Multikul-turalisten, deren Voreingenommenheit sie daran hindere, den Zivilisationskonflikt zu verstehen. Von ihnen werde jede Kritik an orientalischen despotischen Regimen sofort als euro-zentristischer „Orientalismus” gebrandmarkt. Dabei verbergen oder ignorieren die Multikulturalisten, mochte ich hinzusetzen, daß die berüchtigte Scharia nicht, wie meist behauptet, aus göttlicher Offenbarung stammt, sondern eine Interpretation des Korans durch mittelalterliche Rechtsgelehrte ist.

Ob im Islam oder in anderen Zivilisationen, die Adoption des Prinzips der Menschenrechte müsse jedenfalls durch eine entsprechende innere Entwicklung erfolgen, betont Tibi: „Menschenrechte sind das Produkt der Entfaltung des Subjektivitätsprinzips, das heißt einer anthropo-zentri-schen Weltsicht und der damit korrespondierenden, die individuelle Freiheit bestimmenden legalen Untermauerung.” Erste Ansätze zu einem positiven Überdenken dieser Problematik fänden sich sehr wohl in islamischen Ländern, vorläufig gingen sie aber noch unter in einem Meer von Apologien des Bildes vom islamischen Menschen, wie es im Mittelalter gezeichnet wurde. Es sei im übrigen daran erinnert, daß die Nazis ein ähnliches pseudo-mittelalterliches Bild vom Menschen zu proklamieren versuchten, in ihrem Fall vom arischen Menschen. Doch scheint es in der Logik der Dinge zu liegen, daß früher oder später die Praxis diesen Traum von einer guten alten Zeit widerlegt.

Die Islamisten traten schließlich an, mit den Prinzipien des Mittelalters die Probleme der Neuzeit zu lösen. Nicht als Übernahme fremder Prinzipien, sondern in der üblichen Art des Menschen, über Irrtümer und Fehler zu Lösungen zu gelangen, wird auch die islamische Zivilisation dahin kommen, adäquate Problemlösungen zu entwickeln. Und natürlich wird dann von anderen Zivilisationen übernommen, was für sie brauchbar ist.

Allem Anschein zum Trotz bietet ja schließlich auch der Koran Möglichkeiten, jede Art Kultur als richtig zu beweisen. „Der Koran ist in gewisser Hinsicht ein arabisches Geschichtsbuch der Jahre 610 bis 632.” Vor der Gründung des ersten Stadtstaates in Medina wird nicht über Krieg oder Frieden gesprochen. Nach dieser Gründung begann eine Periode von Kriegen. Je nachdem, welchen Vers welcher Sure man zitiert, lasse sich alles aus dem Koran begründen, was man begründen will, Koexistenz ebenso wie absoluter „Heiliger Krieg”. Ein enormes Hindernis für die Koexistenz zwischen Islam und dem Rest der Welt sei aber doch die islamische „Forderung nach Frieden”, wobei „Frieden” als Unterwerfung unter den Islam definiert wird. Also die gleiche Definition wie die der Kommunisten, die weltweiten Frieden nach ihrem weltweiten Sieg versprachen.

Die häufigen Parallelen zu verschiedenen Aspekten der westlichen Zivilisation, einschließlich der Perioden von absoluter Unduldsamkeit, sind im übrigen kein Zufall - schließlich haben Islam und Christentum mit dem Alten Testament teilweise gemeinsame Wurzeln.

Es ist schade, daß Tibi gegen Ende Samuel Huntington ganz vergessen zu haben scheint. Die kurzen Erwähnungen von Meinungen prominenter

Redner aus allen Lagern zu ähnlichen Problemen bei diversen Veranstaltungen in London, Amsterdam, Stuttgart und auf dem Römerberg, aufge-mascherlt durch ein Fazit, genügen denn doch nicht für einen überzeugenden Abschluß. Es bleibt also der Eindruck, Bassam Tibi habe zwar viele sehr gute Ideen, aber durch seine vielen Verpflichtungen offenbar zu wenig Zeit, sie alle wirklich auszuarbeiten. Besonders über den Kulturrelativismus hätte er dabei viel Treffendes zu sagen gehabt.

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