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Volkstribun auf Zickzackkurs

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Edmund Gerald Brown junior, als „Jerry“ Brown bekannt, ist Gouverneur des volkreichsten US-Bundesstaates Kalifornien und, neben Ted Kennedy, jener Demokrat, der Präsi- * dent Jimmy Carter die größten Sorgen bereitet. Anders als Kennedy, der immer wieder betont, er wolle Carter nicht aus dem Weißen Haus verdrängen, macht Brown aus seinen Präsidentschaftsambitionen kein Hehl.

Brown trat 1976 in den innerparteilichen Vorwahlen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur in sechs Bundesstaaten, darunter Kalifornien, gegen Carter an und schlug ihn in allen sechs Bundesstaaten. Aber Carters Kampagne hatte viel früher begonnen und sein Vorsprung war nicht mehr aufzuholen.

Brown schätzt Carters Führungsqualitäten äußerst negativ ein und meint, daß Carter 1980 gegen fast jeden republikanischen Kandidaten unterliegen würde. Anderseits gilt aber auch Jerry Brown vielen seiner Parteifreunde als Schnittlauch auf allen Suppen. Denn der knapp über vierzigjährige Politiker ist aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als sein Vater Pat Brown, der Richard Nixons erste politische Karriere beendete, als sich dieser nach seiner Niederlage gegen John F. Kennedy um den Gouverneursposten von Kalifornien bewarb. Pat Brown siegte und wurde ein sehr populärer Landesvater.

Jerry Brown, der Sohn, wollte ursprünglich Priester werden und studierte mehrere Semester an einem Jesuitenseminar, wurde dann aber Anwalt mit einer Schwäche für asiatische Kulte. Politisch stand er am linken Flügel der kalifornischen Demokraten und war ein lautstarker Gegner der amerikanischen Engagements in Vietnam. In der Zwischenzeit ist er so weit nach rechts gerückt, daß er die Demokratische Partei Kaliforniens in schwere ideologische Konflikte stürzte.

Er ist ein Mann von vibrierender Intelligenz, geladen mit Ungeduld und Spannung, ein Politiker, der sich um klugen Rat und gesunden Menschenverstand nicht viel kümmert, da er glaubt, über visionäre Kräfte zu verfügen. Was er für richtig erkannt zu haben glaubt, wird ihm zur absoluten Wahrheit, auch wenn er tags zuvor noch das Gegenteil verkündet hat.

Manche nennen das politischen Realismus. Andere sehen in Jerry Brown die Verkörperung von schrankenlosem politischem Opportunismus. Ursprünglich war ihm nichts zu teuer, wenn es um Sozialhilfe, Slum-Erneuerung oder staatliche Förderung oft utopischer Projekte ging. Die Demokratische Partei Kaliforniens war unter Brown die am weitesten links stehende von allen US-Bundesstaaten.

Doch der stimmenstarke Mittelstand revoltierte gegen die hohen Steuern, und die demokratischen Politiker rückten zur Mitte und wurden, konservativer. Sparen gilt in den USA seit einiger Zeit als politische Tugend, sparen will jetzt jeder, besonders aber Jerry Brown.

Jerry Brown: Carters gefährlichster Gegner im eigenen Lager

Photo: Schimke

Seine große Umkehr wurde durch ein politisches Elementarereignis herbeigeführt. Ein Nichtpolitiker namens Jarvis erzwang in Kalifornien eine Volksabstimmung, bei der den Bürgern im Juni 1978 die Frage vorgelegt wurde, ob dem fast automatischen Steigen der Steuern - insbesondere auf Haus- und Grundbesitz - Einhalt geboten und eine Obergrenze für die Besteuerung festgelegt werden sollte.

Als eine überwältigende Mehrheit für Höchstgrenzen entschied, erkannte Brown, wo seine Zukunft lag. Er „bekannte seine Fehler ein“, verurteilte, was bis zur Abstimmung für ihn „Auftrag“ gewesen war, und ernannte sich zum Vollstrecker des Volkswillens. Damit nicht genug, riß er gleich das Banner der Sparer ganz an sich. Er gründete eine Bewegung, die Washington zu ausgeglichenen Staatshaushalten verpflichten und dies in der Verfassung verankern will. 34 Gliedstaaten der USA müßten zustimmen, um eine zur Änderung der Verfassung befugte Sitzung einzuberufen.

Die Bundespolitiker nahmen Browns Initiative anfangs nicht ernst. Wer kann ohne Defizite heute noch regieren? Und hatte nicht schon Jimmy Carter selbst das Staatsdefizit erheblich verringert? Als aber nacheinander 29 Staaten Browns Vorschlag zustimmten, begann die Sache Washington unheimlich zu werden. Carter sah sich plötzlich links von Ted Kennedy und rechts von Jerry Brown eingekreist.

Als dann auch noch in Harrisburg der schwere Reaktorunfall geschah und fast zur Evakuierung von Hunderttausenden Menschen geführt hätte, befürchtete man, daß Jerry Brown zum Frontalangriff schreiten würde, denn er ist seit jeher ein fanatischer Gegner der Kernenergie. Zwar legte er in Kalifornien sogleich einen ähnlich wie das Harrisburger Modell konstruierten Reaktor zur Uberprüfung still, doch Browns Angriff auf die Energiepolitik der Regierung blieb bis jetzt aus.

Jerry Browns überrumpelte Gegner beginnen sich zu sammeln. Die Demokraten in Kalifornien und anderen Bundesstaaten setzen sich von ihm ab, weil sie hinter seinen Initiativen rein taktische Absichten vermuten, die auf die Dauer nur den Republikanern nützen könnten. So erlitt Brown vor wenigen Tagen in New Hampshire einen Rückschlag, der den jungen Politiker mit dem guten Gespür für Stimmungen offenbar veranlaßte, wieder einmal etwas leiser zu treten.

Zunächst flog er mit einer Schlagersängerin, die manche Beobachter als seine Braut bezeichnen, nach Afrika, denn die Afrikapolitik des Weißen Hauses dürfte allen, die sich auf Carter einschießen, das nächste Angriffsziel bieten.

Der politische Stil Jerry Browns dürfte nicht dazu angetan sein, eine breite Wählermehrheit zu faszinieren. Spricht man heute nach zweijähriger Carter-Präsidentschaft von einer widersprüchigen, unprofilierten Amtsführung, so ist die unberechenbare Zickzackpolitik Jerry Browns dazu sicher keine reizvolle Alternative.

Mag sein, daß sich ein Teil der jungen Wähler, der Intellektuellen und jener angesprochen fühlt, die Individualismus einem schlecht funktionierenden Apparat vorziehen. Aber sicher nicht jene, die sich durch Carters Unsicherheit führerlos fühlen und auf einen „Charismatiker mit gesundem Menschenverstand“ warten. Ein solcher fehlt, aber es scheint unwahrscheinlich, daß der Wähler deshalb bereit ist, von Experiment zu Experiment zu wechseln.

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