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Statt Weltpolizist in Hinkunft Friedensstifter

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Am Abend des Tages, an dem US-Präsident Jimmy Carter seinen Budgetvorschlag dem Kongreß zuleitete, legte er vor beiden Häusern in der „Botschaft über den Zustand der Nation“ einen Rechenschaftsbericht ab.

Die Rede gebar zwar zu den zahlreichen politischen Leitworten der Vergangenheit („New Deal“ - F. D. Roosevelt, „New Frontier“ - J. F. Kennedy) ein neues: „New Foundation“ (Neues Fundament). Aber sie befaßte sich eigentlich ausführlich nur mit der Inflationsbekämpfung und dem Abrüstungsabkommen SALT II, das zwar noch nicht unterzeichnet ist, dessen Abschluß der Präsident aber eigentlich vorwegnimmt.

Das Thema Inflation wurde demnach immer wieder abgewandelt und variiert: durch Appelle an Gewerkschaften und Unternehmen, sich zum Wohl des Landes einzuschränken (bekanntlich sollen Preise um nicht

mehr als fünf Prozent steigen und Lohnforderungen sieben Prozent nicht überschreiten); durch die Forderung, die Spitalskosten abzubauen; durch Versprechen, sparsam zu wirtschaften und wo irgendmöglich die Bürokratie zu beschneiden.

Hier verwies der Präsident auf die Ausnahme der zivilen Luftfahrt aus der Preisregelung und kündigte ein ähnliches Vorgehen gegenüber Eisenbahnen und Buslinien an. Schließlich folgte ein Appell an die Gesetzgeber, das „magere aber soziale“ Budget zu beschließen. Es stellt eine Kürzung des Defizits von etwa 40 Milliarden Dollar auf rund 29 Milliarden in Aussicht und wird das politische Schlachtfeld der nächsten Monate darstellen. Denn jeder will die Ausgaben auf Kosten des anderen gekürzt wissen.

Nicht zuletzt ist die wirtschaftliche Lage des Landes deshalb so prekär, weil Carter seine Regierungstätigkeit mit Konjunkturspritzen begonnen hat, die zwar die Arbeitslosigkeit um 25 Prozent reduzierten, zugleich aber die Inflation auf das doppelte anschwellen ließen. Nun will man das Wirtschaftswachstum vorsichtig drosseln, rechnet mit einer „geringfügigen“ Zunahme der Arbeitslosigkeit und hofft auf eine Reduzierung der Inflationsrate auf etwa sechseinhalb Prozent.

Sieht Carter in einer gesunden Wirtschaft eine Säule seiner „New Foundation“, so in der Erhaltung des Friedens die andere. Der Realismus gebiete, die Rolle des Weltpolizisten aufzugeben und die des Friedensstifters zu übernehmen. Für den Na-

hen Osten wirdein neues CampDavid angedeutet, wenn sich Israel und Ägypten nicht aus eigenen Stücken einigen können. Über das häufig diskutierte „amerikanische Debakel“ in Iran wird gleichfalls mit dem Hinweis auf die Rolle als Friedensstifter hinweggeglitten. Die S pannun-gen um China und Vietnam wurden überhaupt nicht erwähnt, was als Verniedlichung kritisiert wurde.

An die Sowjetunion wurde die Mahnung gerichtet, den Trend zur Rüstungsbeschränkung zu verstärken. SALT II liege im Interesse beider Supermächte, und Carter will kein Abkommen unterzeichnen, das nicht die amerikanische Sicherheit fördert.

Tatsächlich ist Carters Lage zu Beginn dieses politisch entscheidenden Jahres, in dem die Weichen für 1980 gestellt werden, schwierig. Da ein „mageres“ Budget Streichung verschiedener Sozialleistungen bedeutet, setzt er sich scharfen Angriffen des unter Senator Edward Kennedy immer lauter werdenden linken Flügels aus. Dort stehen jedoch die Schwarzen und andere rassische Minderheiten, das städtische Proletariat und andere starke Wählergruppen, die dem Präsidenten in kritischen Wahlkreisen 1976 zum Sieg verhalfen.

Carter braucht aber auch die Stimmen dieser liberalen Senatoren, um die Zwei-Drittel-Mehrheit für sein SALT-Abkommen im Senat zu sichern. Die Konservativen muß er durch Rüstungssteigerungen und Austerity besänftigen, da das Land deutlich nach rechts tendiert.

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