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Von Empörung zu Zynismus

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Die mit großer Spannung erwartete Erklärung Präsident Nixons zu den Watergate-IIearlngs des Senatsausschusses bedeutete für Freund und Feind eine gewisse Enttäuschung. Enttäuscht wurden jene, die eine detaillierte Zurückweisung aller erhobenen Anschuldigungen, verbunden mit «inem Gegenangriff, erwartet — enttäuscht wurden aber auch jene, die ein konziliantes Einlenken erhofft hatten. Das Schwarzweißende des Western-thrillers ist ausgeblieben, weil der schlaue Politiker Nixon erkannt hatte, daß es nicht in seinem Interesse liegt, öl in das allmählich ausgehende Watergate-Feuer zu schütten. Wöchentlich 22 Stunden Television-Watergate-Show, 7500 Seiten Zeugenaussagen, die nicht mehr aufnehmbare Flut von Presseberichten, bei denen man Fakten von Annahmen und Verdächtigungen nicht mehr unterscheiden konnte, haben das Publikum abgestumpft und die anfängliche Empörung in Zynismus A'erwandelt.

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Die mit großer Spannung erwartete Erklärung Präsident Nixons zu den Watergate-IIearlngs des Senatsausschusses bedeutete für Freund und Feind eine gewisse Enttäuschung. Enttäuscht wurden jene, die eine detaillierte Zurückweisung aller erhobenen Anschuldigungen, verbunden mit «inem Gegenangriff, erwartet — enttäuscht wurden aber auch jene, die ein konziliantes Einlenken erhofft hatten. Das Schwarzweißende des Western-thrillers ist ausgeblieben, weil der schlaue Politiker Nixon erkannt hatte, daß es nicht in seinem Interesse liegt, öl in das allmählich ausgehende Watergate-Feuer zu schütten. Wöchentlich 22 Stunden Television-Watergate-Show, 7500 Seiten Zeugenaussagen, die nicht mehr aufnehmbare Flut von Presseberichten, bei denen man Fakten von Annahmen und Verdächtigungen nicht mehr unterscheiden konnte, haben das Publikum abgestumpft und die anfängliche Empörung in Zynismus A'erwandelt.

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Die von blindem politischem Eifer getriebene Kampagne gegen den Präsidenten hat ihr Ziel — seinen Rücktritt — nicht erreicht, ihre Munition verschossen und muß jetzt abbauen.

Der amerikanische Hang zur Oberflächlichkeit — von vielen verurteilt, im ganzen vielleicht aber doch gesund — hat obsiegt, wie er bei den

Studentenunruhen oder den brennenden Ghettos die Oberhand behalten hat. Die amerikanischen Hochschulen sind heute wieder akademische Institute, während viele deutsche Universitäten in den ideologischen Nahkämpfen ihren Zielen entfremdet werden.

Die Narben von Watergate werden freilich noch im politischen Leben der USA lange sichtbar sein. Aber die aktive Gefahr der Selbstzerflei-schung ist durch die konstruktive Neigung, sich an praktischen Problemen zu bewähren, überwunden. Schon im Oktober wird Nixon seine geplante Europareise antreten und in den nächsten Wochen zu verschiedenen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen Stellung nehmen. Der amerikanische Präsident besitzt die Fähigkeit, Taten zu setzen und damit Nachrichten zu schaffen, die Watergate aus den Schlagzeilen verdrängen werden.

Dabei sollte man, wenn man fast täglich mit neuen Enthüllungen um Watergate und neuerdings auch um den Vizepräsidenten Agnew konfrontiert wird, annehmen, daß der ganze

Riesenapparat der US-Administration schon längst unter Knirschen und Funkensprühen zum Stillstand gekommen wäre. Daß der Präsident unter einer derartigen Lawine von Beschuldigungen, Verdächtigungen und mißgünstiger Publizität begraben und funktionsunfähig geworden wäre.

Entgegen diesen Vorstellungen geht jedoch der administrative Alltag weiter, werden wichtige außenpolitische, wirtschaftspolitische und andere Entscheidungen getroffen — sicherlich nicht so unbeschwert wie vor Watergate — doch geboren aus der Erkenntnis, daß sich auch dieser Sturm legen wird und daß die konstruktive Kleinarbeit mehr beitragen kann, das zerstörte Prestige der Regierung wieder aufzubauen, als große politische Gegenkundgebungen. Freilich gab es den sogenannten Gegenangriff des Präsidenten. Aber Watergate ist im Begriff, abzuklingen, der Senatsausschuß wird nach der Sommerpause im September nur noch wenige öffentliche Sitzungen abhalten und seine Arbeit von einem Stab fortsetzen lassen. Diese Stabsanwälte haben sich vielfach als zelotischer als die „Funktionäre“ erwiesen, während die Senatoren eine gewisse Sättigung in der Bevölkerung wahrnahmen und daher jetzt abbauen. Diese gewiegten Politiker, die tagein, tagaus vor den Fernsehkameras amerikanischen Moralismus predigten, befürchten scheinbar, aus Nixon einen Märtyrer, zu machen. Sie scheinen auch einzusehen, daß es schließlich nicht ihre Aufgabe ist — wie Nixon sagt „to get the President“ (den Präsidenten zu überführen), sondern Gesetze zur Abschaffung politischen Mißbrauches vorzubereiten.

Es erscheint auch heute schon als unwahrscheinlich, daß der Präsident auf Grund von Untersuchungsergebnissen des Senatsausschusses sozusagen „überführt“ werden könnte und Konstitutionsspezialisten glauben auch nicht, daß der Oberste Gerichtshof in letzter Instanz den Präsidenten zwingen werde, die Tonbänder herauszugeben, von denen Nixon sagte, sie würden sowieso keine Wahrheitsfindung ermöglichen, und Ex-Nixon-Mitarbeiter Haldemann, sie unterstützten die Erklärungen des Präsidenten. So wird der Präsident wieder in zunehmendem Maße nach seinen administrativen Leistungen beurteilt werden, da er es ja auch kraft seiner Funktion in der Hand

hat, Taten zu setzen und schließlich auch die ihm feindlichen Massenmedien Taten und Ergebnisse berücksichtigen müssen.

Eine Untersuchung über das Funktionieren der Administration während Watergate hat interessante Einzelheiten ergeben. Verschiedene Sektionen der Regierung, wie die Maritime Administration, das Army Corps of Engineers, die Veterans Administration, das Landwirtschafts-Department haben überhaupt keinerlei Watergate-Auswirkungen zu spüren bekommen. Diese und verschiedene andere Regierungskörperschaften sind mehr oder weniger autonom, ihre Tätigkeit ist durch langfristige Politik und Gesetzgebung vorgezeichnet. In anderen Bereichen, in denen politische Entscheidungen direkt im Weißen Haus getroffen werden, hat sich — aus den Umständen geboren — eine gewiss« Rückverlagerumg in die Ministerien vollzogen, ein Prozeß, der von vielen begrüßt wird und dessen Wurzeln auch bis zum Grund von „Watergate“ reichen: denn etwas übersimplifiziert wird Watergate einmal in geschichtskritischer Sicht als eine Reaktion auf eine zu schnell gewachsene und überstarke Machtkonzentration im Weißen Haus angesehen werden. Wenn es also gerüchtweise auch heißt, daß Kissinger Secretary of State — also Außenminister — werden soll, so würde so eine Entwicklung zwar keine absolute Schwächung der Regierung bedeuten, aber eine Rückverlagerung von

Machtbefugnissen in die Ministerien, wo es eben infolge des großen Apparates keine so geschlossenen politischen Gruppen geben kann als jene im Weißen Haus, die ja auch sehr wesentlich politischer Kontrolle durch den Kongreß entzogen war.

Ein anderer Faktor läßt sich im Gefolge von Watergate erkennen. Eine Administration erhält nur dann Zustrom an guten Kräften und Talenten, wenn die mangelnde Bezahlung gegenüber einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit durch eine erfolgreiche Arbeit in einer angesehenen Regierung wettgemacht wird. Der Zustrom zur Nixon-Administration ist jedoch nahezu versiegt. Es müssen daher treue und tüchtige

Administratoren von einem Amt ins andere wechseln, wo immer sie ein wichtigeres Loch zu stopfen haben, Justizminister Richardson war vorher Chef des Pentagon (Verteidigungsminister) und in der ersten Regierung Nixon Sozialminister. Mel-vin Laird — im ersten Kabinett Nixon sehr erfolgreicher Verteidigungsminister, ist vor einigen Monaten wieder ins Privatleben zurückgekehrt. Er wurde auf dem Höhepunkt von Watergate Kabinettchef Nixons, in einer Hand die Funktionen dei entlassenen Mitarbeiter Ehrlichmanr und Haldemann vereinigend. Dei jetzige Verteidigungsminister Schlesinger war Chef des CIA-Geheimdienstes und William D. Ruckeis-haus, im Augenblick stellvertretender Justizminister, war interimistisch Polizeichef (FBI) und vorhei Chef einer Sektion, die sich mit Umweltschutz befaßte.

Natürlich sind auch verschieden« Entscheidungen des Präsidenten, gegenüber dem Kongreß von Water-

gate beeinflußt. Während er zur Zeit seiner großen Popularität dem Kongreß ein kämpferisches Profil zeigte, ist er jetzt mehr geneigt, Kompromisse zu schließen. Ein klassischer Fall scheint hier die gemeinsame Festsetzung des 15. August als dem Stichtag der Beendigung des Kambodscha-Konfliktes zu sein. Vor Watergate wäre Nixon zu einer solchen Maßnahme nie bereit gewesen. Heute muß er taktieren, um andere Entscheidungen nicht zu kompromittieren, die Vorrang haben.

Ziemlich unangefochten operiert Nixon jedoch im außenpolitischen Bereich. Seine Politik des Disengagements in Südostasien, der Entspannungsprozeß gegenüber der Sowjetunion und ihren Satelliten, die Öffnung der Türe zu Rotchina finden in der Bevölkerung weite Zustimmung. Die Gespräche mit Breschnjew wurden in wichtigen Verhandlungen mit dem Schah von Iran und mit dem japanischen Premier Tanaka fortgesetzt.

Der Iran ist für die USA ein ungemein wichtiger Alliierter im öl-reichen Nahen Osten, mit dem es auch echte Kompensationsmöglichkeiten gibt, öl gegen Waffen. Da der Iran nicht zu den Feinden Israels zählt, stoßen die amerikanischen Waffenlieferungen — die überdies eine nicht unbeaehtliche Verbesserung der Zahlungsbilanz bedeuten — auf keinerlei innenpolitischen oder israelischen Widerspruch.

Gegenüber Japan hat die Regierung Nixon einen langsamen Um-orientierungsprozeß begonnen, der vom Status einer Schutzmacht zu jenem einer Partnerschaft gleich star-

ker Mächte führt. Nicht immer haben die dramatischen Entscheidungen Nixons: die Öffnung der Türe zu Peking, die jüngste Einstellung der Rohstoffexporte nach Japan oder die Beschickung der japanisch-amerikanischen Jahreskonferenz mit Nichtspitzenministern (es fehlten Finanaminister Schultz und Landwirtschaftsminister Butz) ein harmonisches Klima geschaffen. Aber ein prominenter Japaner verglich die Beziehungen beider'Staaten mit denen eines alten Ehepaares, das trotz gelegentlicher Differenzen-wieder zueinander findet, weil Vernunft und Sicherheitsfaktoren den Ausschlag geben. Es. zählt jedoch, daß der japanische Exportüberschuß gegenüber den USA wesentlich abgebaut wurde, daß die Japaner indirekt einen Teil der Stationierungskosten amerikanischer Truppen bezahlen und daß auf mittlere Sicht die US-Stützpunkte in Japan kaum bedroht sind. Der amerikanische Atomschild ist die wesentliche Grundlage des amerikanisch-japanischen Verhältnisses.

Am schwierigsten gestaltet sich — in der Folge von Watergate — die Europapolitik Nixons. Jene Kräfte, die im Kongreß für einen Truppenabzug oder eine wesentliche Reduktion der amerikanischen Streitkräfte in Europa plädieren, wurden.durch Watergate gestärkt. Das Argument gegen den Abzug wird auch immer dünner, je länger sich die Abrü-sturagsgespräche mit der Sowjetunion hinziehen, vor allem auch deshalb, weil die Regierung eigentlich nicht prinzipiell gegen einen Truppenabbau ist, sondern aus taktischen Gründen und in Verbindung mit einer gleichzeitigen sowjetischen Reduktion. Obwohl das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit gegenüber Europa, an dem die chronische Dollarkrise sich ständig entzündet, gar nicht bedeutend ist, wird doch immer wieder eine Malaise gegenüber Europa wachgerufen, die in dem primitiven Sentiment gipfelt: Wenn euch der Dollar nicht paßt, könnt ihr wohl auch auf unsere Truppen verzichten.

Schließlich wird auch der französische Widerstand gegen die von den Amerikanern initiierte neue Atlantik Charter vor allem in Regierungskreisen übelgenommen, weil die Amerikaner primär eine übersichtliche Konstruktion wünschen, der sie dann kompliziertere und divergente Detailprobleme unterordnen können. Die Ablehnung eines Atlantikrahmens würde die neu konzipierten Relationen zur Sowjetunion und zu Peking beeinträchtigen und Europa im Vorfeld der Sowjetunion einer wachsenden „Finlandisierung“ aussetzten. Nixon und Kissinger haben daher das Gefühl, daß sie in manchen europäischen Hauptstädten mißverstanden werden und daß die europäische Hältung gegenüber der neuen Charter den Aratieuropäern in Washington in die Hände arbeitet.

Wie ersichtlich, hat also Watergate einen massiven Einfluß auf die Handlungsfähigkeit und die Orientierung der Regierung Nixon. Aber trotz Watergate geht das politischadministrative Leben weiter und schließlich dürften Faktoren, die den amerikanischen Alltag mehr berühren als Watergate, wieder in den Vordergrund rücken. Bei der Amerika-Analyse muß man immer beachten: Es geht in den Staaten nichts sehr tief unter die Haut und jede Übersättigung mit politischer Tendenz führt unweigerlich zum back-lash, zunächst also zum Desinteressement.

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