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Der Mann, der unersetzlich ist

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Das Rätselraten um die Zukunft des amerikanischen Außenministers Henry Kissinger ist eines der Hauptkonversationsthemen politischer Cocktailparties in Washington.

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Das Rätselraten um die Zukunft des amerikanischen Außenministers Henry Kissinger ist eines der Hauptkonversationsthemen politischer Cocktailparties in Washington.

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Daß Kissinger in linksintellektuellen Kreisen nie sehr beliebt war, ist bekannt. Diese Kreise arrogieren für sch eine Monopolstellung in punkto Intelligenz und Brillanz, und betrachten jeden politisch Andersdenkenden als geistig unterbemittelt, ungebildet und nur, wenn sie in besonders konzilianter Stimmung sind, als „verirrt“. Kissinger war für diese Kreise ein „Verirrter“, ebenso wie de berühmte konservative Journalist und Schriftsteller Bill Buckley. Daß sich Kissinger Rockefeiler angeschlossen hatte, wurde hingenommen. Schließlich gilt der heutige Vizepräsident als liberal und „aufgeschlossen“. Daß Kissinger aber dann Nixons wichtigster Mitarbeiter wurde, haben sie ihm nicht verziehen.

Daher rührte auch der Versuch, Kissinger in den Watergatesog hineinzustoßen, ein Versuch, der nur deshalb mißlang, weil sich die Hysterie nach dem Fall Nixons bereits zu legen begann und weil die Majorität der Demokraten — zum Unterschied von einigen ihrer extrem Linken — einen völligen “Wandel in der amerikanischen Außenpolitik nicht verantworten wollte. Man vermied es daher, Präsident Ford seines außenpolitischen Experten zu berauben — umso mehr, als Ford selbst kein Hehl aus der Tatsache machte, daß Außenpolitik für ihn eine terra in-cognita sei.

Wenige Monate später brachen die letzten Krücken der amerikanischen Ppsition in Südostasien. Die Bilder des Zusammenbruchs hinterließen ein schweres Trauma. Nicht nur in den Reihen der Regierung, sondern auch im Kongreß und in der Bevölkerung. Linke Kongreßkreise beschuldigten Kissinger, den Architekten der sogenannten Pariser Verträge, die ein Nebeneinander des nichtkommunistischen Südens mit dem aggressiven Kommunismus des Nordens herbeiführen sollten, der Irreführung und Charlatarierie. Die Regierung dagegen beschuldigte den Kongreß, den Präsidenten außenpolitisch handlungsunfähig gemacht zu haben, als es galt, die Übergriffe der Kommunisten zu ahnden. Der Kongreß habe auch durch seine Weigerung, zusätzliche Hilfe an Südvietnam zu leisten, die Moral Saigons untergraben und den Zusammenbruch mit herbeigeführt.

Beide Seiten hatten stichhaltige Argumente vorgebracht. Schließlich fiel aber Fords Parole, man möge sich nicht mit gegenseitigen Beschuldigungen zerfleischen und in die Zukunft — nicht zurück — blik-ken, auf fruchtbaren Boden. Beide Seiten, Kongreß und Regierung, hatten ja eine Politik geführt, die der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung entsprach. Nixon und Kissinger hätten nie die amerikanischen Truppen aus dem Konflikt herauslösen und ein damals noch optisch akzeptables Arrangement erreichen können, hätten sie nicht Hanoi an den Verhandlungstisch bombardiert. Aber auch der Kongreß hatte nach der Auffassung der überwiegenden Mehrheit von Kriegsmüden und Passiven richtig gehandelt, denn man wollte das Kapitel Südostasien ein für alle Male hinter sich bringen. Das ist übrigens auch der Grund für den anfänglichen Widerstand vieler Amerikaner gegen die Aufnahme von vietnamesischen Flüchtlingen, ein Komplex, der sich jetzt allmählich aufzulösen scheint. So fanden die Anschuldigungen verschiedener linker Senatoren, vor allem Senator Churchs von Idaho, gegen Henry Kissinger kein Echo und sind auch bald verstummt. Mehr und länger anhaltende Resonanz hatten jedoch Angriffe gegen Kissingers jüngste Mittelostpolitik.

Die Analysen die der amerikanische Außenminister nach dem Zusammenbruch seiner Mittelostmission angestellt hatte, waren falsch, seine Befürchtungen sind nicht eingetroffen. Nicht bloß hat Syrien das Mandat der UNO-Truppen auf sechs, und nicht bloß auf drei Monate verlängert, Ägypten ist auch nach dem Scheitern der Verhandlungen nicht

in die sowjetische Umarmung zurückgesunken, die ägyptisch-sowjetischen Beziehungen haben sich keineswegs gebessert. Selbst die als unvermeidbar angesehene und von der amerikanischen Außenpolitik befürchtete Genfer Mittelostkonferenz unter dem Mitvorsitz der Sowjetunion ist noch keineswegs einberufen, weil auch den Sowjets der Weg nach Genf nicht so eilig ist. Die Auspizien für ein Scheitern einer Genfer Monsterkonferenz sind von niemandem zu übersehen.

So hat sich plötzlich doch wieder eine Chance für bilaterale Gespräche entwickelt, aber diesmal hat Präsident Ford den Dialog mit Präsident Sadat persönlich geführt. In das unstete Leben des amerikanischen Außenministers hat sich nur eine neue Unbekannte eingeschlichen:

Präsident Fords Bestreben, auf die amerikanische Außenpolitik mehr Einfluß zu nehmen. Henry Kissinger war, trotz unleugbarer Anlagen zu persönlicher Eitelkeit, niemals ein Außenminister, der seinen Präsidenten in den Schatten stellen wollte. Kissinger weiß ganz genau, daß eine erfolgreiche Außenpolitik die Autorität des Präsidenten braucht — und zwar nach außen, wie auch gegenüber dem Kongreß. Wenn das Tandem Nixon-Kissinger so erfolgreich war, so deshalb, weil Nixon vor Watergate diese Autorität in hohem Maße genoß und Kissinger davon profitierte.

Präsident Ford dagegen ließ Kissinger anfänglich schalten und walten. Er selbst hatte alle Hände voll zu tun, Wirtschafts-, Energie- und andere innenpolitische Probleme zu behandeln, und die Zügel der Regierung in die Hand zu bekommen. Es wurde ihm jedoch allmählich klar, daß ein erfolgreicher amerikanischer Präsident im Ausland ebensoviel gelten muß wie im Inland, weil der „kleine Mann“ gerne sieht, daß sein Präsident anerkannt wird.

Der Wendepunkt kam mit dem Mayaguez-Zwischenfall. Plötzlich wurde Präsident Fords Rolle in einer internationalen Affäre stark herausgetrichen: seine nüchterne Analyse, sein mutvoller Einsatz militärischer Mittel gegen eine ausländische Provokation, die die amerikanische Schwäche ausnützen wollte, so daß man dem Präsidenten plötzlich Führerqualitäten zubilligte und er ernorm an Ansehen und Popularität gewann.

Das macht aber Henry Kissinger womöglich noch unersetzlicher, als er es schon bisher war. Ein Präsident trägt zwar in jedem Fall Verantwortung für die Außenpolitik. Wenn er aber betont, nunmehr auch die außenpolitischen Direktiven zu geben, so muß er sich auf das Urteil von Fachleuten verlassen können. Niemand aber bestreitet, daß Henry Kissinger nach wie vor der Fachmann für amerikanische Außenpolitik ist. Wohl treten in den letzten Wochen neben Kissinger auch andere Berater des Präsidenten in diplomatischen Fragen auf die Bildfläche. Da ist Donald Rumsfeld, der eine kurze Zeitlang amerikanischer NATO-Bot-schafter war. Da ist Kriegsminister Schlesinger, ein etwas sturer Bürokrat, erfüllt von Mißtrauen gegen die Sowjetunion und daher ein Skeptiker der Detentepolitik Kissingers. Melvin Laird, Verteidigungsminister unter Nixon, solide, intelligent, aber stärker innenpolitisch orientiert als mit Blick nach außen begabt.

Aber schließlich geht es ja Präsident Ford auch nicht so sehr darum, von Kissinger abweichende außenpolitische Akzente zu setzen. Er möchte bei den Aliierten, vor allem in Europa, stärker in Erscheinung treten, weil das auch ein wichtiger innenpolitischer Faktor ist und weil die USA am Beginn einer Wahlkampagne stehen, die im November 1976 zum Entscheid führen wird. Wie ira-r mer man die Aussichten Kissingers daher auch betrachtet, er ist momentan unersetzlich, und hat beste Aussichten, Präsident Fords außenpoli-tischerWegbereiter bis zur Wahlentscheidung von 1976 zu bleiben.

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