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Puritaner & Mor aUsten

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Der Österreicher, der das Waldheim-Einreiseverbot in die USA als einen eklatanten Affront gegen sein Heimatland wertet, täte gut daran, zwei Traditionen des amerikanischen historischen Selbstverständnisses in Betracht zu ziehen.

Erstens glaubt man seit der Gründung der amerikanischen Republik, in der Weltgeschichte zu einer moralischen Führungsrolle prädestiniert zu sein. Zwei-

tens lassen die Amerikaner dem absoluten Rechtsstaat seit jeher beinahe religiöse Verehrung zukommen.

Zum ersten: Seit die Puritaner vor mehr als 350 Jahren auf dem amerikanischen Kontinent an Land gegangen sind und später die englische Tyrannei im Unabhängigkeitskrieg besiegt haben, sehen sich die Amerikaner als Bewohner eines Landes, in dem das Gute siegt — als „neues Zion“ .

Dies beinhaltet der Mythos von der Einzigartigkeit der amerikanischen Nation in der Welt. Präsident Woodrow S. Wilson mit seinen 14 Punkten und Präsident Franklin D. Roosevelt in seiner Atlantik-Charta haben ähnlich hehre Töne angeschlagen. Dabei tut es wenig zur Sache, ob die Ideale auch immer selbst befolgt werden.

In dieser Tradition gilt gerade der Kampf gegen den Hitler-Faschismus im amerikanischen Geschichtsverständnis als ein gigantischer Feldzug gegen das Böse schlechthin. In eben diesem Zusammenhang sind die Ausweisungen und Einreiseverbote von imd für Nazis zu verstehen.

Und so wird denn auch US-Justizminister Edwin Meese, dem die „New York Times“ selten Lob spendet, für seinen „unbeirrbaren Akt“ , den „Kriegsverbrecher“ Waldheim von amerikanischen Küsten fernzuhalten, ein großes Kompliment gemacht: damit zeige er, daß ,Amerika sich weigert, den Kampf gegen den Faschismus zu vergessen“ .

Meese zählt andererseits zu den engsten Vertrauten jenes Ronald Reagan, der im Rahmen seines Deutschlandbesuches auf dem Bitburger Soldatenfriedhof — unbeirrt aller heftigen Kritik - Gräber von SS-Soldaten besuchte.

Zum zweiten: Noch wichtiger für das amerikanische Selbstverständnis ist die Forderung, daß kein Individuum über dem Gesetz . steht Dieser Standard gilt für einen ausländischen Präsidenten genauso wie für die amerikanischen.

Als Präsident Richard Nixon in der „Watergate-Affäre“ nachgewiesen werden konnte, daß er sein Volk belogen hatte, durfte er nur noch zwischen Amtsniederlegung und Absetzung wählen. Das amerikanische Volk zeigte sich zutiefst beschämt über die Machenschaften seines Präsidenten, und viele hätten sogar seine Missetaten am liebsten unter den Teppich gekehrt. Aber am Ende siegte doch die Macht der Gleichheit vor dem Gesetz.

In den USA läßt sich der Rechtsstaat nicht kompromittieren, selbst wenn das Ansehen eines ausländischen Staatsoberhauptes auf dem Spiel steht. So schreibt die besagte „New York Times“ , daß die Anklage, Waldheim habe Juden verfolgt — so ernst und erniedrigend sie auch sein mag —, als gegen das Individuum gerichtet und keineswegs als „Beleidigung einer befreundeten Nation“ zu verstehen sei.

Sieht man die Waldheim-Affäre aus historischer Sicht, so ist nicht zu übersehen, wie sehr die Amerikaner, neben ihrer moralischen Unbeugsamkeit, immer auch ziemlich selbstgerecht handelten. Ein gutes Beispiel dafür stellt die Weigerung der USA dar, das Urteil des Internationalen Gerichtshofes in Haag über die amerikanische Verminung nikaraguanischer Häfen anzuerkennen.

Weiter zurück in der US-Geschichte muß auf die Südstaaten nach dem Bürgerkrieg verwiesen werden. Mehrere Generationen von ,J*flanzern“ wollten nicht einsehen, daß sie mit ihrem Kampf das brutale System der Sklaverei verteidigt hatten. Sie haben für eine schlechte Sache gekämpft. Aber noch im 20. Jahrhundert wollte man sich im Süden der USA die Niederlage nicht eingestehen und trauerte der guten Vor-Bürgerkriegszeit nach.

In jüilgerer Zeit hatten die Amerikaner große Schwierigkei-

ten, sich die Niederlage im Vietnam-Krieg einzugestehen, in dem so manche Greueltat begangen wurde.

Manch Unverbesserliche wollen noch immer nicht einsehen, daß der Krieg in den Dschungebi von Südostasien nicht zu gewinnen war (Richard Nixon ist einer davon). Jedoch haben die Amerikaner nicht 40 Jahre zugewartet, um an der ,3ewältigung“ dieses bitteren Kapitels amerikanischer Geschichte zu arbeiten.

Zieht man diese Bezüge amerikanischen Geschichtsverständnisses in Betracht, dann beginnt man zu verstehen, warum der US-Justizminister ein geltendes Gesetz nicht umgehen konnte — österreichischer Präsident hin oder her.

Die Spezialabteilung im Justizministerium hat nach einem Jahr der Nachforschungen befunden, daß Kurt Waldheim „an Verfolgungen teilgenommen hat, die auf Rasse, Religion, nationaler Herkunft oder politischer Meinung“ (US-Einwanderungs- und

Staatsbürgerschaftsgesetz) basierten. Edwin Meese ist wahrscheinlich nicht leichtfertig zu dieser Beurteilung gelangt.

Der Autor, Jahrgang 1953, Österreicher, studiert amerikanische Geschichte und Internationale Politik an der Harvard-Universität.

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