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Noch reist Kissinger

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Im Juni endet die amerikanische Vorwahlperiode der Primaries. Zu diesem Zeitpunkt sollten eigentlich die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und Republikaner feststehen. Nicht so in diesem Wahljahr 1976. Es sieht zwar sehr nach einem Finale zwischen Ford und Carter aus, aber beide Kandidaten müssen vorsichtig operieren.

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Im Juni endet die amerikanische Vorwahlperiode der Primaries. Zu diesem Zeitpunkt sollten eigentlich die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und Republikaner feststehen. Nicht so in diesem Wahljahr 1976. Es sieht zwar sehr nach einem Finale zwischen Ford und Carter aus, aber beide Kandidaten müssen vorsichtig operieren.

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Während der führende Demokrat Jimmy Carter keinerlei Regierungsfunktionen ausübt, ist Ford amtierender Präsident und wird durch seinen Herausforderer von rechts, Reagan, gezwungen, vor allem in der Außenpolitik leisezutreten.

Daß Kissinger — selbst im Falle einer Wiederwahl Fords — aus dem Kabinett ausscheiden wird, ist fast schon ein Fait accompli. Ford und sein Außenminister haben sich auseinander gelebt — und sie waren eigentlich nie ein Team. Für den einfachen, gradlinigen Ford war der brillante, intellektuelle Außenminister Kissinger niemals ein Mitarbeiter, in dessen Umgebung er sich wohlfühlte. Selbst unerfahren in nahezu allen internationalen Belangen, überließ Ford Kissinger den gesamten außenpolitischen Bereich, mit eingeschlossen die Fragen der nationalen Sicherheit, soweit sie nicht rein militärischer Natur waren. Bald aber entwickelte Kissinger Rivalitäten zu den militärischen Ressorts, die zum Fall des hochangesehenen Verteidigungsministers Schlesinger führten. Es stellte sich heraus, daß ein Außenminister im politischen System der USA ebenso die starke, schlichtende Hand eines Präsidenten braucht, wie ein Präsident den Rat eines außenpoltischen Fachmannes. Kissinger und Nixon waren ein ideales Team. Kissinger und Ford sind in vieler Hinsicht inkompatibel.

Man darf sich daher nicht wundern, wenn Ronald Reagan seinen politischen Druck gerade gegen diese Nahtstelle richtete. Vielleicht wäre Kissingers Außenpolitik, gedeckt durch einen starken Präsidenten, mitunter anders gelaufen. Man hätte vielleicht andere Prioritäten gesetzt, andere Akzente. So aber mußte der frei umherreisende Außenminister erkennen, daß er für seine Initiativen keine Deckung im Kongreß findet und daß sein Präsident den verschiedensten Einflüsterungen ausgesetzt ist. Wann immer Ford einen politischen Rückschlag erlitt, schoben seine Berater die Schuld auf Kissinger. Daß Kissinger nicht bereits das politische Schicksal des gleich zu Beginn des Wahlkampfes geopferten Vizepräsidenten Rockefeller teilt, ist nur darauf zurückzuführen, daß seine Entlassung Ford vollkommen abhängig vom Druck aus der rechten Flanke zeigen würde.

Während nur die politische Maschinerie der amerikanischen Demokratie unter Ächzen und Krachen einer Entscheidung auf den beiden Parteikonventen entgegenrollt, bleiben die meisten außenpoltischen Probleme unerledigt. Salt II, das zweite Abkommen mit der Sowjetunion über die Begrenzung strategischer Waffen, hätte bereits im Frühjahr unterzeichnet werden sollen. Reagans Angriffe auf die Detentepolitik schlössen jedoch für Ford jeglichen Kompromiß in der Frage der amerikanischen Langstreckenraketen gegenüber einem sowjetischen Bombertyp aus.

Daß Ford doch noch — nach den Vorwahlsiegen in Michigan und Oregon — ein Testabkommen unterzeichnete — ohne Sekt und Feierlichkeiten wie in Moskau — ist nur erklärlich, weil dieses Abkommen zum erstenmal amerikanische Inspektionen auf sowjetischem Boden vorsieht, jedoch nur in Fällen so gewaltiger Explosionen, daß eine Inspizierung so gut wie nie erfolgen wird.

Das Prinzip der Erhaltung einer Kontrolle über den Panamakanal bei gleichzeitiger Übergabe der völkerrechtlichen Souveränität der Kanalzone an Panama ist zwar beschlossen, aber die Unterzeichnung ist auf 1977 verschoben. Reagan will nämlich keinerlei Konzessionen machen: „Wir haben den Kanal gebaut, wir haben ihn bezahlt, wir werden ihn halten.“

Fahrplanmäßig hätte 1976 das Jahr der formellen Anerkennung Pekings sein sollen, der Konsolidierung jener Politik, die von Nixon-Kissinger eingeleitet wurde und die den USA eine wichtige weltpolitische Rolle zwischen den kommunistischen Blöcken eingeräumt hat. Dies hätte jedoch den Bruch mit Taiwan vorausgesetzt und diesen Bruch möchte Ford mit Rücksicht auf die Wahl-strategie nicht vollziehen.

Als die amerikanische Regierung Ägypten und Israel zu einem ersten Abkommen bewogen hatte, wurde dieser Pakt als der Beginn eines Interessenausgleichs im Nahen Osten gepriesen. Aber kein Präsidentschaftskandidat will die jüdischen Stimmen Amerikas aufs Spiel setzen und Israel zu weiteren Konzessionen „überreden“. So kommt es der amerikanischen Außenpolitik nicht ungelegen, daß der Bürgerkreig im Libanon die Parteien durcheinanderwirbelt und die Aufmerksamkeit vom Problem Israel abgelenkt hat.

Aber nicht alles in den USA ist Passivität. Man ist sogar bereit, den Wählern zu zeigen, daß man die große außenpolitische Geste aus dem politischen Arsenal des Wahlkampfes nicht ausgeräumt hat. Welch herrliche Propagandaphotos ergeben daher Spitzenkonferenzen zwischen Ford einerseits, Schmidt, Giscard d'Estaing und König Juan Carlos anderseits. Worüber kann man nicht alles debattieren? Rohstoffpreise, Energieprobleme, Währungsfragen! Und wozu verpflichtet schon ein nichtssagendes Kommunique?

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