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Kissinger heute

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Wenn Politiker von der Bildfläche abtreten, sind sie meist bald vergessen. Bei Kissinger ist das anders. Er ist nicht bloß eine legendäre Gestalt, sondern ein aktiver und einflußreicher Faktor des politischen Lebens der USA. Er schreibt nicht nur Memoiren, hält nicht nur Universitätsvorlesungen, Kissinger sitzt in Bankgremien als wohlbestallter Berater und kassiert für jeden seiner stark besuchten Vorträge 10.000 Dollar.

Als Redner ist er jedoch nicht nur in eigener Sache unterwegs. Für seine republikanischen Parteifreunde spart er keine Mühen, nicht mit seinem legendären politischen Witz und hat laut „Times“ 1978 über eine Million Dollar an Spenden und Beiträgen mobilisiert. Solcher Einsatz hat in der amerikanischen Innenpolitik immer noch Früchte getragen.

Das Merkwürdige an Kissingers Position ist jedoch, daß Präsident Carter, der ihn im Wahlkampf als unruhigen Gschaftlhuber abtun wollte, heute ohne ihn nicht auskommt. Es war Kissinger, der seinen republikanischen Parteifreunden empfahl, im Senat für die Ratifizierung der Panama-Kanal-Verträge zu stimmen. Als die Abstimmung mit bloß einer Stimme mehr als nötig entschieden war, wußte Carter, daß er ohne Kissinger nie über die Runden gekommen wäre.

Dieser Dienst des Republikaners Kissinger am Demokraten Carter ist aus Kissingers Werdegang zu verstehen. Als junger Hochschulprofessor geriet er bald in den Bannkreis des New Yorker Gouverneurs und späteren Vizepräsidenten Nelson Rocke-feller, der am Unken Flügel der Republikanischen Partei beheimatet war. Rockefellers Idealismus, Schwung und wirtschaftliche Möglichkeiten faszinierten den jungen Akademiker. Und Rockefeller entdeckte in Kissinger die seltene Mischung von intellektuellen Fähigkeiten, akademischer Fundierung und praktischem Sinn. Für Rockefeller sollte Außenpolitik im^ier über dem Parteienstreit stehen.

Kissinger wird immer wieder seine fatalistische, fast spenglerianische Theorie vom Niedergang des Westens und vom Machtaufstieg der Sowjetunion vorgeworfen. Es kann sein, daß er diesen Prozeß unbeabsichtigt etwas gefördert hat. Daß Carter dort fortsetzte, wo Kissinger - zuletzt Ford - praktisch allein entscheidend aufhörte, war aber eine Anerkennung von Kissingers Realismus. Die Panama-Kanal-Verhandlungen tendierten seit Eisenhower zum Abbau formal-sicherheitspolitischer Überlegungen, und Kissinger hatte einen großen Teil der Verhandlungen selbst geführt.

Wo Carter jedoch mit der Forderung nach strikter Einhaltung der Menschenrechte moralische Prioritäten in die Außenpolitik einbrachte, verlor er nach Kissingers Meinung den Boden der Realität unter den Füßen und Kissingers Unterstützung. Kissinger sah darin außenpolitische Hochstapelei und innerpolitischen Trick. Praktisch immer nur gegen Freunde und Alliierte gerichtet, deren politisches Fundament ausgehöhlt werde, besitzen die USA Kissinger zufolge weder Macht noch innere Bereitschaft, aus der Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Man könne überdies gegenüber der Sowjetunion durch stille Diplomatie mehr erreichen.

Hingegen genoß Carter Kissingers Unterstützung bei seinen Bemühungen um ein israelisch-ägyptisches Arrangement. Ohne die Schadenfreude ganz unterdrücken zu können, daß nun der Präsident selbst Kissingers oft kritisierte „Pendeldiplomatie“ aufnehmen mußte, lobte Kissinger Carter, weil er der Verlockung widerstanden habe, eine Genfer Konferenz einzuberufen, auf der die Sowjetunion und die radikalen Araber einen verhängnisvollen Einfluß ausgeübt hätten. Die wirkliche Auseinandersetzung der außenpolitischen Konzepte ist in wenigen Wochen bei der Ratifizierungsdebatte über das SALT Ii-Abkommen zu erwarten. Hier steht Kissinger am Scheideweg. Zwar ist er prinzipiell für eine Beschränkung der Atomrüstung. Aber zugleich betont der ehemalige Außenminister das Junktim zwischen SALT-Abkommen und dem sowjetischen weltpolitischen Verhalten. Seit Vietnam seien Angola, Äthiopien, Afghanistan und zuletzt der Iran als Freunde und Verbündete verlorengegangen. Der Iran - wie Kissinger durchblicken läßt - aus Mitverschulden der Regierung Carter, die zu wanken begann, als die Demonstrationen gegen den Schah zunahmen. Die Sowjetunion setze eben ihr Machtpotential bis an die Grenze des Erträglichen ein. So würden sowjetische Flugzeuge nach Kuba geschickt, um kubanische Maschinen für den Einsatz an Krisenherden in Afrika freizumachen. Eine solche Einstellung der Sowjets dürfe, meint Kissinger, nicht ohne Einfluß auf ein Vertragswerk sein, von dem die Sicherheit der Vereinigten Staaten abhängt. Sollte Kissinger diese Argumente in voller Schärfe in die Ratifizierungsdebatte werfen, wäre das Schicksal von SALT II möglicherweise besiegelt. Befürworter und Kritiker des Abkommens halten sich zur Zeit im Senat etwa die Waage, Kissingers Empfehlung könnte den Ausschlag geben.

Besonders scharf geht der frühere Ex-Außenminister mit Carters Afrikapolitik ins Zeug. Es habe fast den Anschein, als würden alle prowestlich orientierten demokratischen Politiker, schwarz oder weiß, von Carter abgeschrieben und nur radikale Marxisten unterstützt, weil das einer sowjetisch-kubanischen Intervention den Wind aus den Segeln nehme.

Kissinger dementiert, daß er seinen politischen Freund, den republikanischen Senator von New York, Javits, beerben wolle, der sich - hochbetagt -1980 zur Wiederwahl stellen müßte. Sollte Javits verzichten, wäre New York mit seinen Millionen jüdischer Stimmen eine gesunde Basis für Kissinger. Würde nicht die Verfassung die Wahl eines nicht im Land geborenen Amerikaners ausschließen, wäre Kissinger einer der aussichtsreichsten republikanischen Präsidentschaftskandidaten ...

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