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Die Amerikaner — ein Volk von Lugnern?

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Politisch ist die amerikanische Geradeheraus-Red-lichkeit seit der Iran-Con-tra-Affäre blamiert. Auch an der wirtschaftlichen Basis gibt es zunehmend Lügen und Schwindeleien.

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Politisch ist die amerikanische Geradeheraus-Red-lichkeit seit der Iran-Con-tra-Affäre blamiert. Auch an der wirtschaftlichen Basis gibt es zunehmend Lügen und Schwindeleien.

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„Das Vertrauen der Amerikaner in ihre Regierung ist so hoch wie am Höhepunkt des Watergate-Skandals 1973.” Zu diesem Schluß kam kürzlich die Zeitschrift U. S. News & World Report aufgrund einer Gallup-Un-tersuchung.

71 Prozent der Befragten sind der Meinung, um Ehrlichkeit und Offenheit stünde es schlecht im öffentlichen Leben. 1973 waren es 72 Prozent. Nur mehr 30 Prozent der Befragten, so schreibt der Autor, sind sicher, daß die Kongreßabgeordneten immer aufrichtig sind, nur 38 Prozent glauben das auch von ihrem Präsidenten.

Zweifellos hat die Iran-Contra-Affäre die Werte in die Höhe schnellen lassen, wurden doch die Amerikaner über Monate hindurch via Medien ständig mit einer geballten Ladung von Haibund Unwahrheiten und Schwindeleien konfrontiert.

Watergate war aber der Vorgang, bei dem die USA sozusagen politisch-moralisch ihre Unschuld verloren haben. Nach der Ära Nixon und der Ubergangszeit versuchte Jimmy Carter den Amerikanern ein neues Selbstbewußtsein zu geben - und scheiterte kläglich mit seiner Entspan-nungs- und Menschenrechtspolitik.

Sicherlich war Carters Abwahl auch der Protest der Wähler gegen acht Prozent Arbeitslosigkeit, zehn Prozent Inflation und 21 Prozent Zinsen. Aber mit Ronald Reagan kam auch der bewußte Ersatz in Politik und Wirtschaft für alte Tugenden, für Moral, Offenheit, Härte und Selbstbewußtsein. Mit der Affäre um die gehei-

Reagans Affärensumpf men Waffenlieferungen wurde diese Geradeheraus-Redlichkeit aber erneut blamiert, zeigt sie sich brüchig und angeknackst.

Nun, Lügen und Schwindeleien im „politischen Uberbau” sind nichts Neues und überall in der Welt gang und gäbe. Was aber beunruhigt, ist, wie das Georg M Gallup jr. vor einigen Wochen bei einem Vortrag formulierte, daß an der Basis die USA einer „moralischen Krise erster Dimension” entgegensehen.

Es gibt zahlreiche konfliktträchtige Vorgänge, die diese Bedenken auch untermauern: Heuer starb zum Beispiel der erste Kongreßabgeordnete an Aids. Es hieß zwar, er sei via Bluttransfusion infiziert worden, aber zugleich ging das Gerücht, er habe ohnehin seit langem Verbindungen zur Homosexuellenszene gehabt. Laut Pressemeldungen sind 40 Prozent der amerikanischen Priester homosexuell; Aids wird zunehmend zum Problem. Im Jänner dieses Jahres wurde eine Studie veröffentlicht, wonach 47 Pro-

(Karikatur Süddeutsche Zeitung)fessoren in Eliteuniversitäten Gutachten und Studienergebnisse ge- oder verfälscht haben. Einer von sieben Studenten weigert sich, sein — wie im Bildungssystem vorgesehen — Stipendium zurückzuzahlen. Steuerhinterziehungen kosten den Staat jährlich 100 Milliarden Dollar, Unterschlagungen und Diebstähle die Warenhäuser vier Milliarden Dollar. Mehr als je zuvor.

„Sind die Amerikaner denn ein Volk von Lügnern geworden?” fragte besorgt auch der US-News & World Report. Besonders schlimm, so meint die Zeitschrift, sei diese Grauzone der unmoralischen Handlungen im Geschäftsleben geworden. Ein Unterausschuß des Weißen Hauses hat letztes Jahr Daten veröffentlicht, wonach einer von drei Amerikanern sich seine Anstellung mit „ge-türkten” Daten erschlichen hat. Ausbildungswege und Empfehlungsschreiben werden abgeändert oder schlicht gefälscht.

Aber nicht nur Firmenbosse klagen über ihre Mitarbeiter. Head-hunter-Büros, also die Vermittlungsagenturen von Spitzenmanagern, wie beispielsweise Ward Howell International Corp., jammern, daß 1985 einer von vier Top-Managern falsche Auskünfte über seine letzten Gehaltszahlungen, Qualifikationen und Universitätsabschlüsse gemacht hat.

Es gibt, faßte es der ehemalige Pressesprecher des Weißen Hauses, Jody Powell, in einem Interview zusammen, eine wachsende Blasiertheit und einen besorgniserregenden Zynismus im Geschäftsleben vor allem bei jüngeren Leuten. Jeder gegen jeden und jeder für sich, das ist die heutige ethische Grundhaltung.

Die Kehrseite dieser Entwicklungen ist aber, daß es so viele Selbsthilfegruppen in Amerika gibt wie nie zuvor. 500.000 EinzelOrganisationen sind es bereits, die Zahl der Mitglieder ist im Steigen. Der häufigste Gründungszweck ist: Einsamkeit, Drogen, Alkohol, Korruption und ähnliches zu bekämpfen.

Natürlich fehlt es nicht an Erklärungen, warum die Zeiten so schlecht geworden sind. Als Ursachen für die Zersetzung der alten Moral werden oft angeführt: Familie und Kirche haben als moralische Instanz viel von ihrem Einfluß verloren. Der hemmungslose Wettbewerb in der amerikanischen Wirtschaft „zwinge” geradezu zu einem Abbau ethischer Grenzen. Die tägliche Desinformation via Medien tut das ihre, um die Grenzen zwischen richtig und falsch zu verwischen.

Optimisten hingegen behaupten anderes. Durch eine breitere und bessere Ausbildung seien auch die Erwartungen der Amerikaner an moralische und ethische Standards höher geworden. Standards, die es in Wirklichkeit wohl nie gegeben hat. Auch in früheren Zeiten nicht. Solche fundamentale moralische Krisen wie jetzt, so wurde übrigens nachgewiesen, gibt es in den USA in regelmäßigen Abständen, bevor in einer Art Selbstreinigungsvorgang der Grundkonsens über gemeinsame Werthaltungen wieder hergestellt ist.

Ob das auch diesesmal wieder so ist, wird sich noch zeigen.

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