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Präsident mit Tränen?

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Edmund Muskie, Fast-Präsident-schaftskandidat der Demokratischen Partei bei den letzten Präsidentschaftswahlen der USA, ist heute politisch ein toter Mann, ohne daß eigentlich jemand genau zu sagen wüßte, wie es dazu kam, daß dieser Mann, der um so viel mehr Eignung für das höchste Amt der Vereinigten Staaten mitzubringen schien als sein

siegreicher Gegner McGovern, ausschied.

. njJrfoß'i ni tun )r znoi&sviadil Erst in allerletzer Zeit wurde deutlich, daß gegen.Muskie ein KesselT treiben von solcher Abgefeimtheit und Gemeinheit geführt wurde, daß es selbst in clor an Skandalen, Abgefeimtheiten und Gemeinheiten jeden Kalibers so reichen Geschichte der US-Präsidentschaftswahlkämpfe einzig dasteht. Watergate lenkte den. Blick der amerikanischen Öffentlichkeit auf die allerjüngste Geschichte der USA — und auch auf jenen Fernsehabend, der Muskie auf dem Bildschirm in Tränen ausbrechen sah, womit seine Chancen begraben waren, denn ein US-Präsident darf lügen und, solange man es ihm nicht beweisen kann, sogar betrügen, und ein US-Präsident darf nahezu jedes Mittel anwenden, um US-Präsident zu bleiben, ein US-Präsident darf unter Umgehung des Kongresses niemals erklärte Kriege führen und darf Länder bombardieren so viel er will, solange es die bereits bewilligten Etatmittel des Pentagons erlauben, aber ein Mann, der öffentlich eine Träne vergießt, ist für dieses Amt nicht geeignet, ist erledigt, moralisch tot. (Vielleicht auch deshalb, weil er all diese Dinge nicht tun könnte, die sein Volk, vielleicht unbewußt, sogar von ihm erwartet.)

Muskie wurde mit gefälschten Briefen erledigt, in denen der sonst so zurückhaltende Mann die übelsten Beschimpfungen gegen seine Rivalen losließ — sobald er bewiesen hatte, daß die Briefe gefälscht waren, gab es schon wieder neue. Er wurde nervlich erledigt, mit Hilfe blockierter Telephone, fingierter Anrufe, falscher Bestellungen und Einladungen, er wurde erledigt, indem angebliche Muskie-Wahlhelfer Muskie-Sympa-thisanten, arbeitende Menschen, um drei Uhr früh aus den Betten tele-phonierten, angeblich, um für Muskie um Sympathie zu werben, in Wirklichkeit, um Muskie zu diskreditieren.

Nun sagen die einen, Nixons Wahlhelfer hätten in das demokratische Hauptquartier eingebrochen, um >m erfahren, wer innerhalb der Demo-

kratischen Partei die Fäden gegen Muskie gezogen hat (McGovern erging es später zeitweise nicht viel besser), andere wieder lassen durchblicken, die Regisseure dieses Kesseltreibens seien gar nicht in der demokratischen Partei eines Muskie und McGovern, sondern in der Umgebung des Präsidenten zu suchen.

Daß man derartiges heute in den USA sagen kann, illustriert vielleicht am besten, wie weit es mit dem höchsten Amt der mächtigsten Nation dieser Erde gekommen ist. Und Millionen von Amerikanern würden heute, neuerlich vor die Wahl gestellt, einem Nixon zwar nicht gerade einen McGovern, aber sicher doch einen Muskie, selbst einen Edmund Muskie, der noch weinen kann, vorziehen. In der Situation, in der sich die USA heute befinden, mag es einem Mann sogar zur Ehre gereichen, noch weinen zu können.

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