6756158-1967_47_03.jpg
Digital In Arbeit

Vietnam und kein Ende

Werbung
Werbung
Werbung

Mit dem Ende der Sommermonate ging, wie vorauszusehen war, auch eine Art Pause in der amerikanischen Vietniamdebatte zu Ende — sehr zum Verdruß des Präsidenten Johnson, der in der Vietnamfrage nur zu hören wünscht, was er und sein Außenminister zu sagen belieben. Angefacht von den neuerlichen verstärkten Bombardierungen von Haiphong und Hanoi entfaltete sich auf der Straße, an den Universitäten, in der Presse und selbst im Kongreß eine Oppositionsweile von bisher unbekannter Breite, gekennzeichnet sowohl durch erhöhte Sachlichkeit in den Debatten als auch durch extremere Verhaltungsweisen in den Demonstrationen. Johnson, der sich immer noch darin gefällt, die Opposition breiter Intellektuellenschich-ten zu ignorieren, sah sich Angriffen ausgesetzt, denen mit einer bloßen Verächüichmiachung seiner Gegner nicht zu begegnen war. Das galt im besonderen Maße von den scharfen Reden, mit denen eine Anzahl von Senatoren sowohl der Republikaner als auch der Demokraten Ende September und Anfang Oktober das Land vor den Gefahren von Johnsons neuer Eskalations-polittik warnten.

Die Stimme Kennedys?

Die Aufmerksamkeit, die diese Kongreßkritik erregte, mag der Grund gewesen sein, warum ein sensationeller Artikel gegen Johnsons Vietoampolittk nicht das Echo fand, das sein Verfasser zweifelsohne erwartet hatte. Die Sensation des Artikels bestand wendiger in dem was er sagte, sondern vielmehr darin, von wem es gesagt wurde. Der Verfasser ist Theodore C. Sorensen, langjähriger Mitarbeiter und engster Berater des ermordeten Präsidenten Kennedy. Liegt hier die Antwort auf die viel diskutierte Frage vor, was Kennedy, wenn er am Leben geblieben wäre, in Vietnam getan hätte?

Unter dem intellektuellen Dreigestim Arthur M, Schlesinger Jr., WillUam Goodwin und Theodore C. Sorensen, mit dem Präsident Kennedy jede seiner Vietnarnent-scheidungen beriet, stand Sorensen dem Präsidenten am nächsten. Heute gilt Sorensen, der nun mit Robert Kennedy msaimmenarbedtet, als einer der klügsten Strategen der jüngeren Führungsgeneration der Demokratischen Partei.

Schlesinger und Goodwin haben bald nach ihrem Rücktritt vom Weißen Haus mit der Vietoampolittk Johnsons öffentlich gebrochen, Schlesinger mit großer Entschiedenheit, Goodwin mit Zagen und Bangen. Auf Kreise, die Sachlichkeit den

extremen Äußerungen für oder gegen den Krieg vorziehen, haben beide großen Einfluß ausgeübt. In eben diesen Kreisen fragte man sich seit langem, was Kennedys engster Berater denkt und, falls auch er Johnsons Politik verurteile, warum er so lange schwieg. Nun gibt Sorensen selbst die Antwort: Er habe bisher geschwiegen, weil er in seiner langen Tätigkeit im Weißen Hause gelernt habe, wie schwer die Bürde der Präsidentschaft sei. Auch wollte er die Flammen der Zwietracht innerhalb seiner Partei und im Lande nicht nähren. Dann jedoch fährt Sorenson fort: „Aber ich glaube heute, daß die Freunde und Anhänger des Präsidenten ihm und dem Lande besser dienen, wenn sie aussprechen, was sie denken.“

Das Engagement Chinas

Sorensen faßt in einem Paragraphen zusammen, was ihn bewogen hat, sein Schweigen zu brechen „Was mir Sorge beredtet, ist das Heraufkommen eines enttäuschten Amerika, verbittert über seine zunehmende Isolierung in der Welt, unfähig einzugestehen, daß es diesen Emporkömmling Ho Tschi-minh nicht unterwerfen kann, unte* wächsern-

dem Druck der militärischen Kreise, und folglich bereit, mehr und mehr Soldaten einzusetzen, das Bombardieren auf mehr und mehr Objekte auszudehnen und schließlich in einem Anfall von Verzweiflung den

Hafen von Haiphong zu blockieren oder in den Norden einzuifallen... Dann wird Chinas Einschreiten und möglicherweise das Kommen russischer .Freiwilliger* eine wirkliche Gefahr und vieflledcht — auch ohne die Zerstörung der Dämme in Nordvietnam, ohne Bombardierung der Mig-Flugfelder in China und ohne Besetzung Hanois — eine unafowend-

bare Tatsache, so unabwendbar wie die Tatsache, daß dieses chinesische und russische Einschreiten zu einem weltweiten Atomkrieg führen wird.“

Sorensen greift sodann jede der Grundthesen an, auf die sich die

Regierung in ihrer Propaganda stütet Setzt dieser Krieg dem chinesischen Ausdehnungsdrang Schranken? Keineswegs. Er zerstört die Institutionen, die Traditionen, die Ökonomie, die Unabhängigkeit und den Geilst Vietnams; er schafft ein Vakuum an den Grenzen Chinas, in das Rotchina unvermeidlich eindringen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung