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Johnson und der Friede

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Seit dem Tod Stalins im März 1953 hat kein Ereignis die Welt so •ehr erschüttert wie die Nachricht, daß Präsident Johnson auf eine Wiederwahl verzichtet und gleichzeitig den Vietnambombenstop verfügt.

Am Beginn der Präsidentschaft Johnsons stand schon ein Ereignis, das die Welt zutiefst aufwühlte und das ihm gleichzeitig den Weg zum Präsidentenstuhl im Weißen Haus ebnete: die Ermordung des Präsidenten Kennedy im November 1963. Kennedys Stern war im Sinken gewesen, als ihn die tödliche Kugel traf. Durch seinen Tod stieg sein Ansehen rapid, er wurde geradezu zu einem Mythos nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in der ganzen Welt. Die ganze Welt fragte sich immer wieder, was hätte jetzt Kennedy getan, und verglich die wirklichen Taten Johnsons mit den erträumten Taten Kennedys. Natürlich fiel dieser Vergleich immer zu Ungunsten Johnsons aus.

Das war die erste schwere Hypothek, mit der die Präsidentschaft des früheren Vizepräsidenten belastet war.

Die zweite Hypothek, die seine ganze Regierungszeit belastete, war der Vietnamkrieg, den Johnson selbst nicht begonnen hatte, aber den zu einem Ende zu führen ihm nicht gelang. Dieser Vietnamkrieg schädigte nicht nur das Ansehen Amerikas in der glanzen Welt, kostete das Land nicht nur ungeheure Opfer an Menschen und Finanzen, sondern spaltete das eigene Land noch in zwei Teile.

Als durch den Tod Roosevelts der damalige Vizepräsident Truman gemäß der amerikanischen Verfassung sein Nachfolger wurde, stand auch er dauernd unter der Hypothek, mit Roosevelt verglichen ziu werden. Aber die andere Hypothek, die Johnson belastete, fiel nicht auf Tinman, denn als er Präsident der USA wurde, war der zweite Weltkrieg bereits siegreich entschieden. Dennoch dauerte es sehr, sehr lange, bis Truman seinen eigenen Stil als Präsident fand.

Dürfte der Verzicht Johnsons auf die Wiederwahl nicht ein Zeichen sein, daß er sich endlich auch zu einem eigenen Stil durchgerungen hat, daß er endlich nicht mehr Nachfolger Kennedys sein will, sondern Johnson, und daß er den Viet- namkrieg endlich in eine Phase zu bringen trachtet, in der sich zeigen wird, ob auch die Gegner der USA guten Willens für einen Frieden sind. Johnson hat die Einstellung der Bombenangriffe auf Nordvietnam angeordnet — übrigens nicht das erstemal in diesem Krieg — und dadurch Hanoi die Chance gegeben, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Die Einstellung der Bombenangriffe auf Nordvietnam war allerdings nur eine der vier Forderungen Hanois. Aber sie war eigentlich die einzige, von der die Welt immer sprach und deren Erfüllung sie von Amerika erwartete.

Nun hat Amerika diese Bedingung erfüllt, und die Entscheidung liegt jetzt bei Nordvietnam. Wenn nunmehr Nordvietnam diese Friedenshand zurückweist, dann ist es nur zu leicht möglich, daß das Pendel der öffentlichen Meinung in der ganzen Welt umschlägt und nicht mehr die USA, sondern eben Hanoi als Gegner des Friedens dargestellt wird.

Wenn Hanoi sich nicht an den Friedenstisch setzt, dann könnte jetzt, einige Monate vor der Präsidentenwahl, auch die öffentliche

Meinung in Amerika Umschlägen und der Anlaß sein, einen Präsidenten zu wählen, der entschlossen ist, wie alle Vorgänger, jeden Krieg siegreich zu beenden. Hanoi hat es somit in der Hand, ob ein friedensliebender Präsident gewählt wird oder ein Präsident ä la Roosevelt mit seinem Grundsatz der bedingungslosen Kapitulation.

Gelingt es aber Johnson, den Frieden anzubahnen, dann hat er wohl die stärksten Trümpfe für die kommende Wahl in der Hand. Denn dann wird entweder die demokratische Partei jenen Kandidaten aufstellen müssen, den er vowschlägt, oder — die Volksmeinung in Amerika wird einfach alle anderen Kandidaten hinwegfegen, um dem Friedenspräsidenten ihre Stimme zu geben.

Noch ist alles offen. Und noch sind alle Überlegungen Hypothesen und Vermutungen. Aber eines dürfte die Tat Johnsons gezeigt haben: daß nach allem Zögern und allem Warten auch „L. B. J.“ seinen eigenen Stil entwickeln kann und daß in der Seele dieses Mannes Kräfte schlummern, die niemand vermutet hat

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