Gesucht: Therapeut für die US-Seele

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Klaus Emmerich, langjähriger ORF-Korrespondent in Washington, über Amerikas Sehnsucht nach einem Helden und Vorurteile gegen Frauen und Schwarze.

Die Furche: Herr Emmerich, welchen Präsidenten braucht Amerika nach Bush?

Klaus Emmerich: Man darf nicht den Fehler machen, an diese Frage mit europäischen oder gar österreichischen Maßstäben heranzugehen. Vergessen wir nicht, die Mehrheit der Amerikaner hat Herrn Bush wiedergewählt - was für die Mehrheit der Europäer völlig unbegreiflich ist. Das zeigt, die Amerikaner wählen ihr Leitbild oder denjenigen, der ihrem Leitbild nahe kommt.

Die Furche: Wie schaut dieses US-Leitbild heute aus?

Emmerich: Die Amerikaner fühlen sich heute ähnlich wie am Ende des Vietnam-Kriegs. Der amerikanische Durchschnittsbürger hat nach dem Irak-Debakel ein enormes Maß an Minderwertigkeitskomplexen. Der Erfolg von Ronald Reagan war, dass er mit seiner "Hoppla jetzt komm ich-Politik" den Amerikanern ihr Selbstbewusstsein zurückgeben konnte. Heute ist wie damals die Frage: Wer stellt Amerikas Selbstbewusstsein wieder her?

Die Furche: Ein Held, so wie Gouverneur Arnold Schwarzenegger den republikanischen Kandidaten John McCain genannt hat?

Emmerich: McCain ist ein heißer Tip, die Amerikaner lieben Helden. McCain war im Krieg, war in Gefangenschaft, war schwer verwundet - das ist sein Vorteil, aber sein Nachteil ist: Er ist alt, er tritt älter an als Reagan damals.

Die Furche: Hat nach dem Bush-Desaster ein Republikaner überhaupt noch Chancen aufs Präsidentenamt?

Emmerich: Bush hat das Land in den Graben gefahren und die Republikaner sind personell ausgedörrt. Nach der Papierform ist den Demokraten der Sieg nicht mehr zu nehmen, trotzdem bleibe ich sehr skeptisch.

Die Furche: Warum so vorsichtig?

Emmerich: Hillary Clinton ist ein Kunstgewächs des amerikanischen Ostküsten-Establishments - das ist die Mini-Mini-Minderheit in den USA. Ist Hillary für den durchschnittlichen US-Mann - die meisten Wähler sind Männer! - wählbar, weil oder obwohl sie eine Frau ist? Nach meinem Gefühl lassen sich die amerikanischen Männer nicht gern was von Frauen sagen - auch nicht aus dem Weißen Haus.

Die Furche: Und Barack Obama? Der trommelt landauf, landab den Wechsel, den sich doch angeblich die meisten Amerikaner wünschen?

Emmerich: Das ist die Kennedy-Tour, darum unterstützen ihn ja auch die Kennedys. Ideologisch ist Obama auf der Schiene von John F. Kennedy, aber sonst natürlich nicht: JFK stammte aus einem US-Altadel. Das wäre, wie wenn bei uns ein Erzherzog kandidiert. Der Obama hingegen kommt aus armen Verhältnissen, ist ein Selfmade-Man. Er ist eine elegante Erscheinung, redet gut, alles okay, wäre er nicht ein Schwarzer, wäre er der nächste Präsident. Doch ein Schwarzer im Weißen Haus - das glaub ich nicht …

Die Furche: Ist die Hautfarbe wirklich noch so ein Thema?

Emmerich: Aber natürlich, da redet niemand offen darüber, doch in dieser Frage trennt ein tiefer Graben das Land. Das spricht dafür, dass Hillary und Obama sich zusammentun - dann ist das demokratische Ticket ziemlich sicher, dann sind sie unschlagbar.

Die Furche: Was würde dieses Duo für Europa bedeuten?

Emmerich: Wenn wir egoistisch sind, müssten wir sagen: Nehmen wir die Hillary, denn die Clintons haben schon gelernt, dass die USA ohne Europa oder gar gegen Europa nicht erfolgreich sein können.

Stormy A. Mildner, Amerika-Expertin des Berliner Politik-Think Tanks SWP über die den US-Wahlkampf beherrschenden Wirtschaftsängste.

Die Furche: Frau Mildner, Wirtschaft ist zum Thema Nr. 1 im US-Wahlkampf geworden - zurecht?

Stormy A. Mildner: Das ist der große Unterschied zu den US-Wahlkämpfen der letzten Jahre, in denen das Thema Sicherheit und der Irak-Krieg die Diskussion beherrschten. Die Finanz-, Hypotheken- und Immobilienkrise hat die Interessenlage der Amerikaner völlig umgedreht - zentral ist jetzt die Angst davor, dass die USA vielleicht doch noch in eine Rezession abrutschen könnten.

Die Furche: Wieviel davon ist Panikmache?

Mildner: Wie immer, wenn Börsen im Spiel sind, ist viel Irrationalität dabei. Andererseits, das prognostizierte Wirtschaftswachstum ist mit 1,5 Prozent sehr niedrig. Das bedeutet nicht, dass die USA schon in einer Rezession sind, aber die Ängste davor sind nicht unbegründet.

Die Furche: Ist die wirtschaftliche Bredouille, in der die USA sind, ein Startvorteil für die Demokraten?

Mildner: Die schlechte Konjunktur kommt sicher den Demokraten zupass, die sowieso schon die Partei der Ärmeren und der Mittelschicht sind und denen traditionell mehr soziale Kompetenz zugestanden wird. Und wenn es der Wirtschaft schlecht geht, wurde meistens der Kandidat jener Partei gewählt, die gerade nicht regiert.

Die Furche: Wie können die Republikaner da dagegenhalten?

Mildner: Ideen für eine Reform des Gesundheitssystems haben die Republikaner natürlich auch. Aber sie setzen eher auf den Markt und die Privatisierung des Systems, während die Demokraten mehr auf den Staat setzen und versuchen, für jeden Amerikaner eine Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen.

Die Furche: Amerika gibt mehr Geld für die Gesundheitsversorgung aus als jedes andere Land, trotzdem funktioniert es nicht.

Mildner: Die Effizienz eines Gesundheitssystems kann man nicht an den Ausgaben messen …

Die Furche: … das sehen wir bei uns auch! Doch in den USA ist es schon um einiges dramatischer, da fallen Millionen Menschen völlig aus dem System hinaus.

Mildner: Das ist das eigentliche Problem, dass große Teile der Bevölkerung nicht krankenversichert sind. Zudem hängt die Krankenversicherung oft mit dem Arbeitsplatz zusammen. Mit der steigenden Arbeitslosigkeit wächst jetzt die Sorge, die Krankenversicherung zu verlieren - und diese Gefahr betrifft vor allem die Mittelschicht.

Die Furche: Mit der Reform des Gesundheitswesens ist Hillary Clinton schon als First Lady gescheitert - warum soll es ihr jetzt gelingen?

Mildner: Eine Reform des US-Gesundheitssystems haben viele vergeblich versucht. Aber jetzt ist der Druck seitens der Bevölkerung so groß, dass tatsächlich etwas passieren muss. Denn jetzt erfasst das Problem wirklich breite Kreise in der Mittelschicht.

Die Furche: Ist das Rennen um das Weiße Haus für Sie also schon mehr oder weniger entschieden?

Mildner: Nein, es ist noch lange hin bis zu den Wahlen, da kann noch viel passieren.

Die Furche: Aber der Wahlslogan, der Bill Clinton einst ins Weiße Haus gebracht hat, stimmt auch dieses Mal: "It's the economy, stupid!"

Mildner: Stimmt mehr denn je: It's still the economy - es ist immer noch die Wirtschaft!

Die Gespräche führte Wolfgang Machreich.

* Ein weiteres fatales Erbe der Präsidentschaft Bush ist, dass der Mittelstand im Schwinden ist, die gut bezahlten Jobs nach Indien oder China auswandern. Oder reden wir von den Senioren, die zuweilen Probleme haben, ihre Gasrechnungen jeden Monat zu zahlen - so sehr haben sich die Energiekosten verteuert. So wie die Preise für Medikamente. Mittlerweilen zahlen Oma und Opa bis zu 80 Prozent mehr für Medikamente als etwa die Franzosen.

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