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Das endlose Tauziehen um die Gesundheitsreform in den USA ist nur ein Auswuchs des von den Interessen des „Big Business“ gelähmten politischen Systems in Amerika. Ein höchstrichterliches Urteil stärkt diesen Einfluss der Wirtschaft auf die Politik noch mehr und ist nicht nur für Obama ein „direkter Angriff auf die Demokratie“.

Während in Tampa im Bundesstaat Florida Monique Zimmerman-Stein langsam ihr Augenlicht verliert, streitet sich in Washington die Politelite darum, ob es in Zukunft eine Krankenversicherung für alle Amerikaner geben soll und falls ja, wie diese aussehen soll. Monique ist 48 und zweifache Mutter. Sie leidet genau wie ihre Töchter am Stickler-Syndrom, einer Generkrankung, die unter anderem zur Erblindung führt. Wegen ihrer schlechten Krankenversicherung, die nur einen Bruchteil der Kosten übernimmt, beschloss Monique, ihre Behandlungen abzubrechen. Sie kann es sich nicht mehr leisten. Das wenige Geld, das der Familie zur Verfügung steht, soll gespart werden. Für die Töchter, damit diese behandelt werden können und nicht frühzeitig erblinden müssen.

Während sich also die Gesetzesmacher in der Hauptstadt partout nicht über die Gesundheitsreform einigen können, widerfährt Hunderttausenden Amerikanern ein ähnliches Schicksal wie Monique. Eine unzureichende oder fehlende Krankenversicherung hat – gesundheitlich wie finanziell – bedrohliche Folgen. Zehntausende sind seit der Amtseinführung von Präsident Barack Obama aufgrund des katastrophalen Gesundheitssystems gestorben. 50 Prozent der Privatbankrotte in den USA sind auf unbezahlte Arztrechnungen zurückzuführen.

Eile wäre also dringend geboten. Aber zu unterschiedlich sind die Interessen im Kongress, zu stark der Einfluss der Lobbyisten auf den Gesetzfindungsprozess.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von vorletzter Woche, die Unternehmen künftig erlaubt, bei Wahlen finanziell unbegrenzt Werbung für die ihnen genehmen Kandidaten zu machen, hat nicht nur eine Welle der Empörung im Land ausgelöst, sondern hat die Chance einer nachhaltigen Gesundheitsreform wohl noch unwahrscheinlicher gemacht. „Dieses Urteil ist ein direkter Angriff auf die Demokratie“, es habe „die Schleusen für unbegrenzte Mengen an Lobbyisten-Geld“ in das politische System geöffnet, meinte Präsident Obama wütend. In Zukunft werden wohl weniger der Abgeordnete aus Montana oder der Senator aus Iowa in den ehrwürdigen Hallen am Kapitol das Sagen haben, sondern jene von „Walmart“ oder „Exxon“. Dabei ist das veraltete und überforderte politische System der USA schon jetzt mächtig in den Klauen von „Big Business“. Allein zur Verhinderung der Gesundheitsreform soll die Versicherungslobby gleich viel Geld investiert haben, wie die Wahlkämpfe von Obama und George W. Bush zusammen gekostet haben.

Dabei hätte sich mit der Wahl Obamas vieles in Washington ändern sollen. Er versprach dem kleinen Mann eine neue Politik in Washington. Nicht viel von dem ist tatsächlich eingetreten. Der Präsident hat es zwar geschafft, den wirtschaftlichen Kollaps – zumindest vorerst – abzuwenden und das Ansehen Amerikas im Ausland zu verbessern. Innenpolitisch hat er aber den Fehler begangen, dem bei den Wählern so ungeliebten Kongress die Zügel in die Hand zu geben. Politische Großprojekte wie die Gesundheitsreform wurden dabei durch den Fleischwolf gedreht, bis am Ende nicht viel übrigblieb.

Gesundheitsreform im Fleischwolf

Ein fürchterlicher Fehler, der ihm viel Vertrauen in der Bevölkerung und wichtige Wahlen wie etwa in Massachusetts oder New Jersey gekostet hat. Obamas Jobrating rutschte in den Keller. Zwar wuchs die amerikanische Wirtschaft im vierten Quartal 2009 mit 5,7 Prozent so kräftig wie seit gut sechs Jahren nicht mehr, Jobs gehen jedoch immer noch verloren. Die Armut und Instabilität in Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist weiter am Steigen.

Jeder fünfte Amerikaner ist arbeitslos, unterbeschäftigt oder wurde ganz aus dem Arbeitsleben hinauskatapultiert. Etwa sieben Millionen Bürger haben seit Beginn der Rezession ihre Jobs verloren. Über 50 Prozent der 16- bis 24-Jährigen sind auf Arbeitssuche – die höchste Rate seit 1948. Ein Viertel der amerikanischen Kinder leben von Essensmarken, 36 Millionen Amerikaner insgesamt. Betroffen sind nicht nur die Armen. Selbst in einst reichen Gegenden wie Orange County (Kalifornien) ist die Nachfrage nach Essensmarken um 50 Prozent gestiegen. Die Wirtschaftskrise hat mehr als fünf Billionen Dollar an Erspartem und Pensionen weggeschwemmt. Die Zahl der Unversicherten erreicht fast die 50-Millionen-Marke. Öffentliche Parks werden geschlossen, dringend notwendige Reparaturen der Infrastruktur aufgeschoben. Die 97.000 von der öffentlichen Hand finanzierten Pflichtschulen ächzen unter Geldmangel.

Die Rezession hat eine veritable sozio-ökonomische Erosion im Land hinterlassen. Das riesige Staatsdefizit, das fehlende Geld in den Taschen der Bundesstaaten, Gemeinden und der Privathaushalte macht es schwer an einen baldigen Aufschwung zu glauben. Dazu kommt, dass der dauernde Existenzkampf immer mehr Amerikaner psychisch krank macht. Depressionen, Angstzustände und häusliche Gewalt nehmen zu. Der US-Mittelstand, den man sonst nicht so schnell kleinkriegt, ist frustriert und hat Zukunftsangst. Wie Elizabeth Warren, Harvard-Professorin und lautstarke Kritikerin der Wall Street, diagnostizierte, wurde auf den Mittelstand in den letzten Jahren „eingeschlagen und an ihm gezerrt“. Man habe ihn „zerhackt“, bis nichts mehr übrigblieb.

Auf das College zu gehen und einen Job zu haben, heißt nicht mehr, auf wirtschaftlich gesunden Beinen zu stehen. Während die Banker und CEOs sich auch in Krisenzeiten über staatliche Hilfe und saftige Provisionen freuen können, ist für viele Amerikaner eine gute Ausbildung für die Kinder oder eine sichere Pension zu einem unerreichbaren Traum geworden.

Obamas Beliebtheit bleibt Obamas Trumpf

Die Amerikaner haben „kein Problem mit Ungleichheit, solange sie glauben, dass das System nicht manipuliert wird“, meinte Robert Reich, ehemaliger Arbeitsminister unter Bill Clinton. Diese Haltung hat sich mit der fortschreitenden Globalisierung in den letzten Jahren und vor allem durch die Rezession merklich geändert.

In seiner Rede zur Nation versuchte Präsident Obama das Vertrauen der Bevölkerung wieder für sich zu gewinnen. Weniger mit blumiger Rhetorik, sondern selbstkritisch und kämpferisch hat er die Flucht nach vorne angetreten. Die Schaffung von Arbeitsplätzen wurde zur höchsten Priorität erklärt, der Gesundheits- und Finanzreform weiterhin großes Gewicht gegeben.

„Die Amerikaner mögen Obama um einiges mehr als irgendeinen der Kongress-Leader“, schreibt Frank Rich in der New York Times. Und das ist nach einem verspielten Amtsjahr Obamas Trumpf, aus dem er Kapital schlagen kann. „Ich gebe nicht auf“, gab der Präsident seinen Mitbürgern unmissverständlich zu verstehen. Er will die Gelegenheit jetzt beim Schopf packen, neu anfangen und dem amerikanischen Traum wieder Leben einhauchen. Es wird ein langer und steiniger Weg.

Der Autor ist ehemaliger demokratischer Kandidat für den US-Kongress.

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