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Wie gesät, so geerntet

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Es würde vielleicht die Selbstzufriedenheit dieses Korrespondenten kurieren, wenn er einmal ein Jahr im Harlem zubringen müßte. Eventuell verstünde er dann, warum die in diesem Getto zusammengepferchten, von weißen Hausbesitzern und Geschäftsleuten ausgesogenen Neger, deren Arbeitslosigkeit doppelt so hoch ist als die der Weißen, im falschen Augenblick ihre lange Geduld verloren haben. Weiß der Briefschreiber zum Beispiel, daß bis vor kurzem eine Verschwörung von Grundstückmaklern und Geschäftsleuten Negern es unmöglich machte, in Harlems bester Geschäftslage einen Laden zu erwerben? Der war für Weiße reserviert, die natürlich woanders wohnten. Jetzt würden die Weißen ihre Geschäfte nur zu gern an Farbige verkaufen; sogar mit Verlust Wie man sät so erntet man!

In Rochester, dem zweiten Unruheherd nach Harlem, schlugen sich die Stadtväter voller Entrüstung an die Brust. Sie hätten mehr für die Neger getan als 99 Prozent aller anderen amerikanischen Städte. Damit haben sie nicht ganz unrecht. Jedoch was getan wurde, geschah im Geist des Absolutismus, alles für, nichts durch das Volk. Weiße Amerikaner hätten sich das trotz aller Fürsorge längst nicht gefallen lassen.

Eine interessante Umfrage

Wie alles in der Welt, haben die Negerunruhen zwei Seiten. Auch eine kriminelle Seite, wie die Plünderungen bewiesen haben. Dabei waren die Dust am Plündern und der Wunsch nach Rache an den weißen Geschäftsleuten vermischt. Warum sollten die jungen Neger nicht noch aufsässiger und gewalttätiger sein als die jungen Weißen, da ja ihre Lage viel auswegloser ist? Unter den Umständen ist es erstaunlich, wie wenig Blut geflossen ist. Ein New Yorker Psychiater französischer Abstammung sagte mir, in Europa wäre das ganz anders ausgefallen. Die Amerikaner wollen eben die Dinge nicht aul die Spitze treiben.

Eine jüngste Umfrage der „New York Times“ in den Negerbezirken der Stadt zeigt, daß diese Abneigung gegen den Extremismus auch für die Neger gilt. 69 Prozent der Befragten lehnen die Gewaltanwendung ab. 7 Prozent bejahten sie. 22 Prozent bedauern sie, aber meinen, sie lasse sich nicht immer vermeiden. Konsequent nehmen sich sogar 73 Prozent Dr. Martin Luther King, der passive Resistenz im Sinne Gandhis predigt, zum Vorbild, während nur 8 Prozent für den militanten Malcolm X ein- treten. Noch weniger Neger sogar bewundern die Schwarzen Muselmänner, mit denen Malcolm X sich überworfen hat, aber aus persönlichen, nicht aus Zielsetzungsgründen, nämlich nur 6 Prozent. Über ihre Einstellung zu den Weißen befragt, gaben 63 Prozent an, eie seien ihnen egal, während Haß (6 Prozent) und Zuneigung (5 Prozent) sich die Waage halten.

„Zum Teufel mit eurer Liebe!“

In einem neuen Buch eines bekannten farbigen Schriftstellers ist diese Einstellung sehr prägnant beschrieben. Der Verfasser zitiert eine farbige Frau im Harlem, die den Weißen ‘zuruft: „Zum Teufel mit eurer Liebe für uns! Zum Teufel mit eurem Mitleid für uns! Zum Teufel mit eurer Wut auf uns! Wir wollen nichts von euch außer der Möglichkeit, besser als die Ratten zu leben, die unsere Wohnungen mit uns teilen.“

Wenn 73 Prozent der Befragten einem Führer folgen, der die Gewaltlosigkeit bejaht, wundert man sich allerdings, warum die gemäßigten Führer das Heft nicht stärker in der Hand halten. Sie haben sich reichlich spät aufge-

rafft, ein Moratorium auf öffentliche Demonstrationen bis nach dem Wahlkampf zu verkünden. Die „New York Times“ meinte, es wäre besser gewesen, wenn eie das Moratorium mit der Notwendigkeit, dem Gleichberechtigungsgesetz eine Chance zu geben, begründet hätten. Tatsächlich macht es keinen guten Eindruck, wenn die Angst vor einem Sieg Goldwaters der ausschlaggebende Grund für das Moratorium ist.

Wasser auf Goldwaters Mühlen

Goldwater hat von der Entwicklung seit der Annahme des Gesetzes profitiert. Wieder einmal hat sich die Entwicklung entgegen aller Voraussicht zu seinen Gunsten vollzogen. Wie an dieser Stelle schon gesagt wurde, hatte man befürchtet, daß eine Nichtannahme oder bedeutende Verwässerung des Gesetzes zu Ausschreitungen der geprellten Farbigen führen würde. Dies würde eine bösartige Reaktion der Weißen auslösen und der Regierung Stimmen kosten.

Daß nun aber hach der Annahme des wenig verwässerten Gesetzes die Neger trotzdem randalieren, das kostet die Regierung — wie wir am Beispiel der Schauerleute von New Jersey gesehen haben — mehr Stimmen, als sie andernfalls verloren hätte. Nun stoßen zu den Weißen, die auf die Regierung wegen des Gesetzes böse sind, auch noch diejenigen, die über die Neger aufgebracht sind. Obwohl die Mehrheit der Re(publikaner für das Gesetz gestimmt hat, bleibt nur Mister Goldwaters lautschallendes Nein in der Erinnerung haften. Wäre das Gesetz abgelehnt worden, wären die der Gleichberechtigung nicht gewogenen Weißen auf die Regierung nicht so böse, und etwaige Ausschreitungen der Neger hätten mehr Verständnis gefunden.

Die südlichen Weißen haben sich bisher bei der Durchführung des Gesetzes im großen und ganzen dis-

ziplinierter gezeigt, als man vorher angenommen hatte. Ja, man hat das Gefühl, daß viele froh stoß, daß ihnen das Gesetz die Möglichkeit gibt, mit Anstand eine unwürdige, weil die Menschenwürde verletzende Haltung aufzugeben.

Am Anfang war die einzige Form des Protestes gegen das Gesetz, daß einige Hotels zumachten. Böse Zungen behaupten, daß diese Hotels froh waren, einen Vorwand gefunden zu haben, der es ihnen erlaubte, ihre unrentable Tätigkeit mit Würde zu beenden. Ganz legal strengte zwei Stunden und zehn Minuten nach der Unterzeichnung des Gesetzes durch Präsident Johnson ein Motelkonzern in Georgia einen Prozeß an, um die Rechtmäßigkeit des Gesetzes festzustellen.

Der Wirt mit dem Beil

Eine penetrante Ausnahme von der Legalität machte ein rabiater Restaurantbesitzer in Atlanta, ebenfalls in Georgia, der Negergäste un- gastfreundlich mit geschwungenem Beil empfing. Der Wirt war ursprünglich ein begeisterter Anhänger Gouverneur Wallaces in dessen Feldzug für die Präsidentschaft gewesen, darnach aber zu Goldwater übergelaufen. Es wird behauptet, daß Wallace seine Kandidatur hauptsächlich deswegen aufgab, weil zu viele Ratten sein sinkendes Schiff für die schmucke Goldwater-Fregatte verließen, b€r sonders die Geldgeber.

Jedoch die bornierteren Weißen, geführt vom Ku-Klux-Klan, der wieder stark aufblüht, übten bald Druck auf die gesetzfrommen Gaststätten aus. Ein Restaurateur aus St. Augustin in Florida, Wo seit Monaten ein zäher Kampf der Neger gegen die Oligarchie, die Amerikas älteste Stadt beherrscht, im Gange ist, drückte das Dilemma sęiner Kollegen so aus: „Wenn die Schwarzen uns boykottieren, ist das lästig. Wenn die Weißen es tun, ist es tödlich.“ Infolgedessen begannen viele Gaststätten bald, die Neger wieder abzuweisen.

Das Justizministerium erreichte gerichtliche Anordnungen, die den - Negerhassem verboten: Gaststätten, die das Gesetz befolgen, zu belästigen. Gleichzeitig Würde gegen 1 Wirte,’ die Neger äbwefee’H, lft°e& x0026;i- gen Fällen vorgegangen. Allein in Tuskaloosa in Alabama wurde fünfzehn Restaurants der Prozeß gemacht. Wenn es schon in einer Stadt so viele solcher Ungaststätten gibt, wieviele werden es wohl Im ganzen Süden sein? Da stimmt es nachdenklich, daß man wenig von Klagen liest. Man hofft, daß Tuskaloosa eine Ausnahme ist, aber fürchtet, daß es der Wahlkampfstrategie des Präsidenten, so wie sie sich jetzt herausschält, entspricht, Klagen möglichst zu vermeiden. Wenn schon Robert Kennedy dem Süden geopfert wurde, warum nicht auch einige Neger?

Die Geschlagenen entschuldigen sich

Auch die Verschüchterung der südlichen Neger ist ein Grund für den Klagemangel. Eine Geschichte, die sich in Georgia ereignet hat, ist für diese sehr bezeichnend. Drei junge Neger gingen nach Erlaß des Gesetzes in ein Kino, das sie vorher nicht eingelassen hatte. Sie mußten dies unschuldige Vergnügen mit Hieben seitens aufgebrachter Weißer bezahlen. Darnach setzten die örtlichen Negerführer ein Inserat in die Lokalzeitung, in dem sie sich bei den Weißen für den Kinobesuch entschuldigten und versprachen, es werde nicht wieder Vorkommen.

Einen wichtigen Fingerzeig in bezug auf die Haltung der Administration gegen südliche Renitenz wird man auf dem Demokratischen Parteikongreß, der am 23. August beginnt, erhalten. Eine hauptsächlich aus Negern bestehende Abordnung will der regulären Parteiorganisation von Mississippi den Sitz streitig machen. Das Vorgehen der Neger ermangelt nicht der Logik, denn die Regulären waren durch die Bank Wallace- Arahänger. Sie haben sich nur deshalb noch nicht für Goldwater ausgesprochen, um am Parteikongreß teilnehmen zu können. Sollte der Kongreß daher die Insurgenten abweisen, darf man daraus wohl schließen, daß die Administration dem Süden gegenüber eine Beschwichtigungspolitik betreibt.

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