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Exklusiv wie die Weißen

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Die Yanceys — der Name hat unter den Negern einen Klang wie etwa Rockefeller — haben in Atlanta mitten im Negerviertel ein Herrenhaus mit Park, Tennisplätzen und Schwimmbassin, das von keinem weißen Haus Atlantas übertroffen wird.

Die Bewohner dieser Häuser sind Ärzte, Zahnärzte, Anwälte, Architekte, Direktoren, Staatsbeamte. Ihre Kinder besuchen die exklusivsten Hochschulen, ein Widerstand dagegen, wie in den paar Südstaaten, ist unbekannt. In den überfüllten Hochschulen der ersten Kategorie, die ihre Kandidaten sorgfältigst sieben, mag ein Neger immerhin bessere Qualitäten aufweisen müssen, um einen weißen Bewerber vorgezogen zu werden. Empfehlungen spielen eine gewisse Rolle, es macht aber keinen Unterschied aus, ob sie von einem weißen oder farbigen Abgeordneten oder Priester kommen. Die vornehme Negergesellschaft ist ebenso exklusiv wie die weiße Gesellschaft, die sich, wie jede relativ junge Gesellschaft, sorgfältig von den unteren Schichten absondert — nicht ganz so /scharf wie in Sowjetrußland, aber ‘krampfhafter als die älteren Gesellschaften Englands oder Südamerikas.

Die reiche schwarze Gesellschaft hat eine ebenso offene Hand wie die weiße Gesellschaft. Die größte Negeruniversität, die Howard Universität in Washington, hat in den letzten Jahren unter ihren Spenden sieben von zusammen 25 Millionen Dollar, darunter eine von neun, eine von sieben Millionen gezählt. Neger gehören zu den freigebigsten Spendern für die Hochschulen, die ihre Kinder besucht haben.

Beachtlich sind die Beziehungen zu den neuen Negerstaaten Afrikas, deren Delegierte von der vornehmen Negergesellschaft der USA etwa so aufgenommen werden, wie die Europäer, die zur Zeit des Befreiungskrieges über den Atlantik kamen, obwohl ihre politische Haltung gegenüber den USA gerade entgegengesetzt ist.

Der Mittelstand

Wenden wir uns nun den unterem Schichten des Mittelstandes zu. Es gibt heute kein größeres Büro, vor allem in New York, das keine farbigen Ange-

stellten hätte. Sie sind meist um einen Grad höflicher, tüchtiger, arbeitswilliger als ihre weißen Kollegen, um ihre Anstellung zu rechtfertigen. Dieser Unterschied steigt, je weiter man hinaufkommt, und sinkt, je weiter man heruntersteigt; er zeigt sich noch bei den Verkäufern der besseren Geschäfte, verschwindet aber bei denen, die die Masse bedienen, ja schlägt dort gelegentlich in das Gegenteil um.

Bei Gericht oder bei einer Behörde macht die Farbe keinen Unterschied aus. Eine weiße Partei wird sich leicht einem farbigen Richter oder Gegenanwalt gegenübersehen. An keiner Stelle ist die Gleichstellung von so einschneidender Bedeutung. Sie ist unvergleichlich wichtiger als die des Kunst oder Vergnügen suchenden Publikums. Auch da haben die letzten Jahre enorme Fortschritte zu verzeichnen. Als der Direktor des Metropolitan, Dr. Rudolf Bing, erklärte, daß er keine Gastspiele an Orten geben würde, die Neger ausschließen, fügte man sich ihm bis weit in den tiefsten Süden.

Betrachten wir nun auch die Kehrseite. Nehmen wir wieder Washington als Paradigma, weil es erst in letzter Zeit eine Negerstadt geworden ist. 5 8 Prozent der Bevölkerung sind farbig, aber 80 Prozent der Verbrecher, nämlich jener, die gefaßt werden, sind farbig. Doppelt so viel Neger als Weiße scheiden vorzeitig aus der Schule aus. Die „arme” Negerfamilie, d. h. die mit einem Einkommen unter 50.000 Schilling, wohnt in einer überfüllten Wohnung mit teurer Miete und hat nicht ganz dieselben Reinlichkeitsbegriffe wie die weiße Familie der gleichen Schichte. Das zeigt sich bei einer Wanderung durch die armen Negerviertel der großen Städte mit ihren zahlreichen subventionierten Bauten für bescheiden Bemittelte. Diese Häuser sind regelmäßig gemischt, mit Weißen in der Minderzahl. Die Sicherheitsverhältnisse in diesen Häusern sind so schlecht, daß auszieht, wer es sich nur leisten kann, auch die Negerfamilie mit besseren Lebens- gewobnheiten. Sie findet schwerer eine neue Wohnung als die weiße Familie, wogegen viele Staaten in der letzten Zeit mit drakonischen, aber kaum durchführbaren Gesetzen ankämpfen.

Zwischenbilanz

Die Gleichstellung der Farbigen ist in vollem Gange, vielen, auch Weißen, zu langsam, aber in den letzten 20 Jahren in gesteigertem Tempo. Man hätte mit der Geschichtsuhr, auf der Jahre gleich Minuten sind, ausrechnen können, wann sie sich vollzogen haben wird. Der Vergleich mit der Uhr hat aber einen Fehler: Volksentwicklungen folgen nicht mechanischen, sondern organischen Gesetzen. Man kann einem Apfelbaum nicht befehlen, zweimal im Jahr zu blühen, oder einem Kaffeebaum, nach drei Jahren Früchte zu tragen. Das Tempo eines Organismus kann nicht mit Gewalt, nur durch Pflege beeinflußt werden. Die Bundesregierung der USA macht heroische Anstrengungen, um dies Tempo zu beschleunigen. Noch nie in der Geschichte ist soviel Macht und soviel Geld aufgewendet worden, um das Recht von ein paar Negerkindern oder eines Negerstudenten zu schützen. Das sind Ruhmesblätter im amerikanischen Buch des Rechtes. Gerechterweise muß man sich immer daran erinnern, daß es auf der weiten Erde nur wenige Länder gibt, in denen Minderheiten, auch solche der Farbe, mehr geschützt werden als in den USA: daß die Weißen in Afrika, von Rhodesien bis Algier, bald froh sein würden, wenn sie in ihren Menschenrechten so geschützt wären wie die Farbigen in den USA.

Wir werden demnächst untersuchen, ob der Assimilierungsprozeß durch die jüngsten krampfhaften Erscheinungen gefördert oder gehemmt wird.

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