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Nachdenken über Südafrikas Zukunft

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Das Gespräch mit Außenminister Botha dauerte mehr als zwei Stunden. Der Tenor blieb der gleiche: Das Südafrika der Nationalen Partei sieht sich von einer Welt verfolgt, die nur im Sinn hätte, die Weißen in die Knie zu zwingen und sie einer schwarzen Mehrheitsregierung zu unterwerfen, und das wird von dieser Regierung automatisch gleichgesetzt mit einer Auslieferung der Weißen an eine Willkürherrschaft, die letzten Endes alles vernichten würde, was der weiße Mann hier aufgebaut hat.

Völliges Unverständnis zeigte der Außenminister auch dafür, daß die Welt sich überhaupt „in Angelegenheiten einmischt, die doch nur die Menschen dieses Landes etwas angehen". Botha erhob Vorwürfe gegen den Westen: Mit der Sowjetunion, mit Kuba, mit Vietnam, mit den härtesten kommunistischen Diktaturen unterhalte dieser Westen beste politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen, obwohl „dort schon Millionen in Gefängnissen und Konzentrationslagern umgebracht worden seien, obwohl dort die Menschenrechte schwer verletzt würden".

Westeuropa sei sogar ängstlich darauf bedacht, diese Regime nicht zu provozieren und zeige sich alarmiert, wenn die Entspannungspolitik gefährdet werden könnte. Aber Südafrika werde vom gleichen Westen dauernd angegriffen, teilweise boykottiert, mit den Stimmen westlicher Staaten aus internationalen Organisationen ausgeschlossen und wie ein Paria behandelt. Und doch gehe es der schwarzen Bevölkerung nirgendwo in Afrika besser als in Südafrika.

In den meisten afrikanischen Staaten herrsche Diktatur und die Menschen wären rechtlos. Nirgendwo sonst gehe ein höherer Prozentsatz von Schwarzen zur Schule als in Südafrika.

Nirgendwo sei auch der Durchschnittslohn für Schwarze so hoch wie hier, kein afrikanischer Staat sorge auch nur annähernd im gleichen Ausmaß für die Gesundheit seiner Bevölkerung, keiner kleide sie so gut, keiner stelle ihnen in diesem Ausmaß Häuser zur Verfügung.

Aber die ganze Welt habe sich verschworen, die weiße Regierung Südafrikas zu stürzen und aus Südafrika, das „heute ein Paradies sei, die gleiche Hölle zu machen, wie sie im Rest von Afrika herrscht".

Soweit Außenminister Botha. Es ist meiner Ansicht nach notwendig, sich mit dieser Argumentation auseinanderzusetzen...

Der Hinweis auf schlechtere Zustände in anderen, in schwarzafrikanischen Staaten kann für die Zustände im eigenen Land keine Entschuldigung sein. Eine weiße Regierung, die über viel größere finanzielle und wirtschaftliche Mittel verfügt als die schwarzafrikanischen Staaten, die sich auf das Christentum und dessen moralische Prinzipien beruft, die für sich in Anspruch nimmt, eine Demokratie und ein fester Bestandteil der freien Welt zu sein, die das gesamte humanistische Erbe Europas zu vertreten vorgibt, kann keine ihrer Handlungen mit dem Hinweis auf Unrecht und Diskriminierung und Unterdrückung in anderen Ländern rechtfertigen, seien es nun schwarzafrikanische oder kommunistische.

Auch vergleichen die Bürger Ugandas ihr Schicksal und ihren Standard mit dem ihrer eigenen Eliten. Die schwarzen und braunen Bürger Südafrikas können ihre Rechte, ihre Bewegungsfreiheit, ihre Chancen in Schulen, Ausbildung und Beruf, ihren Lohn, ihren Lebensstandard, ihre Zukunftsaussichten nur im Vergleich zum Los ihrer Mitbürger anderer Hautfarbe messen.

Das Recht dazu haben sie sich

übrigens voll und ganz selbst erworben, denn sie haben ja den wirtschaftlichen Aufschwung, die industrielle Entwicklung, den Wohlstand Südafrikas durch ihrer eigenen Hände Arbeit mitgeschaffen ...

Unterschiede zwischen reich und arm gibt es überall, aber sie dürfen nicht von der Hautfarbe bestimmt werden. Und sie dürfen nicht gleichbedeutend sein mit Entrechtung und Entwürdigung und Ausbürgerung.

Es macht einen Unterschied, ob ein Volk in seiner Gesamtheit von einer diktatorischen Clique aus den eigenen Reihen unterdrückt wird — wobei im Prinzip alle Bürger den gleichen Drangsalen ausgesetzt sind — oder ob innerhalb eines Landes ein Volk ein anderes unterdrückt, eine Rasse eine andere erniedrigt und demütigt...

Im Prinzip wollen alle Bevölkerungsgruppen in Südafrika ihre persönlichen Freiheiten und ihre wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten uneingeschränkt in Anspruch nehmen. Die überwältigende Mehrheit aller Bevölkerungsgruppen wünscht keine Konfrontation, keinen Kampf, kein Blutvergießen.

Versucht man nun, diese Vorstellungen deckungsgleich zu machen, so würde sich unter anderen folgendes Szenarium zur Lösung des Problems Südafrika anbieten: So wie es schon viele fordern, sollte es zu einer Verhandlungsrunde der politischen Führer aller Rassengruppen kommen. Die gemeinsame Staatsbürgerschaft, das gemeinsame Vaterland sollte für niemanden mehr in Frage gestellt sein.

Alle Rassengruppen sollten an einer künftigen Regierung Südafrikas beteiligt werden — power sharing, wie das englische Fachwort heißt, gemeinsame Beteiligung an der Macht. Dabei sollte es keiner Rassengruppe möglich sein, Entscheidungen ohne Zustimmung aller anderen Gruppen zu fällen.

Beschlüsse der Regierung müß-

ten einstimmig, also stets in vollem Einvernehmen aller Gruppen, gefaßt werden. Solcherart könnte keine Gruppe die andere dominieren oder ausschalten.

Es ist interessant, daß derartige Vereinbarungen überall dort vorstellbar sind, wo traditionell das proportionale Wahlrecht angewandt wird, und daß sie fast unvorstellbar sind, wo man bisher nur das britische Wahlrecht, das Westminster-Modell, kennt.

In der Schweiz, in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich, in Italien sind Koalitionsregierungen entweder die Regel oder doch schon oft erprobt. Dabei ist ganz selbstverständlich, daß der Koalitionspartner — einerlei, wie groß nun sein Stimmenanteil bei der letzten Wahl gewesen ist — in der Regierung nicht überstimmt werden darf, daß Regierungsbeschlüsse im Einvernehmen zu fassen sind.

Man möge nicht einwenden, daß derartige Konstruktionen nur von politisch sehr reifen Völkern vereinbart werden könnten. Wann sind Völker Politik-reif? Machen Völker die Kriege, erfinden Völker Diktaturen, bauen Völker Konzentrationslager? Es sind stets und immer ihre politischen Führer, die das tun oder unterlassen.

Es kommt also auf die Reife der politischen Führer an. Ich kenne eine ganze Reihe schwarzer Führer Südafrikas, innerhalb und außerhalb des Landes, denen niemand politische Reife absprechen würde...

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