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Sprengsatz am Kap

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Nach dem Aufstand — in Südafrika nichts Neues. Das aber im Sinne des Romantitels von Remarque, „Im Westen nichts Neues“. Denn bei der scheinbaren Ruhe nach der unbeschreiblich brutalen Niederschlagung des Auf Standes handelt es .sich nur um eine Atempause für die Weißen, während die Schwarzen weniger frei denn je atmen können. Niemand ist in der Lage, sich auszurechnen, wann die nächste Explosion stattfindet. Sicher ist nur, daß sie kommt.

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Nach dem Aufstand — in Südafrika nichts Neues. Das aber im Sinne des Romantitels von Remarque, „Im Westen nichts Neues“. Denn bei der scheinbaren Ruhe nach der unbeschreiblich brutalen Niederschlagung des Auf Standes handelt es .sich nur um eine Atempause für die Weißen, während die Schwarzen weniger frei denn je atmen können. Niemand ist in der Lage, sich auszurechnen, wann die nächste Explosion stattfindet. Sicher ist nur, daß sie kommt.

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Südafrikas Premier Vorster wurde bei seinem Besuch im Schwarzwald mit vielen guten Ratschlägen bedacht, den Druck auf die Schwarzen in seinem Land zu mildern. Er hat aber nicht im Sinne der Ratgeber reagiert. Man muß ihm auch zugestehen, daß diese Ratgeber, die Kissinger und Schmidt, nicht in seiner Haut stecken. Es ist sehr fraglich geworden, ob Vorster überhaupt noch in der Lage wäre, durch Reformen in Richtung auf den Abbau der Rassendiskriminierung die absehbare Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes, vor der sich Südafrikas Weiße immer mehr fürchten, aufzuhalten.

•Erstens lassen dies die politischen Kräfte, die er repräsentiert, nicht zu. Uber ein echtes Liberalisierungsprogramm könnte selbst ein Vorster stolpern. Zweitens hat die südafrikanische Situation — vielleicht schon in den letzten Jahren, sicher aber seit Angola und Mocambique — jenen Punkt erreicht, wo die Unterdrückten ein Nachlassen des Druk-kes nicht mit mehr Wohlverhalten belohnen, sondern mit der Forderung nach sofortiger und totaler Erfüllung ihrer Forderungen beantworten würden.

Vorster und seine Gesinnungsfreunde scheinen es aber darauf abgesehen zu haben, die Lunte zum noch schnelleren Abbrennen zu veranlassen. Denn Vorster weigerte sich, „unter Druck“ (aber wann hätte dieser JVtann jemals ohne Druck eine schwarze Forderung erfüllt?) die Verordnungen über den Gebrauch des Afrikaans im Unterricht zurückzunehmen. Genau diese Verordnungen haben den Aufstand von Soweto ausgelöst. Mit dem Spracherlaß hat Südafrikas Regierung das Streichholz an die Lunte gebracht.

Man nahm in Europa zwar das Massaker von Soweto, aber kaum dessen Anlaß zur Kenntnis. Die Zurückdrängung des Englischen und der verstärkte Einsatz des Afrikaans im Unterricht war für die Schwarzen ein Alarmsignal. In welcher Sprache ihre Kinder erzogen werden, hat für sie nicht nur mit ihrem nationalen oder rassischen Selbstver-

ständnis zu tun. Natürlich das auch, Afrikaans ist für die Schwarzen die Sprache der Unterdrücker, so, wie für die Buren einst das Englische die Sprache der Unterdrücker war (und in den Winkeln ihres Unbewußten noch ist). Das Englische ist für die Schwarzen in Südafrika vor allem ein Tor zur Welt. Oder wenigstens ein Hinterausgang. Immerhin lernten sie wesentliche Fächer zwar sehr schlecht, aber doch in einer Sprache, welche die ganze Welt versteht.

Freilich war es auch für Vorster mehr als eine Prestigefrage, den Schwarzen das Afrikaans aufzuzwingen. Englisch hat für sie nämlich auch als Kommunikationsmittel mit den Schwarzen anderer afrikanischer Länder größte Bedeutung. Mittels der englischen Sprache kommen die Theorien der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen nach Südafrika. Der Afrikaans-Erlaß hat einen festen Platz in Vorsters Politik der südafrikanischen „Wagenburg“, des Sich-Einigelns (Rhodesien wurde von Vorster offensichtlich bereits abgeschrieben).

Als Südafrikas Weiße Südafrikas Revolutionären von morgen das Afrikaans als Unterrichtssprache aufzwangen, erlagen sie allerdings dem Wunschdenken, es sei noch Zeit genug, 21 Millionen Schwarze gegenüber gefährlichen Einflüssen von außen abzuschirmen. Wahrscheinlich haben sie das genaue^ Gegenteil dessen, was angestrebt war, erreicht: Verschärfung des schon bisher unerträglichen Druckes und damit Beschleunigung der Lunte.

Es ist allerdings leicht, mit den Südafrikanern zu rechten und gleichzeitig gute Geschäfte zu machen. An der Verantwortung dafür, daß die Situation immer explosiver wird, tragen alle Länder und Konzerne, die in Südafrika investieren, weil ihnen die Rendite der Sklavenarbeit gefällt. Trägt auch das augenzwinkernde Einverständnis zwischen konservativen Konzernchefs und einem Vorster moralische Lehren erteilenden Kanzler da oder dort. Wo sich die ideologischen Grenzen zur Einheitsfront der Aus-

beutung verwischen, spricht man von Sachzwängen.

Apartheid heißt schrankenlose Ausbeutung der Schwarzen. Bedeutet weniger als ein Siebentel des Landes als „homelands“ für 70 Prozent seiner Bewohner. Bedeutet rücksichtslose Auseinanderreißung der Familien, Entwurzelung, Isolation. Bedeutet zehnmal so hohen Erziehungsaufwand für weiße Kinder — bei sinkender Tendenz für die schwarzen. Bedeutet faktisch Zwangsarbeit für Schwarze, die sich „unerlaubt“ in weißen Städten aufhalten, denn Arbeitsfähige werden selten in ihre „homelands“, die sie meist nie gesehen haben, viel häufiger in die Minen „abgeschoben“.

Südafrika ist die (hoffentlich) letzte Gesellschaft dieser Erde, die ihren Reichtum der Sklaverei verdankt. Allerdings ging es in einem Teil der antiken Sklavenhaltergesellschaften einem -großen Teil der Sklaven besser als der Mehrzahl der südafrikanischen Schwarzen. Sie hatten wenigstens die Hoffnung auf Freilassung. Für Menschen, die sich nicht nur Christen nennen, sondern auch ein christliches Gewissen haben, ist Südafrika ein unerträglicher Skandal. Dasselbe gilt für Sozialisten.

Aber da sind leider die Sachzwän-ge. Da ist der Druck, den in einer auf Konkurrenz beruhenden Weltordnung jeder auf jeden ausübt. Ethische Kriterien bei ökonomischen Entscheidungen sind seit einiger Zeit abgeschafft. Darum exportieren wir nach Südafrika und investieren in Südafrika und belehren dessen Premierminister, wenn er nach Europa reist. Sollte es jemals zum südafrikanischen Blutbad kommen — wir waschen unsere Hände in Unschuld.

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