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Im Strudel der Gewalt

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ln den schwarzen Ghettos herrscht seit Wochen totales Chaos. Viele Schwarze wurden wegen Kollaboration mit dem Regime von ihren Mitbürgern umgebracht.

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ln den schwarzen Ghettos herrscht seit Wochen totales Chaos. Viele Schwarze wurden wegen Kollaboration mit dem Regime von ihren Mitbürgern umgebracht.

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In Südafrika vergeht nun seit über einem Jahr kaum ein Tag, ohne daß in einer Reihe von nichtweißen Wohngebieten Mord, Totschlag und brutale Polizeieinsätze Opfer unter der ansässigen Bevölkerung fordern.

Die Unrast brach im September letzten Jahres in den Schwar-zenghettos des sogenannten Vaal-Dreiecks südlich von Johannesburg aus, und zwar gerade als in

Kapstadt das neue Dreikanunerparlament der Weißen, Mischlinge und Inder erstmals zusammentrat und P. W. Botha als Staatspräsident eingesetzt wurde.

In der Folge gerieten mehr und mehr Townships in den Sog von Aufruhr und Gewalt, und zwar zunächst jene in der östlichen Kapprovinz um die Hafenstadt Port Elizabeth, wo politischer Aktivismus, Widerstand und aufrührerische Gesinnung eine lange Tradition haben. Und seit knapp zwei Monaten stehen nun auch noch die Mischlingsquartiere von Kapstadt in Flammen.

Wenn am Kap der guten Hoffnung die Rede auf Präsident Bo-thas behutsame Reformpolitik kommt, äußern sehr viele nichtweiße Südafrikaner die Meinung, daß sich im Lande im wesentlichen nichts geändert habe. Demgegenüber sind viele Weiße überzeugt, vieles sei in Fluß geraten, und man befinde sich unwiederbringlich auf dem Weg zur offenen, integrierten Gesellschaft.

Dieses Auseinanderklaffen der Meinungen ist angesichts der ungleichen Folgen der jahrelangen „getrennten Entwicklung“

(Apartheid) nicht weiter überraschend.

Die Reformer können indessen auf konkrete Schritte hinweisen, die allein seit Beginn dieses Jahres zu einem weiteren Abbau der Rassenschranken geführt haben. So wurden etwa die namentlich von den Nichtweißen als demütigend empfundenen Moral- und Ehegesetze aus dem Gesetzbuch gestrichen. In Südafrika sind heute auch „gemischte“ politische Parteien zugelassen, was etwa die oppositionelle Progressive Fede-ral Party (PFP) umgehend dazu bewogen hat, ihre Ränge allen Südafrikanern zu öffnen.

Ferner können Schwarze nun in weißen Landesteilen Grundeigentum erwerben, und einzelne Gebiete, die in der Vergangenheit für weiße Geschäftsleute und Unternehmer reserviert waren, sind nun den Angehörigen aller BevöU kerungsgruppen zugänglich. Im weitern hat die Regierung versprochen, die Gesetzgebung über Zuzugskontrollen und -beschrän-kungen für Schwarze in weiße Städte zu überprüfen.

Zudem hält die Führung der seit annähernd 40 Jahren regierenden Nationalen Partei Präsident Bo-thas heute nicht mehr unverrückbar an ihrer Homelandpolitik fest. Bantustans, die nicht in die „Unabhängigkeit“ entlassen werden wollen — wie beispielsweise Zululand von Chief Gatsha Bu-thelezi —, werden nicht mehr dazu gezwungen, und selbst die Rüek-integrierung der „unabhängigen“ vier Reservate Transkei, Bo-phuthatswana, Ciskei und Venda ist nun auf einmal verhandelbar.

Nachdem Präsident Botha erst kürzlich die Schaffung einer einheitlichen südafrikanischen Staatsbürgerschaft für die Angehörigen aller Bevölkerungsgruppen in Aussicht gestellt hat, liegen in der Apartheid-Rumpelkammer noch zwei Versatzstücke der „getrennten Politik“, und zwar die sogenannte „Group Areas Act“, die den verschiedenen Gemeinschaften getrennte Wohn-und Lebensräume zuweist, sowie die „Population Registration Act“, auf Grund derer in Südafrika jedes Kind kurz nach der Geburt als Weißer, Mischling, Inder oder Schwarzer registriert wird, etwas, das den Betreffenden ein Leben lang nicht mehr losläßt.

Der überwiegende Teil der bisher rund 800 Unruheopfer geht Zwar auf das Konto der im Einsatz stehenden Sicherheitskräfte, doch Dutzende wurden auf oft grausame Weise von ihren eigenen Mitbürgern umgebracht. Ende des letzten Jahres hätten bereits in mehr als 100 schwarzen Townships autonome Stadträte an der Arbeit sein sollen. Heute funktionieren vielleicht höchstens noch ein Dutzend reibungslos, und in vielen Ghettos, namentlich im östlichen Kap, wo seit Monaten weder Mieten noch andere Abgaben entrichtet werden, herrscht die totale Anarchie.

Nichts könnte drastischer vor Augen führen, wie stark die Regierung an Boden verloren hat, als der Umstand, daß sich die Repräsentanten der Staatsmacht nur noch im Schützenpanzer in die Townships vorwagen.

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