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Soweto - zehn Jahre danach

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Jahr für Jahr ließ Pretoria ungenützt verstreichen. Die Gespräche mit Andersfarbigen fanden nicht statt. Jetzt ist die Mehrheit der schwarzen Bürger bereit, für ihre Rechte zu kämpfen.

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Jahr für Jahr ließ Pretoria ungenützt verstreichen. Die Gespräche mit Andersfarbigen fanden nicht statt. Jetzt ist die Mehrheit der schwarzen Bürger bereit, für ihre Rechte zu kämpfen.

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Am 16. Juni hat sich zum zehnten Mal der Tag gejährt, an dem in Johannesburgs schwarzer „Zwillingsstadt“ Soweto Schülerproteste außer Kontrolle gerieten und in blutige Krawalle ausmündeten. Gewalttätige Ausschreitungen schwarzer Aufrührer und die brutale Reaktion der südafrikanischen Sicherheitskräfte kosteten damals Hunderten, mehrheitlich

jugendlichen Schwarzen das Leben. Die blutigen Ereignisse von Soweto haben den weißen Südafrikanern seinerzeit einen Schock versetzt, der bis heute nachwirkt. Dazu gesellt sich die Stimmung in vielen schwarzen Townships des Landes, wo seit bald zwei Jahren eine beispiellose Gewalt- und Terrorwelle herrscht.

Entzündet hatte sich das Aufbegehren von Schülern und Studenten aus Soweto vor zehn Jahren an einer Verfügung der Behörden, wonach auch an schwarzen Schulen mehrheitlich in Af rikaans und nicht mehr in Englisch unterrichtet werden sollte. Abgesehen davon, daß für viele Schwarze Afri-kaans als das Idiom des „Unter? drückers“ einen schlechten Ruf genießt, erschien und erscheint

ihnen die Beherrschung der englischen Sprache als geeigneter, um den Anforderungen der Zeit gewachsen zu sein. Viele Dinge haben sich am Kap der Guten Hoffnung während den letzten Jahren zwar wohl geändert, auch etwa auf dem Gebiet von Ausbildung und Erziehung, aber die nichtweißen Südafrikaner sind in diesem Zusammenhang gegenüber ihren weißen Mitbürgern nach wie vor in erheblichem Maße benachteiligt. Dies bietet Grund und Anlaß zu latenter Mißstimmung, etwas, das jederzeit rasch in chaotischen Aufruhr ausmünden kann.

Zur Zeit der Ereignisse von Soweto vor zehn Jahren blätterte am Apartheidgehäuse erst da und dort der Verputz, aber die Rassenschranken schienen im allgemeinen fest und unüberwindbar. Heute sind selbst die Grundmauern nicht mehr sicher, denn sogar in den Reihen der seit 1948 unangefochten regierenden „Nationalen Partei“ (NP), aus der die Apartheidarchitekten schließlich hervorgegangen sind, vertritt man mittlerweile die Meinung, das System sei veraltet und habe ausgedient. Doch man scheint sich noch nicht völlig im klaren zu sein, was denn an die Stelle dieser Ordnung treten solle. Mit Bestimmtheit weiß man erst, was man nicht will, oder besser, man tut noch so, als könne dies nie in Frage kommen, nämlich die Ablö-

sung der weißen Minderheit durch die schwarze Mehrheit an den Schalthebeln der politischen Macht.

Daß die Macht der weißen Herren am Kap mittlerweile angeschlagen ist, wird auch etwa durch das Verhalten vieler Nichtweißer, besonders schwarzer Politiker, widergespiegelt, die den Dialog mit Pretoria beharrlich verweigern, weil sie Morgenluft wittern und nur noch bereit wären, mit den Weißen über die Ubergabe der Macht an die schwarze Mehrheit zu verhandeln. Sie schlagen Kompromisse aus, weil sie überzeugt sind, Zeit, Bevölkerungswachstum, Wirtschaftsentwicklung und die Sturheit einzelner weißer Verantwortlicher bedeute Wasser auf ihre Mühlen. Ferner hat namentlich der am Kap verbotene „African National Congress“ (ANC) im ausländischen Zwangsexil mittlerweile eine- internationale Re-spektabilität erlangt, die er nicht unbedingt durch mühselige politische Kleinarbeit an der Heimatfront wiederum aufs Spiel setzen will.

„Gewaltkarussell von jugendlichen Chaoten angeheizt“

Was sich seit zwei Jahren in den Straßen vieler Schwarzenghettos abspielt, trägt zwar wohl auch

Züge eines Kampfes für Bürgerrechte, und zwar getragen von Leuten, die in ihrem Geburtsland die selben Freiheiten wie ihre weißen Mitbürger wollen. In vielen Townships sind indessen im Strudel der Gewalt Verwaltungsstrukturen und die letzten Reste „bürgerlicher Ordnung“ zusammengebrochen. Die führende Rolle spielen wie im Laufe der Eruption von Soweto vor zehn Jahren zur Hauptsache Jugendliche, Schüler und Studenten, aber mit zunehmender Dauer des Gewaltkarussells mehr und mehr auch einfach jugendliche Strolche und gewöhnlich Kriminelle.

Zu Konfrontationen kommt es nicht einfach zwischen den Sicherheitskräften und schwarzen „Freiheitskämpfern“, so wie dies da und dort fälschlicherweise vereinfachend dargestellt wird. Die Gewaltpalette ist derart vielfältig, daß man nicht darum herumkommt, etwas zu schematisieren. Grob gesagt, bekämpfen einander in den Townships u. a.

auch Gruppen, die der multirassischen Protest- und Antiapart-heidsorganisation „United De-mocratic Front“ (UDF) nahestehen und solche, die eher „black consciousness“-orientiert sind, wie etwa die militant-radikale .yAzanian People's Organisation“ (AZAPO). Daneben fallen „Väter“ und „Comrades“ übereinander her, wobei erstere eher ältere „Traditionalisten“ sind, während es sich bei den „Comrades“ um jugendliche Chaoten handelt, die sich selbst mit diesem Namen schmücken. Und schließlich wird in den Townships täglich Jagd auf „Verräter“ und „Kollaborateure“ gemacht, die von ihren f anatisier-ten Häschern auf bestialische Weise umgebracht werden. Daß die Regierung sich immer schwerer tut, die Unrast in den Griff zu kriegen, hängt aber trotz allem auch damit zusammen, daß die laufende Gewaltrunde eher allgemeinen Aufstandscharakter aufweist als der Ausbruch vor zehn Jahren.

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