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Hitler in Sudafrika

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Wiederholt sich die Geschichte? Ist ein neuer Hitler auf die Tribüne getreten? Nach den Vorgängen, die sich gegenwärtig in Südafrika anspinnen und den Anfang einer neuen Tragödie ankündigen, hat sich der Mythos des 20. Jahrhunderts auf merkwürdige Weise in das Burenland an den Drakensbergen verschlagen. Ein neuer Rassismus feiert Triumphe. Die nach Kapstadt einberufene Jahresversammlung des Weltstudentenbundes muß unterbleiben, da die südafrikanische Regierung nur Weißen und auch nur solchen mit Ariernachweis die Einreisebewilligung gewährt; eine kürzlich erschienene Regierungsverordnung, die sämtliche Typen des Unterrichts betrifft, die Universitäten bis hinab zu den primitiven Schulen im südafrikanischen Busch, schließt die sehr zahlreich eingewanderten Farbigen von der Aufnahme aus und stellt damit die zahlreichen Missionsschulen, die Hauptträger der Schulkultur des Landes, in den schwersten, regional sogar ihren Bestand bedrohenden Konflikt.

Der Angriff gilt den Schwarzen und den 300.000 Indern, den Nachkommen jener Kulis, die im vorigen Jahrhundert für die Arbeit in den Zuckerplantagen gedungen wurden, ein zähe Rasse, die sich aus einem Milieu der Sklaverei zum Mittelstand hinaufgearbeitet und fast des ganzen Kleinhandels bemächtigt hat und in ihren Reihen heute sogar die reichsten Handelsherren der Südafrikanischen Union besitzt. Dieses indische Element, namentlich in Natal ansässig, lebt ein eigenes Leben, kaum sich mit der Nachbarschaft vermischend, von der Regierung als ein Element disqualifiziert, das zu bürgerlicher Gemeinschaft mit anderen nicht geeignet sei.

Die blutigen Unruhen, die im Jänner 1949 in Port Natal ausbrachen und 134 Tote und 1800 Verwundete an Opfern forderten, signalisierten bereits die vulkanischen Spannungen, die heute Südafrika durchwirken, einen Völkerkessel, in dem die verschiedenartigsten Kräfte aufeinanderstoßen.

In der Südafrikanischen Union leben über 2,4 Millionen W e i ß e. 7,8 Millionen Schwarze, 900.000 Mischlinge („Coloured“ oder „Kleurlinge“) und als zahlenmäßig kleinste, aber nicht schwächste Kraft, die Juden. Die Weißen bilden keine Einheit; den Buren, den Nachfahren der Hugenotten aus Holland und Frankreich, die das Holländische („ Afrikaans“) sprechen, neigt sich auch der größte Teil der Deutschstämmigen zu. Eine besondere Stellung haben die Engländer bezogen, die sich weder gesellschaftlich noch kulturell von ihrem Mutterlande gelöst haben. Von den 900.000 Mischlingen leben über 800.000 in der Kapprovinz. Sie sprechen einheitlich die Sprache der Buren und bekennen sich wie diese zum größten Teile zur kalvini-schen „Dutch Reformed Curch“. Die Mischlinge fühlen sich den Weißen als gleichwertig, werden aber von diesen in untergeordneter Stellung gehalten; Ehen mit Weißen sind ihnen verboten. Vor wenigen Monaten wurde der katholische Priester Thomas Gill mit einer Geldstrafe von 20 Pfund verurteilt, weil er die Ehe eines Weißen mit'einem Mischling eingesegnet hatte, ein Urteil, das allerdings später aufgehoben wurde. Die Mischlinge besitzen in der Kapprovinz das Wahlrecht für die Provinzregierung, dürfen aber nur vier Sitze im Parlament von Pretoria besetzen und dieses aktive Wahlrecht läßt nur Weiße ais Gewählte zu.

Von den 7,8'Millionen Negern arbeiten 35 Prozent auf den europäischen Farmen, 25 Prozent leben in den Städten, cter Rest ist in den Reservationen zusammengedrängt. Die Ghettos der Eingeborenen in den Städten spotten den bescheidensten Ansprüchen der Zivilisation. Die soziale Lage der schwarzen Landarbeiter gleicht dem Rechtstand der Hörigen des Mittelalters. Kein Priester hat die Möglichkeit, ohne den Willen des Landeigentümers sie ungestraft zu besuchen oder seelsorgerisch irgendwie zu betreuen.

In diese widerspruchsvollen morbiden Zustände; stößt nun mit wuchtiger Rücksichtslosigkeit die Bevölkerungs- und Sozialpolitik der Regierung Malan, eine Erscheinung wie aus einer Ordensburg des Dritten Reiches. Eine ihrer charakteristischen Lösungen verlangt „Appar-theid“, die völlige Trennung der Rassen, die Schaffung einer riesigen Art von Reservationen, in der die große farbige Mehrheit festgehalten werden soll, dies in einem Lande, in dem die verschiedensten Stammesindividualitäten räumlich ineinander geschachtelt sind.

Für die Politik wird selbst die Bibel herangezogen. Der weiße Mann sei eben besonders von der Vorsehung zur Führung auserwählt, indes auf dem Schwarzen noch immer der Fluch Chams und seines Sohnes liege.

Der sich ausbreitenden Unruhe- und Revolutionsstimmung ist auch die Regierung schon gewahr geworden. So sprach Justizminister Smart am 13. Juni 1950 das Wort:

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