6855844-1977_15_06.jpg
Digital In Arbeit

Eine Stadt aus Gold und schwarzem Schweiß

Werbung
Werbung
Werbung

Wenige Wochen nach dem Beginn des Aufstandes in der schwarzen Satellitenstadt Soweto wurde Johannesburg neunzig Jahre alt. Die Goldcity, die von konservativen Buren auch heute noch die Stadt des Teufels genannt wird, wollte ihren Geburtstag gebührend feiern. Aber der Ausbruch der Unruhen, die Schüsse von Soweto und Alexandra beendeten die Vorbereitungen, noch ehe sie begonnen waren.

Dabei hatte rund zwei Jahre vorher alles so hoffnungsvoll begonnen. Immer schon war Johannesburg, dieses Babylon der Ausländer, mehr britisch als afrikaans geblieben. Rassentrennung und Rassendiskriminierung spielten hier eine geringere Rolle als sonstwo im Lande.

Für viele Südafrikaner gilt Johannesburg als eine der verworfensten Städte der Welt. Vor hundert Jahren fanden in dieser Gegend die ersten Abenteurer Gold in geringen Mengen. Erst um das Jahr 1886 wurde das gelbe Metall zu einem wirklichen Problem für die damalige Burenrepublik Transvaal unter ihrem Präsidenten Paul Krüger. Aus der ganzen Welt, vor allem aber aus Australien, strömten die Goldgräber in das Land. 1887 zählte die Stadt 3000 Einwohner, heute leben hier über zwei Millionen Menschen. Wenige Jahre vor der Gründung Johannesburgs bot der Engländer Swinburne der Burenrepublik 50.000 Englische Pfund in bar an für alle exklusiven Schürfrechte im damaligen Hoheitsgebiet der Republik. Das Angebot kam von englischen Finanzkreisen in London und die Regierung der Buren stand vor dem finanziellen Bankrott. Nach reiflicher Beratung lehnte der Volksrat der Buren den Tausch jedoch ab. Zwanzig Jahre nach dem Angebot Swinburnes förderten die Goldminen rund um Johannesburg bereits für eine Million Pfund Gold pro Jahr. Bis zum Jahre 1910 war diese Zahl bereits auf 32,000.000 Englische Pfund pro Jahr angestiegen. Ein einziges Bauwerk am Rande Johannesburgs, die Crown Mi- nes, förderte von 1887 bis 1960 mehr als 42,000.000 Unzen Gold. Abgesehen davon, befinden sich heute zwei Drittel der Industrie des Landes, das mit seinen Bodenschätzen an Kupfer, Diamanten, Uran, Mangan, Kohle und zahlreichen anderen Erzen, zu den reichsten der Welt gehört, in Johannesburg.

Wie immer auch das Urteil über Johannesburg lauten mag - die Stadt ist voll von Kontrasten. Sie schockiert wie New York. In beiden Städten fin-

det man den gleichen unermeßlichen Reichtum und die gleiche extreme Not. Ein Abgrund nicht nur rassistischerunterschiede liegt zwischen den vornehmen, fast luxuriösen Vierteln von Houghton, Hyde Park und Rosebank und den schwarzen Schlafstädten Alexandra im Norden und Soweto im Süden, oder den weißen Slums in Pimville und Doornfontein. In der Nacht prägt eine Orgie von Licht das Bild der Stadt, am Tag die gelbglänzenden Abraumhalden der Goldbergwerke. Es gibt die modernen und eleganten Einkaufszentren, wie Hyde- park Center, Sandton City und das Carlton-Center. In vier Stockwerken unter der Erde erstreckt sich auf mehr als 30.000 Quadratmetern eine ganze Geschäftsstadt mit zahlreichen Möglichkeiten zum Einkauf, zur Erholung und Unterhaltung. Bars, Restaurants und Filmtheater mit internationalen Programmen erfüllen jeden Wunsch. Dann gibt es Hillbrow, eine Mischung aus Greenwich-Village, Montmartre und Schwabing. Hier entscheidet nicht die soziale Herkunft, hier wird randaliert, geprügelt, gesoffen und gehurt, hier hegen das Café de Paris, das Café Wien und der deutsche Bierkeller nur wenige Schritte voneinander éntfemt. Hier hocken die Bantufrauen auf den Bürgersteigen und bieten afrikanische Souvenirs an. Hier treffen sich der europäische Auswanderer und der schwarze Diamantenschmuggler aus Südwest.

Die neunzig Jahre junge Geschichte dieser Stadt ist reich an menschlichen, tragischen, unmenschlichen und blutigen Ereignissen. 1904 wurden zum ersten Male chinesische Kulis als Arbeitskräfte nach Johannesburg geholt. Sie blieben bis 1910.1896 explodierten 55 Tonnen Dynamit und töteten 75 Menschen. 1915 steckten die Johannesburger mehr als fünfzig deutsche Geschäfte und Fabriken in Brand. 1922 liebäugelten die größtenteils aus Buren bestehenden Arbeiter erstmals mit dem Kommunismus. Man sprach von einer „roten Revolte“. Die Armee mußte eingesetzt werden. Beide Seiten benutzen Artillerie, es gab zweihundert Tote. Vier Jahre später feierte die Goldcity ihren vierzigsten Geburtstag. Sie wurde offiziell als „Stadt“ anerkannt, hatte 400.000 Einwohner, eine Kathedrale und eine eigene Universität. Heute besitzt die Stadt die beiden modernsten Universitäten des Landes. Täglich erscheinen hier sieben Zeitungen in englischer und afrikaansscher Sprache, davon eine für Schwarze.

Inzwischen heilen, trotz allem Pessimismus, die Wunden, die der Aufstand von Soweto geschlagen hat. Die Forderungen nach neuen und tiefergehenden Reformen sind lauter denn je. Sie kommen auch immer stärker aus den Reihen der regierenden Nationalen Partei. Man versucht, neue Brücken zwischen den schwarzen Satellitenstädten und Johannesburg zu schlagen, ehe es zu spät ist. Vielleicht haben die beiden ungleichen Städte Johannesburg und Soweto noch eine Chance. Sie sind woneinander unabhängige Verwaltungsgebiete mit einem weißen und einem schwarzen Bürgermeister. Beide Städte haben vieles gemeinsam, und wenn es nur die

Haßliebe der meisten Einwohner gegen die „Stadt des Teufels“ ist. Dieses Babylon des Goldes ist die Ursache aller tragischen Ereignisse und aller menschlichen Aktivität am Witwaters- rand. Die unerschöpfliche Goldader ist der Anlaß für die Entstehung Sowe- tos und Alexandras, der drei- und vierstöckigen Autobahn, der Flugplätze, Wolkenkratzer, Fabriken, der luxuriösen Villen und der afrikanischen Vororte, die sich ausdehnen, so weit das Auge reicht. Der Gesamteindruck ist erschreckend, häßlich, unabänderlich. Johannesburg ist keine Stadt für Sentimentalitäten. Man arbeitet hier. Das ist allesr

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung