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Weiß neben Schwarz

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Die Parlamentarier der Republik Südafrika haben zum Zeichen ihrer Souveränität als Gesetzgeber des Staates das verbriefte Recht, selbst während der Sitzungen des Parlaments den Hut auf dem Kopf zu behalten, um so zu symbolisieren, daß sie vor niemandem das Haupt entblößen müssen. Um diese alte Tradition zu pflegen, erscheint am letzten Sitzungstag jeder Legislaturperiode jeweils ein Abgeordneter mit seinem Hut in der illustren Versammlung. Als am 20. Oktober der Oppositionsabgeordnete Jack Higgertz mitten im vollbesetzten „Volksraad“, wie das Parlament genannt wird, unter einem ansehnlichen Filzsombrero an der Sitzung teilnahm, da wußte bald jeder in Kapstadt, daß das fünfte republikanische Parlamentsjahr zu Ende ging.

Diese Sitzungsperiode wird wohl als die denkwürdigste in die Geschichte Südafrikas eingehen. Erst vor knapp sechs Wochen wurde in diesem Sitzungssaal auf seiner Regierungsbank Premier Dr. Hend rik Verwoerd erdolcht. Seit dem Begräbnis Verwoerds, des „Vaters der Republik“, sind alle Augen nicht nur in diesem Saale, sondern auch der Welt auf seinen Nachfolger, den 50 Jahre alten Bathazar Johannes (genannt „John“) Vorster gerichtet. Da es sich eingebürgert hat, daß der Premier in Südafrika die Politik des Landes fast autoritär bestimmt und sich seiner Ressortminister lediglich als fachkundiger Gehilfen bedient, wird die Zukunft nicht nur Südafrikas, sondern des gesamten Subkontinents zu einem nicht unwesentlichen Teile vom persönlichen Format und politischen Geschick dieses Mannes abhängen.

Schon in seiner Antrittsrede als neugebackener Ministerpräsident beteuerte John Vorster, er werde getreu in die von seinem großen Vorgänger eingeschlagene Richtung einschwenken und auf diesem Wege weitermarschieren. Das war nicht anders zu erwarten. Welchen persönlichen Akzent Vorster diesem Marsch verleihen werde, darüber können bereits die ersten vier Wochen seiner Amtswaltung Aufschluß geben, um so mehr, als er sich in dieser Zeit der Opposition stellen mußte.

Die erste Zerreißprobe

Die breite öffentliche Meinung Südafrikas und die ausländischen Kritiker der Apartheidpolitik waren nach den vehementen Redeschlach ten, die Vorster als Justizminister noch kurz vor dem Mord auf Doktor Verwoerd vor diesem Forum geliefert hatte, auf wenig Gutes vorbereitet. Fast beschwörend wurde seitens der nationalen Presse bei seinem Regierungsantritt verlangt, man solle ihm eine faire Chance bieten, und auch die Opposition war im allgemeinen bereit, den „Mann mit der eisernen Faust“ als eine Garantie dafür zu akzeptieren, daß unter den außenpolitisch gefährlichen Umständen von ihm das Äußerste getan werden wird, um Ruhe und Sicherheit im Lande zu garantieren. Das allein macht aber noch keinen guten Premierminister aus.

Um es gleich vorwegzunehmen: John Vorster hat alle angenehm überrascht! Er hat zweifelsohne das Zeug, mit der ihm gestellten Aufgabe zu wachsen. Das beweist schon die erste Zerreißprobe, die ihm unmittelbar nach der Übernahme auf- erlegt wurde und die wohl manch anderen Politiker gebrochen hätte. Zur Debatte im Parlament lag ein noch von seinem Amtsvorgänger eingereichter Gesetzesentwurf vor, der jede Beeinflussung der nichtweißen Politiker durch Weiße unter Strafe stellen sollte. Ein Fangstoß für die Opposition, die dadurch ihrer letzten Stützen beraubt, zur völligen Impotenz degradiert würde; sie tobte, und ihre starke, englischgeschriebene Presse blies das Sturmhorn. Als ein

Zusammenstoß unvermeidlich schien, überraschte John Vorster alle mit einem genialen taktischen Manöver: Er arrangierte sich über die Köpfe seiner parlamentarischen Phalanx hiniweg direkt mit dem Führer der Opposition Sir de Villiers-Graaff, traf mit ihm ein Übereinkommen und ließ den umstrittenen Gesetzesentwurf fallen. Mit einem Schlage stand das eben noch in Aufruhr gestürzte Parliament wie ein Mann hinter John Vorster.

Höhere Diplomatie

Aber nicht nur im Parlament, sondern auch auf diplomatischem Parkett bewies John Vorster, daß er nicht nur das Format hat, das man ihm zutraute, sondern auch jene diplomatische Wendigkeit spielen lassen kann, die man ihm — dem „Polizeichef Südafrikas“ — nicht zutraute. So zeigte er sich in der Abwehr der gegen sein Land bei der HNO in New York vorgebrachten Angriffe bestimmt und doch maßvoll und beherrscht. Den eben erst selbständig gewordenen schwarzen Nachbarstaaten Südafrikas gegenüber zeigte er viel Verständnis und konkrete Hilfsbereitschaft. Zu den Feierlichkeiten zur Ausrufung des Königreiches Lesotho und der Republik Botswana (ehem. britische Protektorate Basuto- und Betschuana- land) sandte er sogar seinen Außenminister Hilgard Müller, wenngleich dieser dringend bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York benötigt wurde. Beiden Ländern ist großzügige zweiseitige Wirtschaftsentwicklungshilfe angeboten worden. Die Einflußnahme auf die britische Regierung in der Frage Rhodesiens ist wie bisher taktvoll, aber unmißverständlich weitergeführt worden. Auch dieses Vorgehen wurde von der Opposition rühmend gutgeheißen. Selbst als bei den Unabhängigkeitsfeierlichkeiten in Maseru die kommunistisch geführte Opposition Lesothos den Überbringer des Geschenkes Südafrikas persönlich beschimpfte und das Geschenk, einen Thron für den Parlamentsvorsitzenden, verheizen wollte, ist man über diesen unwürdigen Lapsus in Pretoria stillschweigend zur Tagesordnung übergegangen und hat eine Woche später mit Lesotho ein wirtschaftliches Aufbau programm eingeleitet, das Südafrika die wirtschaftlichen Schlüsselpositionen sichert.

Gemeinsam leben oder sterben

Wenn dieser Tage die Ministerien ln drei Sonderzügen Kapstadt verlassen, um sich nach einem halben Jahre in der Verwaltungshauptstadt Pretoria wieder an die Arbeit zu machen, wird John Vorster die Kanzlei des Ministerpräsidenten im Turm des Unionsgebäudes mit dem Gefühl beziehen, in vier Wochen das erreicht zu haben, wofür sein Vorgänger acht Jahre mühsam ringen mußte, nämlich das Parlament und die Presse auf seine Seite gebracht zu haben. Als Kostprobe für den guten Willen, der überall John Vorster nach den ersten vier Wochen als neugewähltem Ministerpräsidenten entgegengebracht wird, sei eine

Beurteilung seiner Person vom parlamentarischen Berichterstatter des oppositionellen Johannesburger Blattes „Star“ erwähnt: „Hier ist ein Mann, der nicht nur von seinem Vorgänger absticht, sondern auch von der Vorstellung, die wir bisher von ihm hatten, ein Mann dessen Sarkasmus sich in warmen Humor gewandelt hat, ein Mann, der die Opposition einst mit tiefem Miß trauen behandelte und jetzt mit ihr zusammenarbeitet, ein Mann, der früher Bannstrahle schleuderte, jetzt aber mit sichtlichem Behagen diplomatische Fäden spinnt.“

John Vorster wird diese diplomati sehen Fäden in den nächsten Wochen und Monaten behutsam spinnen müssen, wenn er die übrigen 117 Völker in den Vereinten Nationen wird überzeugen wollen, daß man auch mit einem apartheidpraktizierenden Südafrika Zusammenleben kann und müßte. Denn die Alternative würde früher oder später Blutvergießen und Krieg bringen. Die Ouvertüre zu diesem letzten Versuch, über die Haßgefühle hinweg eine Brücke von Pretoria zu den Ländern Schwarzafrikas zu schlagen und die Situation durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zu entschärfen, wird von John Vorster bereits gespielt. Er erklärte kürzlich im Parlament unter dem Beifall der gesamten Opposition an die Adresse Schwarzafrikas: „Es ist unser Grundsatz, eine Politik des .leben und leben lassen' zu betreiben. Dafür will ich mich imimer einsetzen. Wir werden der Welt beweisen, und darunter verstehe ich auch die unabhängigen schwarzen , Staaten des südlichen Afrika, daß es möglich ist,

verschiedene Rassengruppen mit verschiedenen politischen Ansichten im selben Gebiet friedlich Zusammenleben und Zusammenarbeiten zu lassen. Wir sehen Afrika so, wie es ist: als einen Kontinent vieler Nationen, jede mit ihrem eigenen Ent- wioklungsniveau, mit eigener, ihr angepaßter Regierungsform, jede mit ihrem eigenen Entwicklungstempo. Die Zukunft dieses Kontinents liegt entweder in einem gemeinsamen Frieden oder in einem gemeinsamen Untergang.“

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