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Der gefürchtete Bruder

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Am friedlichsten ging der Übergang in die Freiheit in Betschuanaland vor sich: Der Häuptling und erste Regierungschef, Seretse Khama, der die Abneigung der Engländer durch seine Heirat mit einer weißen Stenotypistin hervorrief, wohnte stolz dem Fahnenwechsel in der neuen Hauptstadt, Gaberones, bei. Als der Union Jack das letztemal eingeholt wurde und an seine Stelle die blauweißschwarze Fahne „seines“ Landes gehißt wurde, standen in Sir Seretse Khamas Augen Tränen.

Durch das Fehlen von jedweder Industrie in diesen Ländern sind die Bewohner in ihrer neuen Unabhängigkeit nach wie vor gezwungen, ihr tägliches Brot in den südafrikanischen Diamantenminen und Uranbergwerken zu verdienen. Diese passive Arbeitsmarktpolitik wurde vor allem durch die Engländer ausgeübt, die in der Negerbevölkerung doch nichts anderes als billige Arbeitskräfte sahen.

In den neuen Staaten fehlt es selbstverständlich an allem. Londoner Nationalökonomen rechneten aus, daß Betschuanaland zum Beispiel in den nächsten fünf Jahren nicht weniger als 30 Millionen Pfund Sterling benötigt, um auch nur die allerersten Schritte zur Selbstversorgung und -Verwaltung unternehmen zu können.

In Betschuanaland („Botswana“ nennen sie sich selbst) leben ungefähr 300.000 Neger und knapp 3000 Weiße. Von einem Rassenkonflikt kann man, zumindest bis zur Stunde, noch nicht reden. Der Wirtschaftsminister der Regierung und der Bürgermeister der Hauptstadt werden von der weißetf Minderheit delegiert.

Die Regierungspartei Seretse Khamas („Demokratische Partei“) will die Außen- und Wirtschaftspolitik Betschuanalands noch mehr als bisher an das zwar gefürchtete, doch wirtschaftlich potentielle Südafrika angleichen.

Eine anschlußbedürftige Insel

Die Südafrikanische Republik ist für alle drei Neuländer das größte Problem. Betschuanaland, das von der Größe Frankreichs ist und nur eine gemeinsame Grenze mit Südafrika hat, steht hier viel besser als das bedeutend kleinere und dichter bevölkerte Basutoland.

Basutoland (es wird fortan „Lesotho“ genannt) wird wie eine Insel von der Südafrikanischen Republik umgrenzt. Seine eigenständige Lebensfähigkeit ist gleich Null; deswegen propagiert der neue Ministerpräsident, Leabua Jonathan,

eine „integrierende Assoziierung“ an Südafrika. Die beiden größten Oppositionsparteien des Landes sind berechtigterweise der Ansicht, daß er das Land der Südafrikanischen Republik angliedem möchte.

Basutoland ist mit knapp 900.000 Einwohnern so groß wie Österreich und wird von erbitterten innenpolitischen Stammeskämpfen zerrissen. Der gegenseitige Haß der einzelnen „Landesväter“ ging so weit, daß die Opposition selbst die Unabhängigkeitsfeierlichkeiten boykottierte. Auch der König des Landes, Mosihoeshoe II., versucht mit allen

Mitteln, seinem Ministerpräsidenten das Leben sauer zu machen.

Von den gehässigen Kämpfen einer scharfen Opposition wird auch der Dritte im „Bunde der neuen Afrikaner“, Swasiland, erschüttert. Die Engländer setzen dort auf den alten König Sobhuza beträchtliche Hoffnungen, in dessen Privatbesitz sich die meisten Bodenschätze des Landes befinden.

Die nicht ausgesprochen anglophile südafrikanische Regierung betrachtet mit großem Argwohn die britischen Bemühungen in ihrer nächsten Umgebung. Es ist sicherlich kein Zufall,

daß Verteidigungsminister Pieter Botha für 1967 die allgemeine Wehrpflicht für alle jungen weißen Bewohner einzuführen beabsichtigt. Die Warnung der UN-Vollversamm- lung in New York, sich womöglich nichl in die Innenpolitik der darei Nachbarländer einzumischen, beantwortete der Burensprößling mit stolzer Zurückweisung und erklärte, „daß sein Land dort keine Stützpunkte für einen Guerillakrieg dulden werde“.

Was anderseits wiederum verständlich ist.

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