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Kampf den „weißen Teufeln“

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Zwanzig Millionen schwarzer Bürger hat die USA, zwölf Millionen davon wahlfähig. Zwei Millionen haben bei der letzten Wahl von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können.

Ungefähr hundert Jahre nach der Sklavenbefreiung war die Frage der „Bürgerrechte“, das heißt, die Notwendigkeit adiainistrativer Garantien für die Durchsetzung der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung der Neger im amerikanischen Alltag eine entscheidende Wahlkampffrage!

Es ist indes in der Zwischenzeit viel geschehen, um die Situation der Farbigen zu verbessern, nicht zuletzt dank der unermüdlichen Arbeit der von weißen Freunden aller Stände unterstützten Negerselbsthilfeorganisationen; wie der heute zirka 3 50.000 Mitglieder umfassenden „Nationalvereinigung zur Förderung der Farbigen“ (National Association for the Advancement of Colored People - NAACP).

„HEIM NACH AFRIKA“?

In diesem Kampf um Gleichheit im amerikanischen Sozialleben ging es nie um Sonderrechte, nie um Minderheitenschutz etwa im Sinne europäischer Minoritätenpolitik. Man erstrebte die Aufhebung von restlichen Sonderbestimmungen, die Sicherung verfassungsmäßig festgelegter Rechte, die restlose Eingliederung in das nationale Leben des Landes, die Abschaffung aller auf Rassentrennung beruhenden Begrenzungen und Tabus: man will vollberechtigter Amerikaner sein!

In letzter Zeit scheint diese Haltung an einigen Stellen innerhalb einiger Negerorganisationen in Frage gestellt: fasziniert von den Erfolgen der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen erheben sich Stimmen, die statt der Aufhebung der Rassentrennung im Rahmen des vorwiegend weißen Amerikanertums die Loslösung der Farbigen von ihr fordern.

Es hat unter amerikanischen Negern schon immer Gruppen gegeben, die, voll Bitterkeit und Haß gegen die weiße Umwelt erfüllt, „rassebewußt“ nationalistische Tendenzen entwickelten. Sie kamen und gingen, auch die relativ bedeutendste, Marcus Garveys „Heim-nach-Afrika“-Bewegung, die er in riesigen Schiffen nach dem Schwarzen Erdteil hatte führen wollen. Er starb, aber von seiner Afrikasehnsucht blieben Spuren.

EIN „NEUER MAHDI“ TRITT AUF

Eine Bewegung „schwarzer Mohammedaner“, die „Tempel des Islam“, und ihr Führer, Elijah Muhammad, geboren als Elija Poole in Georgia, rufen die amerikanischen Neger auf, sich abzuwenden von der Welt der „weißen Teufel“ und neue Wege zur Befreiung zu gehen: sich unabhängig zu machen von allem, was mit den „Sklavenhaltern“ (die im Grunde vor allem immer wieder darauf aus sind, schwarze Mädchen zu schänden!) zusammenhängt...

Ob damit letztlich eine konkrete Auswanderung aus den Vereinigten Staaten gemeint ist, bleibt unklar. Gelegentlich taucht die Forderung nach einem „eigenen Staat“ im Rahmen der USA auf, manchmal der Ruf nach nationaler Vereinigung aller Allahs Willen vollziehenden dunklen Völker.

Die Behauptungen der Sekte, sie verfüge bereits heute über 250.000 Mitglieder, mag übertrieben sein. Daß sie in 29 Städten Niederlassungen, Tempel — an zwei Stellen „Universitäten des Islam“ — gegründet hat und keine ihrer Versammlungen in den Negerquartieren der Großstädte unter tausend Besucher, oft weit mehr, hat, ist Tatsache. Die amerikanische Öffentlichkeit beginnt sie zur Kenntnis zu nehmen: Radio, Fernsehen, große Magazine beschäftigen sich mit ihr.

Die „respektablen“ Negerblätter und -Organisationen sind beunruhigt, distanzieren sich zwar, weichen aber einer eindeutigen Verurteilung aus: der Dynamismus in der Bewegung des „neuen Mahdi“, wie sich Muhammad einmal nennt, ist zu offensichtlich. Man wartet ab, was sich daraus entwickelt...

Der erste Schritt der „Loslösung“ ist, wie Muhammad lehrt, die Negerbevölkerung wirtschaftlich unabhängig zu machen. Mehr als 15 Milliarden Dollar, wird behauptet, sind heute als Vermögen in farbigen Händen. Sie sollten dafür verwendet werden, „autarke“ Wirtschaftsunternehmungen der Neger einzurichten, vor allem überall da, wo es farbige Gemeinden gibt, für alle Dinge des täglichen Bedarfs farbige Geschäfte zu begründen, eigene Schulen aufrechtzuerhalten, eigene Lokale, Vergnügungsstätten und islamische „Tempel“.

Marcus Garvey, ein Einwanderer aus. Westindien, hatte in den Jahren 1916 bis 1925 ähnliche Pläne. Nicht zufällig hat Kwame Nkrumah ihn auf der Westafrikanischen Nationalistischen Konferenz im Jahre 1953 als Vorkämpfer afrikanischer Freiheit gepriesen ...

Aber Garvey wollte nur Politiker sein. Muhammad ist außerdem ein Prophet Gottes. Die „Tempel des Islam“ — deren eigentlicher Begründer übrigens nicht Muhammad ist, sondern ein schwarzer Hausierer Farrad Mohammed, der im Jahre 1920 in Detroit den ersten „Tempel“ gründete, 1933 spurlos verschwand und Elija Poole die Nachfolgeschaft hinterließ — betrachten neben ihm.noch einen anderen bekannten Negerführer als ihr Vorbild: Booker T. Washington, der gleichfalls die Selbstbeschränkung der amerikanischen Neger anstrebte und jeden Kampf um. Gleichberechtigung für utopisch hielt. Sein Ziel war dabei Selbsterziehung und Selbstvervollkommnung der Farbigen.

DER WILLE ALLAHS!

Elija Muhammad versucht eine Art Synthese zwischen Garvey und Washington: Dem politischen Ziel der bewußten Rassentrennung soll die Herausbildung einer Sekte dienen, die, eigenen moralischen Lehren folgend, zum Zentrum einer systematischen Erweckungsbewegung unter den amerikanischen Negern werden wird, wenn sie die Lehre Allahs annimmt und seinem Propheten bedingungslos Gefolgschaft leistet. Religiöser Fanatismus scheidet ebenso von den „Ungläubigen“ wie er die Atmosphäre der „Auserwählt-heit“ schafft.

„Es ist der Wille Allah?, mit seiner Religion,

Islam genannt (Friede!), die Welt der dunklen Völker in eine einzige Nation der Brüderlichkeit zu vereinigen“, predigt er, „die verlorenen und wiedergefundenen Glieder der Dunklen (die sogenannten amerikanischen Neger) müssen zuerst wieder zur Kenntnis ihrer selbst, Gottes und des Teufels zurückgeführt werden, bevor sie die Bedeutung dieses Planes von Allah erkennen ...“

Und von sich selbst sagt Muhammad: „Allah ist mit mir als Person, euch zu segnen. Ich bin das Tor, das sich euch öffnet!“ Er nennt sich den „Boten Allahs“, der bereits in der Bibel vorausgesagt wurde, um die Welt der Teufel — die weiße Rasse — von den Auserwählten Allahs

— den Dunklen — zu scheiden.

Christentum und jüdische Lehre seien Irrlehren, erfunden von den weißen „Sklavenhaltern“ der „Teufels“-Welt. Ihre Zeit sei zu Ende. Der Bote Allahs erschien, sein Volk die Wahrheit zu lehren: wendet euch ab von den Weißen! Nicht Gleichberechtigung, sondern Absonderung und die Schaffung einer eigenen Welt, predigen die „Tempel des Islam“ den schwarzen Moslems.

In letzter Zeit hat die Sekte, vor allem in New York — wo ein ehemaliger Sträfling, Malcolm X., sie führt —, den aggressiven Ton ihrer Proklamationen etwas gemildert. Es hat sich gezeigt, daß christliche Gefühle gerade unter den ärmeren Schichten der Farbigen, an die sich Muhammad ja vor allem wendet, nicht so leicht zu „überwinden“ sind.

KU-KLUX-KLAN MIT UMGEKEHRTEN VORZEICHEN

Die anläßlich der letzten, von 15.000 Personen besuchten „Nationaltagung“ in Chikago aufgestellten „Zwölf Gebote der schwarzen Moslems“, die — wie man verkündet — „die Lösung der Negerfrage in Amerika“ herbeiführen werden, sind überraschend nüchtern. Deutlich darauf, angelegt, die unerwartete “Tdffiranä einiger 'NAACP-Führer für den Augenblick nicht zu verlieren, beschränken sie sich auf die folgenden Anordnungen:

1. Löst euch von dem „Sklavenhalter“.

2. Benützt gemeinsam euren Verdienst, eure Erziehung und Talente im Dienst der Unabhängigkeit.

3. Hört auf, euch an Orte zu drängen, wo ihr unerwünscht seid.

4. Macht aus eurem Wohnviertel einen anständigen Ort, um dort zu leben.

5. Macht euch frei von der Gier nach Wein und Alkohol, lernt euch selbst und die eurer Art zu lieben, bevor ihr andere liebt.

6. Schließt euch zusammen, um euch eine Zukunft zu schaffen.

7. Errichtet eigene Häuser, Schulen, Krankenhäuser und Fabriken.

8. Vermischt nicht euer Blut durch Rassenmischung.

9. Hört auf, teure Autos, vornehme Kleider und Schuhe zu kaufen, bevor ihr in der Lage seid, in einem schönen Heim zu wohnen.

10. Gebt euer Geld bei euresgleichen aus.

11. Baut euch ein eigenes Wirtschaftssystem.

12. Beschützt eure Frauen. Die plötzliche Umstellung vom Pathos des

„Heiligen Krieges“ auf ein „Reformprogramm“ hat noch andere Gründe.

Zu den psychologisch-propagandistischen Überlegungen, daß man vielleicht mit überspitzten Formulierungen zu schnell vorgeprescht war, um neben den emotionell leicht ansprechbaren Randgruppen der farbigen Bevölkerung auch deren solidere Schichten zu gewinnen, kamen Beweggründe der „legalen“ Abschirmung.

Polizeiorgane in verschiedenen Großstädten hatten bereits begonnen, gegen die Sekte vorzugehen, sie mit dem unter Anti-Neger-Parolen agierenden Ku-Klux-Klan gemeinsam als staatsgefährliche „Haßgruppe“ einzustufen. Nachdem Muhammad selbst ebenso wie sein Sohn bereits wegen Wehrdienstflucht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war, mußte man befürchten, daß der örtlichen Schließung von „Tempeln“ und einer „Universität“ ein föderales Vorgehen gegen die Gruppe folgen würde. Die Umstellung auf „reformistische“ Tonart schien geeignet, dem entgegenzuwirken. Man kann — um der Einheit Amerikas willen

— nur hoffen, daß auch diese Schwarmgeisterei sich rechtzeitig totläuft.

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