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Auf den Spuren Elmer Gantrys

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Den härtesten Kampf aber mit der Umwelt führt die „Amische Gemeinde“ mit dem Staat wegen der obligatorischen Schulpflicht. Der amerikanische Staat schreibt die Schulpflicht vom sechsten bis zum 16. Altersjahr vor, das bedeutet, daß jedes Kind nach den sechs Jahren Primarklasse noch mindestens vier Jahre in der „Highschool“ (Sekundärschule) absolvieren muß. Gegen diese wehren sich die „Amischen“ nun hartnäckig, weil sie befürchten, daß ihre Kinder hier den Versuchungen der modernen Zeit zu sehr ausgesetzt würden, was über kurz oder lang zu einer Auflösung ihrer religiösen Gemeinschaft, führen müsse. Höhere Schulbildung, meinen sie, sei für ihre einfache bäuerliche Lebensweise überflüssig. Sie schicken ihre Kinder deshalb in eine eigene, acht Jahre dauernde Primarschule. Doch der Staat hat zu diesem Kapitel noch lange nicht das letzte Wort gesprochen.

Die zweite Gruppe der „Modesekten“ offenbart uns eine ganz andere Abart des religiösen Lebens in Amerika: die Religion als ..Busineß“, als Geschäft, wie es in Kalifornien und vor allem in der Filmmetropole Los Angeles floriert.Sensationslust, Geldgier und Trug werden in das religiöse Denken hineingetragen, es wird quasd von den „Furien Hollywoods“ ergriffen und erfährt eine tiefgreifende Verwandlung.

In Los Angeles kann eine Religion, eine Konfession „Mode“ werden wie ein neues Hutmodell. Eine solche „Modekirche“ kann innerhalb eines Jahres Hunderte von Anhängern gewinnen und im nächsten Jahr wieder verlieren.

„Propheten“ von der Art eines Upton Sinclairschen „Elmer Gantry“ verstehen es immer wieder, mit religiösen Schlagworten und frischfabrizierten „Heilsprogrammen“ ein Geschäft zu machen.

Während nun die Kirchen und Sekten im Osten des Landes hauptsächlich in der christlichen Tradition wurzeln, machen sich in Kalifornien auch asiatische Einflüsse bemerkbar. Buddhismus und Hinduismus vereinigen sich hier mit pseudochristlichen Elementen.

Eine der wunderlichsten Gemeinschaften dieser Art ist „The Foun-tain of the World“ („Der Brunnen der Welt“). Diese Gruppe hat einerseits durch ihre Tracht, anderseits durch einen bis heute ungeklärten Vorfall eine gewisse Berühmtheit erlangt. Gegründet wurde sie von einem Prediger, der sich „Krishna Venta“ nannte und von sich selbst behauptete, er sei der „reinkar-nierte Christus“. Schon die Wahl des Namens weist darauf hin, daß seine „Heilslehre“ auch dem Hinduismus gewisse Ideen entlehnt. Die Sekte praktiziert einen ökonomisehen Kommunismus, daß heißt, jeder neu Eintretende muß sein gesamtes Vermögen der Gemeinschaft übergeben. Die Frauen kleiden sich in einer selbsterfundenen Tracht, wie wir sie in gotischer Malerei wiederfinden. Die Männer tragen lange Haare, Barte, härene Kutten und Sandalen. „Der Brunnen der Welt'*-.-unterhält eigene -Reparaturwerkstätten für Automobile. Ein Teil ist nach Alaska ausgewandert, wo er sich durch Bekämpfung von Waldbränden den Lebensunterhalt verdient. Sie gründeten eigene Schulen, backen besonderes Brot und leben von einer Gemeinschaftsküche.

Eines Tages wurde „Krishna Venta“ von einigen seiner Anhänger während einer Gebetsversammlung mit einer Zeitbombe in die Luft gesprengt. Zwölf Personen,darunter Kinder, kamen dabei ums Leben. Uber die Ursachen der Gewalttat gibt es verschiedene Versionen. Der Fall wurde nie ganz geklärt, da die Mitglieder der Sekte darüber Schweigen bewahrten. Bezeichnend für die Sensationsgier in Hollywood ist aber der Umstand, daß der Skandal bereits in einer „Televisionsstory“ verwendet wurde.

Im Süden der Vereinigten Staaten bildet die Kirche das soziale Zentrum der Negerbevölkerung. Die Jugend- und Frauenklubs, geheime Organisationen und politische Vereinigungen treffen sich hier. Er-weckungsversammlungen („Revi-vals“), Vorträge und politische Zusammenkünfte, alles wird in den Gotteshäusern abgehalten. Zwar umfassen die Methodisten- und Baptistenkirche den Großteil der schwarzen Bevölkerung, doch eine Minderheit bekennt sich zu seltsamen Sekten, wie zum Beispiel zu den „Holy Rollers“.

Die ersten schwarzen Sklaven, die von den weißen Pflanzern nach den Westindischen Inseln gebracht wurden, waren noch Heiden. Sie verehrten die Naturgewalten als Gottheiten. Das geistige Haupt solcher Sklavensippen war der Priester-Medizinmann. Er besaß in den Augen seiner Stammesgenossen übernatürliche Kräfte. An Stelle des Gottesdienstes stand noch die magische Geisterbeschwörung. Die veränderten Lebensumstände zerstörten jedoch bald die ursprüngliche Sippenordnung. Die neuen Meister besaßen mehr Macht als die einheimischen Priester. Sie rissen die Familien rücksichtslos auseinander. Die hilflosen Sklaven demoralisierten unter der Geißel ihrer Ausbeuter. Polygamie und Polyandrie nahmen überhand. Doch auch jetzt noch blieb der Medizinmann Tröster, Heiler, Richter und Prophet dieser entwurzelten und entrechteten Afrikaner. Innerhalb der eng gesetzten Grenzen war er der religiöse Führer seiner Landsleute. Er rief sie zu Versammlungen und P.e-schwörungstänzen . auf. Snäte^ jmfo stand**us der Vermischung'der yer^ schiedenen afrikanischen Riten mit christlichen Elementen das, was man heute allgemein als „Voodooismus“ definiert.

Die verschleppten „Wilden“ sahen In der Sklaverei eine Verköperung alles Bösen. Es war die „finstere Macht“, die über sie Gewalt gewonnen hatte. Durch Geisteraustrei-bung, durch Zaubersprüche, mitternächtliche Orgien und dann und wann durch Blutopfer, suchten sie ich gegen die Gewalten der Unterwelt aufzulehnen, die sie umklammert hielten.

Noch heute lebt dieses „voodoo-Istische“ Element im religiösen Empfinden des Negers. Die sogenannten „Revivals“ („Erweckungs-gottesdienste“) in den „schwarzen“ Kirchen des Südens sind im Grunde genommen nichts anderes als ins Christliche übersetzte Wiederholungen solcher Rituale. Der Pastor verwandelt sich vor der ekstatisch erregten Menge plötzlich wieder in den Priester-Medizinmann. Der „Geist Gottes“ ergreift die Masse. Die heftig erregten Menschen schreien, stampfen, schäumen, werfen die Arme und lachen und weinen zugleich. Die Sehnsucht nach Befreiung, nach Freiheit bricht aus Ihnen heraus.

Wohl in jeder Negerkirche des Südens werden ab und zu solche Versammlungen abgehalten. Dort aber, wo dieses irrationale Element zum herrschenden Faktor des religiösen Lebens wird, führt es zur Gründung von neuen Sekten. Die erwähnten „Holy Rollers“ sind ein Beispiel dafür. Die „Revivals“ stellen für sie die einzig wahre Form des Gottesdienstes dar. Sie verfallen also wieder dem „Voodooismus“,

Bei den geschilderten Sekten handelt es sich um typisch amerikanische Erscheinungen. Nur gelegentlich erlangt eine dieser religiösen Gruppen auch über die Landesgrenzen hinaus Beachtung.

Da der amerikanische Staat, keine der Kirchen unter besondere Protektion nimmt, da sich diese niemals mit den politischen Parteien verbinden, kann sich offenbar nicht nur die Freiheit, sondern auch regelrechte Willkür im religiösen Denken und Handeln ungehemmter als anderswo entfalten.

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