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Gemeinschaft als Versuchung

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Unter den Massenbeeinflussungsmitteln unserer Zeit hat auch die Sektenpropäganda ihren beachtlichen Platz. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges so überaus verintensiviert, überfällt sie den Menschen in Stadt und Land und wirft auch die Frage der Anfälligkeit unserer Jugend diesem Beeinflussungsmittel gegenüber auf. Unter „Sekte” wollen wir die Vielzahl der Splitterungen aus dem Raum der christlichen Großkirchen ebenso verstehen wie jene Synkretismen aus ihres Inhalts beraubten christlichen Begriffen, indischem, antik-heidnischem, sogar islamitischem religiösem Denken. Weit mehr als 100 solcher Sekten und sektiererischer Vereinigungen sind in Österreich tätig; eine Zahl, die durch Filialen und Hauskreise eine beträchtliche Vervielfältigung erfährt. Letztlich müßte wohl jeder einzelne Sektengläubige als propagandistische Zelle eįnbezogen werden.

Der entscheidende Beeinflussungsfaktor der Sektenwerbung ist das Wort. Flugzettel, Gutscheine, Flugschriften, Plakate; Einschaltungen in der Tages- und Wochenpresse („Gerade du brauchst Jesus!”), kolportierte Bücher, vielfach in einem Tarnverlag erschienen; sogar Flugzeuge mit „Bandaufdruck” dienen. Bedeutsamst aber in der Zeit der Ungeborgenheit, die immer mehr nach brüderlicher Begegnung hungert, ist der Hausbesuch.

In bezug auf die verschiedenen Lehr gehalte ist festzustellen, daß die Sekte das Vakuum, das durch die Zurückweisung der vollen Offenbarungswahrheit entstanden ist, meist mit „absonderlicher” Lehre ausfüllt. Dennoch, wenn wir in die Tiefen der Absonderlichkeiten loten, begegnet man situationsbedingten Sehnsüchten und Selbsttröstungen des Menschen, der hilflos vor seiner Zeit steht: so die womöglich berechnete Wiederkunft Brautgemeinde vor den mit der Wiederkehr verbundenen Katastrophen durelė Entrückung u. a. m. Das Ressentiment den Kirchen gegenüber sprechen Einladungen an wie „einer der Gemeinden Christi” zu begegnen, dem „Abbild der urchristlichen Gemeinde” und so fort. Die Vortragsreihen der Plakate verheißen die Lösung der alten Menschheitsfragen — das „Woher und Wohin” —, verheißen „lückenloses Weltenwissen”.

Der Mensch, der keine Zeit hergeben will, sein religiöses Wissen über das — dabei längst vergessene! — Schulniveau zu vertiefen, übersieht unschwer, daß die Sektenlehre da und dort den Boden christlicher Lehre verlassen hat. So im Gottesbegriff der „Zeugen Jehovas”, der Mormonen. Daß die gnostizistisch-synkretisti sehen Sekten alle, weit weg vom Monotheismus, in einem Panentheismus gründen.

Beeinflussungsmittel ist endlich das Gemeinschafts angebot der Sekte! Gemeinschaft als gelebte Brüderlichkeit, Gemeinschaft als Träger missionarischer Tat, Gemeinschaft als Hilfe und Kontrolle zu persönlicher V ervollkommnung.

Auch die Sekten wollen den Jugendlichen! Sie werben um ihn mit besonderer Intensität. Und es gibt eine besondere Situation der Anfälligkeit der Jugendlichen von heute diesem Sekten- werben gegenüber.

Nicht anfällig sind jene, die völlig im Materialismus und seiner Spielart, dem Sexualismus, verfangen sind. Nicht jene, die durch die Gnade, durch ein gutes Elternhaus, durch eine Führerpersönlichkeit fest zu und in ihrem Bekenntnis stehen, obwohl wir da zuweilen erschütternden Überraschungen ausgesetzt sind.

Eine Anfälligkeitskomponente ist dįe) O p p o s Tt i oVn, Die selbstverständliche der Reifejähre ist unheimlich verstärkt durch den Geist der Opposition und Negation, der ein Signum unserer Zeit ist. Gerade deswegen ja auch der unüberhörbare Ruf zur Einheit aus dem echten Christentum!

Zur Entlastung des so verstärkt jugendlich Opponierenden: Er steht oft in der Verlogenheit und Halbheit eines sich christlich nennenden Milieus, das einem auch stofflich noch so gut dargebotenen Religionsunterricht die Leuchtkraft zu nehmen vermag. Damit wird er überflüssige Wissensvermittlung, die man beiseite schiebt. Der nach Großem, Edlem hungrige junge Mensch — und diesen Typ gibt es auch —, der leer und unerfüllt geblieben iSt, kann an der Sekte, am Sektierer an der Haustür, am Kollegen an der Universität sein Erweckungserlebnis erfahren. Und dieses ehrlich religiöse Suchen ist eine weitere Anfälligkeitskomponente. Endlich ist eine solche das Gemeinschafts angebot der Sekte. Wieder, hier hat unsere Zeit das bekannte Banden-, Bundes-, „Blutsbruderschaft”- verlangen des Jugendlichen verstärkt. Die Verlorenheit, Ausgeliefertheit, Einsamkeit des jungen Menschen, der vielleicht noch mit physischen oder sozialen Mängeln behaftet ist, der das Ich-Du-Verhältnis mit Gott bisher nicht gewußt, gefunden hat, kann dem Angebot der Sekte erliegen.

Was trägt die Sekte dieser dreifachen Anfälligkeit des Jugendlichen de facto entgegen? Es sind innere Entsprechungen, die wir aber getrennt bei den christlichen Splittergruppen und den gnostizistischen Synkretismen betrachten müssen, wie auch der Kreis der Angesprochenen verschieden ist.

Die christlichen Splittergruppen („Zeugen Jehovas”, Ądventisten, Mormonen. Christliche Gemeinde, Gemeinde Christi usw.) sind durch die ihnen latente Opposition dem jungen Menschen verwandt. Denn, so sehr sich ein Sektierer mühen mag, wertiges Glied der „Brautgemeinde Jesu Christi” zu sein, der antikirchliche Affekt der Sekte bricht alle Brüderlichkeit. Man schreckt vor Lüge und Verzerrung nicht zurück; man geht die- gewundensten Wege der Tarnung, um Anhänger zu gewinnen. Fanatismus und Rigorismus sind die Früchte dieser latenten Opposition. Auch sie sind dem jungen Menschen irgendwie zuinnerst vertraut, so sehr er sich bewußt dagegen wehren würde. Das Lehrgut der Sekte wird bedenkenlos übernommen und zu eigen gemacht. Der Verlust der Offenbarungsfülle wird als Wert nicht erkannt; ist auch tatsächlich oft in der jungen Seele noch nicht „Wert” gewesen !

Vielleicht darf hier auf die sonst unbegreiflich hohe Zahl der Jugendlichen unter den „Zeugen lehovas” verwiesen werden, der Sekte, die die Opposition gegen alle und gegen alles, was nicht sie ist, darstellt.

Die Sekte ist dem Jugendlichen G e- meinschaft, Kampfgemeinschaft und Geborgenheit. Letzteres vielleicht auch materiell, aber sicher nicht primär. Die Jugend ordnet sich der Gemeinschaft ein, hält’ ihre Zucht bis zum Verzicht auf die Adiaphora. Sie dient der Gemeinschaft im liebenswerten Benehmen bei der Versammlung, im Zeugnis, bis zur Kolportage und dem aggressiven Hausbesuch. Die typische Sekte der Jugend, die Mormonen, verpflichtet den jungen Menschen, sich ein bis zwei Jahre unentgeltlich der missionarischen Arbeit zur Verfügung zu stellen!

Vordergründig ist die Tat, das Geben, die Verantwortung. Keineswegs die Lehre. Dies kommt auch in den verpflichtenden „Klassen”, „Dienst- amtsstunden” usw. zum Ausdruck. Die Lehre ist simplifiziert. Daher auch der Schritt vom Christentum weg fast unmerklich; das evangelische Formalprinzip ist verzerrt; die Schriftauslegung willkürlich und gegen die Leitsätze christlicher Exegese. Hemmungslos werden die Resultate der Profanwissenschaft übersehen (Weltexistenz nicht mehr als 6000 Jahre!).

Auflösung des Glaubens

Die gnostizistisch-synkretistischen Sekten (Theosophie, Anthroposophie, Rosenkreuzer, Christliche Wissenschaft und so fort) wenden sich an den halbgebildeten, in die außerchristliche Ferne schwärmenden Jugendlichen. Mysterienkulte, Buddhismus, Jogismus in abendländischer Zurecht- machung, gnostizistische Systeme mehr pseudophilosophischer denn religiöser Art sprechen an. Dem einseitigen Intellektualismus, dem aber die gründliche philosophische Durchbildung mangelt, bietet ein Mystizismus billigen Ausgleich. Zumindest vermehren alle gnostizistischen Kreise die Häresie der Zeit, den Indifferentismus. Letztlich geht es um die Aufhebung des Christentums. Denn in vielfältiger Variation steht am Ende aller Systeme des Gnostizismus die Gleichsetzung von Gott und Mensch. Damit entbinden sie von der Verantwortlichkeit vor einem persönlichen Schöpfergott und machen den Menschen autonom. Wer wachen Blickes um sich sieht, muß hier die Gefahr, die wie keine andere dem jungen Menschen droht, sehen, gerade weil diese gnostizistische Grundhaltung mit ihrem in metaphysischen Tiefen gründenden Hochmut gleichsam die innere Seite der äußeren Opposition ist.

Auch die gnostizistischen Sekten bieten Gemeinschaft an. Wie die Gedanken des Gnostizismus ja vielfach nicht Sekten, sondern Vereinen, Vereinigungen, Kreisen, bis in kirchliche Räume hinein, inhärieren: die geballte Gemeinschaft aller, die sich autonom wähnen, tritt an gegen die Gemeinschaft des Corpus Christi mysticum. Weltgemeinschaft gegen Gottesgemeinschaft! Gnostizistisches Denken wird heute weithin injiziert; in propagandistischen Vorträgen, mit profanem Lehrgut, in persönlicher Werbung und Begegnung. Der „Erleuchtete” wird aus der Masse gehoben! Beachtlich ist die starke Vermengung gnostizistischer Gedanken mit dem Lehrgut der großen außerchristlichen Religionen. Daß junge christliche Studenten in der Begegnung mit studentischen Bahais, mit amerikanischen Mormonen, denen ebenfalls verworren neugnostisches Denken innewohnt, Bahai oder Mormonen oder auch Anhänger einer Buddhistensekte werden, muß uns zu einer Besinnung führen, die positive Wege zur Überwindung der Anfälligkeit in noch stärkerem Maß sucht, als wir sie bisher gesucht haben und gegangen sind. Der allüberall im christlichen Raum — außer bei den Splittergruppen — aufgebrochene Wille zur Einheit verpflichtet!

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