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Herausforderung Sekten

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Eines kann man der Kirche diesmal sicher nicht vorwerfen: Daß sie mit Kanonen auf Spatzen schießt, daß sie mit dem ganzen Gewicht ihrer großen Institution - womöglich aus Konkurrenzgründen und um ihre Schäfchen bei der Kirchenbeitragsstange zu halten - einige neu gebildete Religionsgemeinschaften abzuwürgen versucht, die vor allem bei der Jugend wachsenden Anklang verzeichnen. Im Gegenteil. Die Kirche rennt nur offene Türen ein, die längst von zahlreichen Zeitungen und Illustrierten aufgestoßen worden sind, wenn sie darauf hinweist, daß die derzeit florierenden „ Jugendreligionen“ oft mit unseriösen Methoden arbeiten, daß sie Freiheit versprechen und Abhängigkeit erzeugen, daß sie oft der Bereicherung ihres Gründers dienen.

In Österreich - und zwar vor allem im bürgerlichen Milieu -.drohen besonders vier Sekten, sich auszubreiten. Die „Vereinigungskirche“ des Koreaners San Myung Mun, der in Amerika ein riesiges Wirtschaftsimperium aufgebaut hat, ist betont antikommunistisch und zählt in Österreich vermutlich um die 250 Mitglieder. Auf lediglich 70 Anhänger, die allerdings sehr aktiv sind und in Kommunen leben (sie verkünden auch eine „sexuelle Revolution“), wird David Bergs Sekte „Children of God“ geschätzt. Mit der Lehre „Transzendentale Meditation“ des Maharishi Mahesh Yogi dürften dagegen schon Tausende Bekanntschaft gemacht haben. Die Lehre „Scientology“ des Amerikaners L. Ron Hubbard ist vor allem ein Unterrichtssystem zur Persönlichkeitsentfaltung mit teuren Kursen, die in Osterreich bisher schätzungsweise 1500 Personen besucht haben, wobei Anlaß zu der Annahme besteht, daß sich die Scientologen vorwiegend aus steuerlichen Gründen als „Kirche“ bezeichnen. Alle diese Gruppen wirken in Osterreich als Vereine, nur der Mun-Sekte wurde dieser Status 1974 aberkannt; sie arbeitet jetzt als private Religionsgemeinschaft.

Was die zuständigen kirchlichen Stellen beunruhigt ist weniger die Zahl der Sektenanhänger (zum Vergleich: die „traditionellen“ Sekten Mormonen, Zeugen Jehovas und Adventisten zählen zusammen an die 20.000 Anhänger), sondern vielmehr die Art und Weise, wie neue Mitglieder geworben oder mittels einer Art „Gehirnwäsche“ zum Verbleiben in der Gruppe gebracht werden. Während etwa die Orden im katholischen Bereich bewußt eine Probezeit vorschrei ben, wird bei den Sekten oft die erste Begeisterung genützt um die jungen - meist sehr idealistisch eingestellten - Menschen folgenschwere Verpflichtungen eingehen zu lassen. Oft muß er seinen Beruf aufgeben, sein gesamtes Vermögen der Gemeinschaft überschreiben und seine ganze Arbeitskraft in den Dienst der Sache stellen. Will er später ins normale Leben zurückkehren, ist dies kaum möglich, zumindest bleibt oft ein seelischer Schaden zurück. Dr. Friederike Valentin vom Referat für Weltanschauungsfragen im Pastoralamt der Erzdiözese Wien erklärt dazu, daß kein ehemaliges Mitglied einer Sekte bereit sei, offen über seine dortigen Erfahrungen zu berichten. Drohungen gegen Leute, die sich mit dem Sektenwesen kritisch auseinandersetzen, seien keine Seltenheit

Mit dem Ziel der Aufklärung über derartige Sekten und der Verbesserung der Möglichkeiten für Eltern, ihre Kinder aus diesen Gruppen herauszuholen, ist bereits ein „Verein zur Wahrung der geistigen Freiheit“ gegründet worden, dessen Name aber nur dann richtig gewählt ist, wenn der Beweis gelingt, daß die Entscheidung der jungen Menschen für die Sekten keiner „geistigen Freiheit“, sondern einer Art Suggestion entspringt Vorläufig gehören dem Verein nur Eltern von Sektenmitgliedern an.

Wie der Wiener Pastoralamtslei-ter Msgr. Rudolf Schwarzenberger betonte, zeige das zunehmende Sektenwesen die wachsende Existenzangst, das „existentielle Vakuum“, wie es Viktor Frankl genannt hat Zweifellos ist die Kirche mehr denn je gefordert, den jungen Menschen bei der Beantwortung der Sinnfrage des Lebens zu helfen. Mag sein, daß sie in der Kirche zu viel Institution, zu wenig Leben finden, während ihnen die Sekte die kleine Gemeinschaft bieten kann, in der sie angenommen, aber auch abhängig gemacht werden.

Daß die Jugend zum Atheismus tendiert, scheint durch den Zulauf zu den diversen Sekten jedenfalls widerlegt. Wenigstens eine positive Frucht, mag es sich auch um falsche Propheten handeln. Die Kirche wird jedenfalls große Anstrengungen machen müssen, um das offensichtlich vorhandene Potential an idealistischer Jugend für sich zu gewinnen. Wenn sie die Sekten, wie das in einer Flugschrift zum Ausdruck kommt, als „Herausforderung für den Christen“ empfindet, hat sie ihre Chance bereits erkannt. Jetzt muß sie diese nützen.

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