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Sein Heil bei den Gurus suchen ?

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Das Thema „Sekten” steht diese Woche auf dem Programm theologischer Tage in der Erzdiözese Wien. Denn vor allem die Gurus aus Asien gewinnen nach wie vor Anhänger.

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Das Thema „Sekten” steht diese Woche auf dem Programm theologischer Tage in der Erzdiözese Wien. Denn vor allem die Gurus aus Asien gewinnen nach wie vor Anhänger.

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FURCHE: Gibt es den oft angesprochenen religiösen Aufbruch bei der Jugend?

VALENTIN: Es ist nicht unbedingt die Jugend. Es hat sich gezeigt, daß sich heute auch 30- oder 40jährige zu verschiedenen weltanschaulichen Gruppen hingezogen fühlen oder sogar extremen Organisationen beitreten. Es ist ein neues „feeling” in Sachen Religion entstanden, auch oder gerade außerhalb der etablierten Religionsgemeinschaften.

FURCHE: Welche Organisationen hatten in letzter Zeit den meisten Zulauf?

VALENTIN: Hier gilt es zu unterscheiden zwischen christlichen und anderen Gruppen. Sicher hat die evangelikale Bewegung einiges an Wachstum zu verzeichnen. Ihr Slogan lautet kurz zusammengefaßt „Jesus ja, Kirche nein”, auch wenn ein Teil der Evangelikaien mit der evangelischen Landeskirche in Verbindung ist. Das ist die Fortsetzung der Jesus-Welle, die wir vor 15 bis 20 Jahren gehabt haben. Diese Strömung ist nicht zu unterschätzen.

Die andere Strömung ist die nichtchristliche, wo heute vor allem jene Gruppen Zulauf haben, die sich nicht unbedingt dogmatisch festlegen — wie es zum Beispiel die Munies machen. Zahlenmäßig sind nicht unbedingt die Munies die interessantesten, sondern die Guru-Bewegungen, wo es um den direkten Zugang zu einem lebenden Meister geht und der ganze hinduistische Back-ground mitgenommen wird.

Dazu kommt die „New-Age”-Bewegung, also Arbeit für ein neues Zeitalter, das damit beginnt, daß der einzelne eine persönliche Transformation durchmacht, die wieder geprägt ist von östlich-hinduistischem Gedankengut oder von einem Synkretismus und wo dann der einzelne durch sein Engagement in verschiedenen Bereichen auch zu einer Transformation der Gesellschaft beitragen soll.

FURCHE: Spielen die traditionellen Sekten wie Adventisten, Mormonen oder Zeugen Jehovas noch eine Rolle?

VALENTIN: Auf jeden Fall die Zeugen Jehovas, die in den letzten zehn Jahren allein in Österreich 50 Prozent Zuwachs gehabt haben, von 10.000 auf 15.000, und gerade jetzt durch ihre nicht näher definierte Endzeiterwartung in eine ungeheure Aktivität gekommen sind.

FURCHE: In welchen Zahlenbereichen bewegen sich etwa die anderen Gruppierungen?

VALENTIN: Die Zahl der organisierten Mitglieder ist nicht sehr groß. Wohl aber die Ausstrahlung, weil sie eben durch ein Elitedenken ein ausgeprägtes Sendungsbewußtsein haben. Der harte Kern mag jeweils nur im drei-oder — etwa bei Scientology oder TM (Transzendentaler Meditation) — im vierstelligen Bereich liegen, aber das sind die Organisationen, und man kann eine Bewegung so nur schlecht fassen. Es gibt heute zum Beispiel einen Reinkarnations-Boom oder das Interesse an Astrologie. Das sind Strömungen, die ihren Einfluß haben. Hier kann man keine Mitgliederzahlen nennen, aber sehr wohl sagen, daß sich etwas im Bewußtsein, in der Einstellung verändert.

FURCHE: Sind für solche Gruppierungen eher Menschen ansprechbar, die schon vorher in einer gewissen Bindung zu einer Kirche waren oder auch völlig areligiöse Menschen?

VALENTIN: Das ist ganz unterschiedlich. Eines kann man sagen: Es sind die Idealisten, die sich engagieren, also jene, die sich Gedanken machen über die persönliche Entwicklung, das persönliche Fortkommen, über die Welt, wie es weitergeht, die also negative Information aus den Medien nicht nur hinnehmen, sondern auch irgendwo nach Lösungen suchen. Es ist hier relativ viel intellektuelles Potential beisammen. Man hat früher die Sekten eher als etwas Primitives hingestellt, und manche sind es ja auch. Aber die neuen Bewegungen, die neugnostischen, die Guru-Bewegungen, sind anders strukturiert und benötigen auch eine andere Form der Mitglieder.

FURCHE: Können Sie den Begriff „neugnostisch” näher definieren?

VALENTIN: Darunter versteht man alle jene Gruppen, bei denen es nicht um Erlösung durch Gnade, durch das Wirken eines Gottes, geht, sondern „Erlösung” durch die rechte Erkenntnis und durch die Verwirklichung der rechten Erkenntnis im Leben. Diese neugnostische Bewegung beginnt mit der Gründung der Theosophischen Gesellschaft im vorigen Jahrhundert. Zur Neu-gnosis gehört genauso die Anthroposophie. Heute sind gerade jene Strömungen, die aus dem Osten kommen, gnostische Strömungen. Es geht um ein Ändern des Bewußtseins und ein Herauskommen aus dem Rad der Wiedergeburten.

FURCHE: Also besteht Verbindung mit der Reinkarnationsleh-re?

VALENTIN: Ja. Das zeigt sich schon bei Theosophie und Anthroposophie, die bereits den Reinkarnationsgedanken haben. Dieser Einfluß aus dem Osten ist also nicht in den letzten Jahren erst gekommen, sondern hat schon Tradition. Nur gab es das eben zuerst in einer elitären Schicht, erst in den sechziger Jahren hat sich das weiter verbreitet, was auch damit zusammenhängt, daß die Verkünder und Gurus andere Methoden eingeschlagen haben.

Wenn zum Beispiel jetzt am 1. April ein Sri Chinmoy ein Friedenskonzert in Wien gibt, dann plakatiert das die Organisation heute schon, und es kann jeder, der sich für Frieden und Musik interessiert, hingehen, während man früher weniger leicht Zugang zu diesen Kreisen gehabt hat.

FURCHE: Welche Gruppen fallen unter die neugnostischen?

VALENTIN: Wenn man es ganz pauschal nimmt: die Jugendreligionenwelle, die Guru- und die damit verbundene Meditationswelle aus dem Osten und jetzt auch dieses „Wassermann-Zeitalter”, das „New-Age”-Denken.

FURCHE: Knüpfen diese Bewegungen zum Teil auch an christliche Schriften oder christliches Gedankengut an?

VALENTIN: Ja, bei zwei Organisationen ist das besonders deutlich, bei der „Familie der Liebe”, den früheren „Kindern Gottes”, die sich biblisch-fundamentalistisch geben, und bei der „Verei-nigungskirche”, wo das Buch „Die göttlichen Prinzipien” auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, als werde hier die Bibel neu interpretiert und erklärt und man befinde sich auf biblischem Grund, was ja de facto nicht stimmt.

Ähnliches passiert auch bei verschiedenen Gurus, denn diese Inder sind zum Teil in christlichen Schulen erzogen worden, haben christliches Gedankengut und westliches Denken kennengelernt und verwenden immer wieder Schriftstellen. Ein beliebter Aufhänger ist zum Beispiel das Bibelwort „Das Reich Gottes ist mitten in euch”. Hier werden also einzelne Bibelstellen genommen, geben eine gewisse christliche Färbung, in Wirklichkeit ist es nicht vorhanden.

FURCHE:Das Gottesbild ist also im wesentlichen anders?

VALENTIN: Es ist völlig anders.

FURCHE: Erheben die neuen Religionen Absolutheitsansprü-che? Von einigen hört man, man könne ruhig in seiner alten Religion bleiben und trotzdem bei ihnen mitmachen.

VALENTIN: Der Absolutheits-anspruch wird in einer anderen Form erhoben, als wir es bisher gewohnt sind, nicht in dem exklusiven entweder — oder, sondern in der Art „Du kannst ja ruhig das bleiben, nur bekommst Du hier mehr”. Christliche Gruppierungen, die untereinander in Konkurrenz stehen, sind meist ähnlich strukturiert, während von den neuen Religionen Christentum als etwas anderes, etwas Fremdes gesehen wird, von dem man sich aber noch einiges nehmen kann und gegen das man jetzt gar nicht so offensiv vorgeht. Viele Gruppen sind ja vom hinduisti-schen Raum geprägt, und der Hinduismus kennt ja keinen Absolut-heitsanspruch und kann unheimlich viel aufsaugen, so daß beispielsweise Jesus unter die lange Reihe von geistigen Meistern aufgenommen ist. Darum kann in einem Guru-Zentrum durchaus ein Jesusbild hängen. In Wirklichkeit ist das eine andere Welt, die von einem ganz anderen Denkansatz ausgeht.

Das Gespräch mit Frau Dr. Friederike Valentin, Leiterin des Referates für Weltanschauungsfragen im Pastoralamt der Erzdiözese Wien, führte Heiner Boberski.

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