7012294-1988_13_13.jpg
Digital In Arbeit

Schach dem „Routinechristentum“ !

Werbung
Werbung
Werbung

Warum bedarf es stets neuer Aufbrüche in der Kirche? Hat sie nicht eine für alle Zeiten gültige Botschaft?

Der Satz, wonach die Kirche ständig erneuert werden muß (ec-clesia semper ref orrnanda), ist uralt und findet sich dem Sinn nach schon bei den Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte. Die Botschaft hat sich nicht geändert, aber die Geschichte lehrt, daß die Gefahr eines „Routinechristentums“, das sich dem jeweiligen „Zeitgeist“ anpaßt, latent ist.

Daß immer, wenn diese Gefahr besonders groß war, Neuaufbrü-

che in der Kirche erfolgten, Versuche, das Evangelium in seiner ganzen Radikalität zu leben, dafür gibt es Beispiele. So entstand, als das Christentum, zur Staatsreligion geworden, keinen Bekennermut mehr verlangte, der Benediktinerorden, so war der Aufbruch des Franz von Assisi ein deutliches Kontrastprogramm zur sich damals dem Höhepunkt ihrer weltlichen Macht nähernden hierarchischen Kirche.

Der jüngste Aufbruch in der Kirche ist sicher in Zusammenhang mit der den modernen Menschen bedrängenden Sinnfrage, mit der Herausforderung durch eine von Pluralismus und Wohlstand gekennzeichnete Gesellschaft, mit der Suche nach Gemeinschaft und Gespräch, wo sich eine Entwicklung zu Isolation und Anonymität abzeichnet, zu sehen.

Besteht in diesen Gruppen nicht die Gefahr des Sektierertums?

Von den unzähligen religiösen Gemeinschaften, die in jüngster Zeit entstanden sind, gehören einige eindeutig in die Kategorie Sekten, andere sind christlich, aber nicht katholisch, ein großer Teil bekennt sich eindeutig zur katholischen Kirche (alle auf Seite 12 genannten Gruppen), die meisten davon sind aber ökumenisch sehr aufgeschlossen.

Sicher kommen viele Menschen aus den gleichen Motiven (Suche nach Gemeinschaft, nach Lebenssinn) zu diesen Gruppen und zu Sekten. Während aber Sekten einen Absolutheitsanspruch erheben, sich Sektenmitglieder demnach als „Auserwählte“ fühlen, kennzeichnet es die katholischen Erneuerungsbewegungen, daß sich jede als Teil der Gesamtkirche versteht und andere Wege zum Heil anerkennt.

Da diese Gruppen auf der Mündigkeit des Christen aufbauen, ist ihnen gegenüber der Vorwurf von „Sektenmethoden“ bei der Mitgliederwerbung sehr selten (einzelne „schwarze Schafe“ gibt es in jedem Bereich und mag es auch auf diesem Gebiet — aber wirklich sehr selten - geben).

Handelt es sich hier nicht trotz allem um „Zirchen in der Kirche“?

Die Bischofssynode 1987 über das Apostolat der Laien hat, im Bewußtsein dieser Gefahr, darauf hingewiesen, daß solche Gruppen das Einvernehmen mit der Ortskirche, Diözesen und Pfarren, suchen sollen.

In Österreich besteht diese Sorge, die etwa in Italien die politisch hochaktive „Communione e libe-razione“ betrifft, kaum. Vertreter dieser Gruppen sitzen in diversen Gremien (Laienrat, Diözesanräte et cetera), viele Katholiken werden nach einem „Auftanken“ in diesen Bewegungen in den herkömmlichen kirchlichen Strukturen aktiv.

Selbst dort, wo die Gruppen nicht nur als „Durchgangsstationen“ (mit oft das weitere Leben prägenden Kursen, Exerzitien oder Wochenenden der Begegnung und des Gebets) dienen, sondern man sich mit einer gewissen Verbindlichkeit (etwa regelmäßiges Gebet, Bibellesen, Sozialdienst, Selbstbesteuerung, teilweise auch Ehelosigkeit) auf Dauer einer Gruppe anschließt, handelt es sich dabei nicht mehr um eine „Kirche in der Kirche“ als etwa bei einem Orden.

In der Praxis machen viele Katholiken Bekanntschaft mit mehreren dieser Gruppen, absolvieren ihren Cursillo ebenso wie ihr

Marriage-Encounter-Wochenende, besitzen ihren action-365-Schriftlesungskalender und schauen sich einmal in Taize oder in Rocca die Papa um, begleiten mitunter ihre Fokolare-Freunde zur „Mariapoli“ oder kandidieren für den Pfarrgemeinderat.

Wird man dem Phänomen Erneuerungsbewegungen mit den Kategorien konservativ/progressiv gerecht?

Alle Gruppen haben Eigenheiten. Am ehesten trifft das Wort „wertkonservativ“ zu (im Gegensatz zum Strukturkonservativismus eines Marcel Lefebvre). Dafür sprechen das Rückbesinnen auf traditionelle katholische Leitlinien — Umkehr, Gebet, Gemeinschaft, praktische Nächstenliebe, Marienverehrung — und bisweilen verbreitete fundamentalistische Züge. Teufel und Engel, manchen modernen Theologen bereits abhanden gekommen, sind für die meisten spürbare Realität.

Haben diese Gruppen zahlenmäßig überhaupt eine Bedeutung?

Zunächst ist den meisten die Vertiefung des Glaubens ein ebenso großes Anliegen wie die Verbreitung. Die Zahl derer, die durch solche Gruppen zu einem aktiven Christentum herausgefordert werden, nimmt insgesamt sicher zu, auch wenn einzelne Bewegungen stagnieren. Quantitativ dürften die Cursillo-Bewe-gung und die Charismatische Gemeindeerneuerung am bedeutendsten sein.

1987 haben in Österreich (samt dem nicht sehr ins Gewicht fallenden Südtirol) 1750 Christen einen Cursillo absolviert, seit der Einführung dieses Kurses 1960 in Österreich waren es Zehntausende.

Die Charismatische Gemeindeerneuerung kann auf rund 400 Gebetsgruppen in Österreich mit jeweils mindestens 15 Mitgliedern verweisen. Im Rahmen von Di-özesantreffen brachte diese Bewegung im Vorjahr rund 6000 Österreicher auf die Beine.

Neigen die Mitglieder solcher Gruppen nicht zur Weltflucht, zum Aussteigen?

Die Lebensprägung, die in diesen Bewegungen stattfindet, trägt unterschiedliche Früchte. Sie führt manche in einen geistlichen Beruf, manche zum vollen Engagement in Sozialberufen, in der Entwicklungshilfe, in kirchlichen

Berufen, in Lehrberufen. Umsteigen, nicht Aussteigen ist oft die Devise.

Den Vorstoß in die Bereiche Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien - und zwar mit jenem christlichen Engagement, das gerade dort vonnöten wäre — haben freilich noch nicht viele aus den Erneuerungsbewegungen unternommen. Aber dazu werde es noch kommen, geben sich Insider auf diesem Gebiet optimistisch.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung